Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis am 28.07.2024
Predigttext: Mt. 13, 44-46
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Liebe Schwestern, liebe Brüder,
im Prinzip ist Marktwirtschaft eine einfache Sache und kann auf drei Worte reduziert werden: Angebot und Nachfrage. Bei einem gesunden Markt sind Angebot und Nachfrage in einem ausgeglichenen Verhältnis. Das Lebensmittel im Supermarkt wird meistens zu einem gerechten Preis angeboten. Verkäufer und Käufer sind mit den Preisen mehr oder weniger einig, auch wenn wir als Verbraucher uns oft beschweren. Wenn wir ehrlich sind, klagen wir aber auf hohem Niveau.
Es gibt aber Beispiele, wo die Marktwirtschaft aus den Fugen gerät. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre ist uns allen bekannt. Heute möchte ich unser Augenmerk auf die erste Wirtschaftskrise der Moderne richten. Sie entstand vor 380 Jahren in den Niederlanden, und genau wie die Wirtschaftskrise vor rund 90 Jahren stürzte sie unzählige Menschen in die Armut und manche auch in den Tod.
Vor 391 Jahren, zwischen Sommer 1633 und Anfang 1637, waren die Bürger der stolzen Republik der Niederlande völlig verrückt nach Tulpenzwiebeln. Viele Sorten der unscheinbaren, wenige Gramm schweren Knollen wurden für die zehn- bis hundertfache Menge an Gold gehandelt, manche gar so teuer wie Häuser in bester Innenstadtlage Amsterdams. Die Preise stiegen bis zum 5. Februar 1637 stetig an. Doch dann, von einem Tag auf den anderen, brach der Markt ein. Zurück blieben zerstörte Existenzen und nie zuvor gekannte Schuldenberge. Was genau geschah in jenen 43 Monaten in den Niederlanden, damals die reichste und mächtigste Handelsmacht der Welt?
Begonnen hatte der „Tulpenrausch“ Anfang des 17. Jahrhunderts ganz unschuldig – mit der Sammelleidenschaft einiger wohlhabender Kaufleute. Die Kaufleute Amsterdams besaßen schon alles, was man mit Geld bezahlen konnte. Also interessierten sie sich für ein ziemlich wertloses, aber seltenes Gut: besonders schöne Tulpen, mit langen schlanken Stängeln und unregelmäßig gestreiften, sogenannten geflammten Kelchen. Damals wusste niemand, dass diese Blumen eigentlich krank waren. Es war der Mosaikvirus, der ihre Blüten so wunderschön marmorierte, sie aber zugleich anfällig machte.
Zunächst stiegen die Preise für Zwiebeln dieser Tulpensorten langsam an. Über zwei Jahrzehnte blieben die Blumen das Hobby weniger Liebhaber. Die berühmteste Art, die Semper Augustus, war so selten, dass sie fast nie gehandelt wurde, und wenn, dann entsprechend teuer: Mindestens 2000 Gulden kostete eine Zwiebel davon im Jahr 1630 – drei Jahre vor Beginn der Tulpenwahn – achtmal so viel, wie ein Zimmermann im Jahr verdiente. Weil die Preise scheinbar unaufhaltsam von Saison zu Saison stiegen, begannen sich Geschäftemacher zu interessieren.
Den Geschäftemachern, den sogenannten Floristen, ging es nicht um die tatsächlich betörende Schönheit der Tulpen. Sie wollten nur Geld verdienen. Mit den Blumen schien es gleich zwei sichere Wege zu geben, investiertes Kapital zu vermehren: Erstens versprachen die steigenden Preise einen ordentlichen Gewinn beim Weiterverkauf. Zweitens bildeten viele Zwiebeln in der Ruhephase zwischen Herbst und Frühling kleine Brut- oder Tochterzwiebeln, die bereits in der folgenden Saison als eigenständige Pflanzen für viel Geld verkauft werden konnten.
Das Züchten der Blumen war allerdings ein mühsames Unterfangen, denn aus Samen gezogene Zwiebeln blühen erst nach sieben Jahren. Mit den Floristen kamen Käufer ins Spiel, denen die Eleganz der Tulpen gleichgültig war. Ja, die sie nicht einmal als langfristige Geldanlage betrachteten, sondern als schnelles Geschäft. Heutzutage nennen wir solche Geschäfte Spekulation.
So kletterten die Preise weiter. Im Juni 1633 wurde in der Hafenstadt Hoorn erstmals ein ganzes Haus für nur drei Tulpenzwiebeln verkauft – dieser Handel gilt als eigentlicher Beginn des Tulpenwahns. Zusätzlich zu den bekannten, begehrten Sorten kamen jetzt immer neue Varianten auf den Markt. Keiner der Käufer wusste Genaues über sie: Ob sie lebensfähig waren oder schwach, viele Brutzwiebeln hervorbrachten oder gar keine. Doch sie wurden gekauft, weil sie neu waren, weil sie überhaupt zu kaufen waren – und weil immer mehr Bürger ihr Geld in Tulpen investierten.
Selbst Blumenexperten verloren nun den Überblick. Deshalb entwickelte sich eine neue Branche: Kataloge, Alben und Flugschriften über nichts anderes als Tulpen. Es war der erste Boom von Wirtschaftsmagazinen in der Weltgeschichte. Oft im Wochenrhythmus informierten diese Preislisten über Entwicklungen auf dem Tulpenmarkt. In Kupferstichen wurden die schönsten Sorten gezeigt und ihre Kursaussichten wurden mit blumigen Worten porträtiert. Blumenkataloge trieben das Interesse für Tulpen in zuvor unvorstellbare Höhen. Die Flugschriften brachten immer mehr Holländer dazu, Geld in den Markt zu pumpen. Inzwischen spielten nicht nur professionelle Kaufleute mit, sondern auch Gastwirte, Maurer und Glasbläser, Bauern und Gerber, ja sogar Hausierer. Ob Pfarrer der Tulpenwahn verfallen waren, weiß ich nicht. Ich hoffe nicht! Viele der „Investoren“ verpfändeten ihr ganzes Eigentum, ihre Häuser und Werkzeuge, um an Kapital für Tulpenzwiebeln zu kommen.
Und die Preise stiegen immer noch. Bisher war der Handel auf die Monate Juni bis September beschränkt gewesen, wenn die Tulpenzwiebeln nach der Blüte aus der Erde genommen und in Regalen aufbewahrt wurden. Jeder Käufer bekam sein teuer erworbenes Eigentum sofort in die Hand und musste dafür den vollen Preis bezahlen.
Vom Herbst 1635 an wurde das ganze Jahr mit Zwiebeln gehandelt, also mit einer Ware, die nicht geprüft werden konnte. Statt Zwiebeln wurden Anteilsscheine gehandelt, die man zudem nicht ganz bezahlen, sondern nur anzahlen musste. Der volle Preis war erst fällig, wenn die Tulpenzwiebel tatsächlich übergeben wurde; dann hatten die Floristen ihre Anteilsscheine oft schon gewinnbringend weiterverkauft. Nun setzte sich auch die Berechnung nach Gewicht durch; als Einheit galt das „Az“, das aus der Goldschmiedekunst übernommen wurde und ungefähr der 21. Teil eines Gramms war. Der Entwicklung des Geschäftes schadete die komplizierte neue Berechnungsmethode nicht, im Gegenteil. Für eine normale, 250 Azen schwere Tulpenzwiebel konnten je nach Sorte im Sommer 1636 zwischen fünf und 2500 Gulden bezahlt werden. Im Vergleich: 250 Azen Gold kosteten etwa 16 Gulden. Anders als Gold, Silber und viele sonstige Güter wurden Tulpen nicht an der relativ streng kontrollierten Amsterdamer Börse gehandelt. Stattdessen entwickelte sich ein neuer Markt, an dem die Regeln lockerer und die Gewinnfantasien umso größer waren. Heutzutage nennen wir das eine Schwarzmarkt.
Doch die begehrten Waren wurden immer seltener, während die Zahl der potenziellen Käufer stetig wuchs. Das trieb einerseits die Preise in ungeahnte Höhen, gleichzeitig kamen aber auch an sich wertlose einfache Tulpensorten auf den Markt. Selbst sie fanden von Herbst 1636 an reißenden Absatz, denn jeder wollte an den Handel teilhaben. Und niemand konnte oder wollte sich vorstellen, dass der Markt überhitzen könnte. Selbst die Zwiebeln von Allerweltstulpen wurden teurer als Gold gehandelt. Ein besonders schönes Exemplar der Gouda – eine Tulpensorte, nicht der Käse – kostete etwa 3750 Gulden – so viel wie ein Pfund Gold.
Auf einmal, Anfang Februar 1637, stiegen die Preise nicht mehr. Viele Inhaber von Tulpenanteilen hatten plötzlich das Gefühl, ihre Blumen so schnell wie möglich zu Geld machen zu müssen. Es brach eine regelrechte Panik aus. Am 5. Februar 1637 fand sich kein einziger Käufer mehr, der die aufgerufenen Preise für einige Posten Zwiebeln zahlen wollte. In den folgenden Tagen brach der Kurs um 95 Prozent ein.
Floristen, die nach dem Buchwert ihrer Tulpen bis zum Februar 1637 märchenhaft reich gewesen waren, verloren ihr gesamtes Geld. Tausende längst geschlossene Kaufverträge konnten mangels Kapital nicht mehr vollzogen werden und wurden oft für eine Strafgebühr von ein bis fünf Prozent der vereinbarten Summe annulliert.
Der Zusammenbruch des Tulpenmarktes ruinierte Zehntausende Holländer. Nur wer seine Zwiebeln rechtzeitig zu Geld gemacht und dafür relativ günstig Grundstücke oder Häuser erworben hatte, blieb verschont.
Und nun, der Predigttext aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 13, Verse 44-46: „Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, alles verkaufen um einen Schatz, eine Perle oder eine Tulpe zu kaufen. Wer macht sowas? Jemand, der glaubt. Jemand, der glaubt, der gekaufte Gegenstand ist der Preis wert. Jemand, der glaubt, dass das, was er aufgibt, weniger wert ist, als das Objekt seiner Begierde.
Ehrlich gesagt, ich habe den Tulpenwahn nie verstanden. Wie kann man so dumm sein?! Das waren ja Holländer! Und die Holländer sind nicht gerade als impulsiv, unbesonnen oder leichtsinnig bekannt. Im 17. Jahrhundert waren sie es schon gar nicht. Sie waren doch Calvinisten! Vorsicht und Überlegtheit waren in ihrer DNA. Wie konnten so viel von ihnen Opfer des Tulpenwahns werden? Wie konnten sie ihr ganzes Hab und Gut für etwas so Vergängliches tauschen?
Ganz einfach. Sie sahen eine Chance. Sie wollten sich diese Chance nicht entgehen lassen. Sie wussten ja, dass eine Tulpe an sich nicht den großen Wert hatte, mit dem sie auf dem Tulpenmarkt gehandelt wurde. Sie wollten schnell Geld machen. Überlegtheit und Kalkül liegen nah beieinander. Buy low. Sell high. Gier war ihre Motivation. Und wenn sie ehrlich waren, wollten sie auf Kosten ihres Nächsten reich werden, der ihnen die Tulpe abkaufte. Der Tulpenwahn ist ein Musterbeispiel von der sogenannten „greater fool theory“. Man findet immer einen noch größeren Narr.
Ich wohne seit fast zwei Jahren in Königsfeld. Die Tulpenwahn dauerte über drei Jahre lang. Das ist mir – ehrlich gesagt – unvorstellbar. Meine zwei Jahre in Königsfeld scheinen mir manchmal sehr lang – im positiven Sinne natürlich. Ich fühle mich hier nach nur zwei Jahren sehr heimisch. Ich fühle mich hier pudelwohl. In Königsfeld zu wohnen ist für mich normal. So war es vermutlich bei dem Tulpenwahn. Der Wahn wurde zur Normalität. Man gewöhnte sich daran. An ein Ende dachte keiner. Für dreiundeinhalb Jahre konnte man auf den Anstieg der Preise zählen. Es schien ohne Risiko zu sein.
Liebe Schwestern und Brüder, mit den zwei Gleichnissen in dem Predigttext heute, habe ich meine Probleme. Der Ackerkäufer und der Perlenkäufer waren beide ziemlich egoistisch. Der Schatz und die Perle behielten sie – sofern wir wissen – nur für sich. Wie die Floristen bei dem Tulpenwahn. Aber wir sollten nicht vergessen, ein Gleichnis hat meistens nur eine Botschaft. Und die Botschaft in den Gleichnissen vom Schatz und der Perle ist eindeutig: Beide sind mehr wert als das gesamtes Hab und Gut von deren Käufern. Im Himmelreich zu wohnen ist viel mehr wert als das, was wir für das Wohnrecht dort eintauschen müssen. Das ist die Botschaft der zwei Gleichnisse.
Wenn man die Geschichte vom Tulpenwahn hört, fragt man sich: Wie konnte man so töricht sein? Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns fragen, wie können wir so töricht sein? Gott bietet uns einen Schatz an, die wertvollste Perle, die es je gegeben hat. Und wir zögern. Wir zögern, uns Gottes Schatz, Gottes Reich ganz anzunehmen. Wir zögern, in Gottes Reich als Bürger aufgenommen zu werden. Denn das „Alles“, das wir verkaufen müssen, um in Gottes Reich einziehen zu dürfen, ist uns selbst. Wir müssen uns unter seine Autorität stellen. Um in Gottes Himmelreich zu wohnen, müssen wir ihn als „Herrscher“ annehmen. Das ist für uns nicht ganz leicht, denn wir wollen die Kontrolle über unser eigenes Schicksal bei uns behalten.
Jedes Jahr im Dezember lesen wir bei dem Propheten Jesaja: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Liebe Schwestern und Brüder, Jesus Christus ist der Herrscher, dem wir uns unterwerfen müssen. Solches nicht zu tun, ist töricht. Amen.
Gerald MacDonald
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