Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft
19.04..2017 (Quasimodogeniti), Jesaja 40, 26-31
19.04..2017 (Quasimodogeniti), Jesaja 40, 26-31
Predigttext: Jesaja 40, 26-31
Übersetzung: Luther 2017
26
Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.
27
Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«?
28
Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.
29
Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 30
Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen;
31
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe zuhörende und mitdenkende Gemeinde,
in der Auseinandersetzung mit dem Predigtext Jesaja 40 werden wir heute – 2500 Jahre nach der Entstehung dieses Textes – quasi mitgenommen auf eine historische Wanderung. Gottes Volk befindet sich in einer unausweichlichen schon länger anhaltenden Katastrophe. Es litt schwer, weit entfernt seines heimatlichen gewohnten Lebens im babylonischen Exil. Entbehrung des geliebten religiösen Lebens, Verzicht auf gewohnte grundlegende Abläufe des jüdischen Lebens, ja Entmündigung und Bevormundung gehörten zur alltäglichen Wirklichkeit.
In diesem alten Text nehmen wir Teil an den Gedanken eines verzweifelten Volkes, werden hineingenommen in das Gefühl, dem unwirtlichen Leben ausgeliefert zu sein. Zugleich erfahren wir, dass Menschen dieses Volkes in ihrer schwierigen Situation eines genau wussten und dies gerade jetzt auch unbedingt beachten wollten:
Wir sind mit unserem Gott gemeinsam unterwegs.
Er, dieser Gott, der mit uns auf dem Weg ist,
der, dessen Name unaussprechlich, weil alles überwältigend ist,
dieser Gott, sprich, seine lebensfördernde Kraft, ist Basis unserer Erfahrungen.
Er ist ganz bei uns. Noch nie hat er uns allein gelassen. Auch in den kommenden Tagen ist er zuverlässig bei uns.
Wir vertrauen ihm. Die Wende zum Guten steht vor uns. Politische Verhältnisse wandeln sich. Die Zeit wird wieder besser. Unsere Heimat wird uns wieder gehören.
Denn: Wir vertrauen unserem einzigartigen Gott.
Wie liest sich das im Text? Nun, zunächst:
„Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.“
Die Israeliten werden eingeladen, ihren Blick zu weiten und in die unendliche Größe und Weite ihrer Wirklichkeit zu blicken. Das Universums beweist es doch: Das alles reguliert der, auf den wir vertrauen. Anders gesagt lauten die Gedanken: Lasst euch doch bitte nicht mit den vorfindlichen Problemen die Augen verkleistern! Seht auf die in Gott garantierte Grundlage des Lebens. Wenn das alles do oben so funktioniert, dann kann auch alles bei uns wieder funktionieren…
Ich lese weiter: „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.“
Das ist Erinnerung – sich wieder bewusst machen – altes Bekanntes wieder neu sehen …
Das erinnert mich an eine Ur-Geschichte Israels: Mose führt das Volk aus Ägypten, der gnadenlosen Gefangenschaft. Das Volk folgt, widerwillig – es wird so viel gemurrt! „Mose, früher war das doch viel besser, als wir noch bei den Fleischtöpfen Ägyptens waren… mit Verlaub, es war dort besser… Gefangenschaft, ja, aber, was soll’s?!“.
Ich lese aus Numeri 4 (4. Mose 21): „Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“
Mit dieser Erzählung wird eine besonders schwierige Situation während der Wüstenwanderung pointiert: Schimpfen und Murren ist angesagt. Auf Grund von aktueller Belastung während der Wüstenwanderung. Dieser soziale Zustand wird weitergeführt, Stagnation wird quasi in Bewegung versetzt.
Schimpfen und Murren bringt Tod, die giftigen Schlangen.
Option und rechte Orientierung ist die Lösung, bringt Leben.
Aus Stillstand wird Zukunft.
Ein Ausweg, eine Ausrichtung, ein Fixpunkt:
Sei richtig ausgerichtet und du wirst leben, fokussiere dich auf das zentrale Ziel, und du kannst weiterleben, weitergehen,
deine Gefangenschaft verlassen,
das neue alte eigene Land wieder erreichen,
deine Zukunft gewinnen.
Zentral gilt dabei: Murrt nicht, vertraut!
An dieser Stelle blicke ich kurz ins Neue Testament:
In der Verkündigung Jesu begegnen wir deutlich formulierten Ermutigungen. Zum Beispiel: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lk 21, 28)
Das ist prinzipiell dasselbe: So wie die Leiden der Menschen große Bedeutung im Denken und Handeln Jesu hat, so entscheidend agiert er durch seine Worte und durch seine Handlungen ermutigend, vorwärtsweisend, positiv motivierend. Jesus beschäftigte sich programmgebend in seiner kurzen aktiven Wirksamkeit mit den Armen, Kranken und Verachteten. Er orientiert sie neu. Er richtet ihren Blick neu aus. Er bietet ihnen sozusagen, wenn wir es mit Mose denken wollen, eine erhabene eherne Schlange, indem er sie ganz neu aufeinander und auf Gott ausrichtet.
Ich will noch einmal zum Predigttext zurück, will noch einmal ein Stück aus dem Gedankengut Jesajas zitieren:
„Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Wir befinden uns gerade nicht im babylonischen Exil. Wir ziehen gerade nicht mit Mose aus der ägyptischen Gefangenschaft aus.
Nein, wir wurden von einem Virus überrascht.
Können wir das eine mit dem anderen vergleichen? Können wir Schlussfolgerungen für uns aus der Auseinandersetzung mit den alttestamentlichen Erzählungen gewinnen?
Ich meine, ja!
Denn wir befinden uns gewissermaßen auch im Exil. Kein Exil bei Fremden, nein, wir sind nicht bei Feinden gelandet.
Im Gegenteil, unser Gefängnis ist die soziale Isolation, die verordnete Distanz, der eingeschränkte Lebensraum…
Wir müssen uns mehr oder weniger in unserem eigenen Wohnraum zurückziehen und unsere Gesichter hinter schutzbringenden Masken verbergen.
Was für ein Exil ist das denn! Ein Exit aus dem Gewohnten, dem Bisherigen, dem Vertrauten…
Es trifft uns alle, grenzenlos und gnadenlos alle, keine Bewandtnis welchem Geschlecht, welchem Alters, welcher Ethnie, welcher Religion oder welchen Erdteils wir zugehörig sind.
Alle beschränken wir uns – weil es so überzeugend begründet ist – auf ein Minimum des sonst ach so guten Lebens…wie war das doch mit den Fleischtöpfen …?
Dabei können nicht klar sagen, warum wir in dieser Situation gelandet sind. Wir spekulieren mit verschiedenen Spekulationen, wir raten mit den Ratenden, wir behaupten möglicherweise sogar, was wir doch nicht wirklich wissen…können.
Die alttestamentlichen Erzählungen, auf die wir uns heute für einen Moment eingelassen haben, stellen unsere Blickrichtung in den Fokus:
Worauf bin ich ausgerichtet?
Worauf fixiere ich mich mit meinem Blick?
Welche Zukunft kann ich mitten in meinem, in unserem, Dilemma denken?
Kann ich mir vorstellen, dass ein gutes Leben weitergeht? Kann ich mir vorstellen, positives Denken und Handeln in dieser Situation zu erlernen und für einander bei zu tragen?
Das Leben hört ja nicht auf. Es geht weiter, zwar anders als bisher, aber es geht doch weiter.
Kann ich das erkennen? Kann ich das anerkennen? Kann ich mich darauf einlassen?
Worauf ist mein Blick gerichtet? Auf die Probleme oder auf die möglichen Lösungen?
Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft!
Amen
Christoph Fischer
Albert Schweitzer: „Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinaus gibt, geht nicht verloren.“