Türen öffnen
03.12.2017 (1. Advent), Offenbarung 5, 1-6
03.12.2017 (1. Advent), Offenbarung 5, 1-6
Liebe Schwestern und Brüder!
Haben Sie einen Adventskalender?
Können Sie an jedem Tag im Dezember bis zum 24sten ein Türchen öffnen oder ein Päckchen auspacken?
Ich weiß noch genau, welcher Adventskalender mich früher durch die Adventszeit begleitete. Die Türchen konnte man herausnehmen und fürs nächste Jahre wieder einsetzen. Die Ecken waren schon mehrfach geklebt, damit die Türchen noch hielten.
Kürzlich habe ich einen Adventskalender aus Herrnhut mitgebracht. Ich bin jetzt gespannt, was sich hinter den Türen verbirgt.
Manchmal ähnelt das Leben einem Adventskalender.
Nach und nach können wir ein Türchen aufmachen. Manches hat sich uns schon offenbart, anders verbirgt sich uns hinter verschlossenen Türen. Hinter manchen Türen steckt eine angenehme Überraschung, bei anderen sagt man eher: nicht schon wieder!
Vorgestern hörte ich von jemand, der bei dem neuen Schokodalen-Adventskalender gleich alle Türen aufgemacht und den Inhalt aufgegessen hat. Entweder war’s der Hunger oder er hat es nicht aushalten zu können, dass man nicht weiß, was hinter einem Türchen ist.
Können Sie gut leben mit verschlossenen Türen?
Es gibt verschlossene Türen im Leben. Vielleicht steht da „2018“ drauf. Und wir würden zu gerne wissen, dass da auf uns zukommt. Mit einer Krankheit etwa. Wird die drohende OP gut laufen? Werde ich noch einmal fitter werden oder muss ich mit den momentanen Einschränkungen leben?
Es gibt verschlossene Türen in unserer Gemeinde: Da ist ein Türchen „Junge Generation“ – wie wird es uns gelingen, einen besseren Zugang zu dieser Altersgruppe zu finden?
Es gibt verschlossene Türen in unserem Ort: Finden wir zueinander oder leben wir uns immer mehr auseinander?
Es gibt verschlossene Türen in unserem Land: Wird sich noch eine Regierung finden, die bereit ist, Entscheidungen zum Wohlergehen Aller zu fällen, auch gegen Industrielobby und Parteiinteresse?
Es gibt verschlossene Türen in vielen Ländern, etwa wenn der nahe Osten in immer neuen Konfliktherden versinkt, weil sich die großen muslimischen Machtblöcke nicht die Butter auf dem Brot gönnen.
Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext kennt das Ärgernis, dass Türen vor uns verschlossen sind, aber auch die Freude, wenn sie sich öffnen. Er steht im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung. In einer Vision sieht Johannes, auf welche Zukunft die Welt zugeht. Das gehört also in die Rubrik Science Fiction. Tür für Tür entfaltet sich vor ihm eine mal bedrohliche, mal fantastische Bilderwelt.
Was er sieht und hört, schreibt er für die Gemeinden in Kleinasien auf. Er will ihnen damit Trost und eine Perspektive geben angesichts der bedrohlichen Lage, in der sich die Christen am Ende des ersten Jahrhunderts befinden.
Im vierten Kapitel beschreibt er eine Vision aus dem himmlischen Thronsaal.
4, 1 Danach sah ich – sieh doch:
Im Himmel stand eine Tür offen.
Und die Stimme, die ich am Anfang gehört hatte, – die Stimme, die wie eine Trompete klang –
sagte zu mir: »Komm hier herauf. Ich will dir zeigen, was in Zukunft geschehen muss.«
2 Sofort ergriff der Geist Gottes Besitz von mir
Um den Thron Gottes herum sieht Johannes Älteste, Geister und vier Tiere, die Gott verehren. Auch das fünfte Kapitel spielt in diesem Thronsaal. Ich lese die Verse 1-7
1 Ich sah:
Der auf dem Thron saß, hielt eine Schriftrolle in der rechten Hand. Sie war auf der Vorder- und Rückseite beschrieben und trug sieben Siegel.
2 Und ich sah einen mächtigen Engel. Er rief mit lauter Stimme: »Wem steht es zu, das Buch zu öffnen und seine Siegel aufzubrechen?«
3 Doch niemand war in der Lage, die Schriftrolle zu öffnen und hineinzuschauen – weder im Himmel noch auf der Erde noch unter der Erde.
4 Ich weinte sehr. Denn es fand sich niemand, dem es zustand, die Schriftrolle zu öffnen und hineinzuschauen.
5 Da sagte einer von den Ältesten zu mir: »Weine nicht! Sieh doch: Der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross aus der Wurzel Davids, hat den Sieg errungen. Er kann die Schriftrolle und ihre sieben Siegel öffnen!«
6 Dann sah ich: Bei dem Thron, umgeben von den vier Wesen und dem Kreis der Ältesten, stand ein Lamm. Es sah aus, als ob es geschlachtet wäre. Es hatte sieben Hörner und sieben Augen. Diese Augen sind die sieben Geister Gottes, die in die ganze Welt gesandt worden sind.
7 Das Lamm ging zu dem, der auf dem Thron saß. Und es nahm die Schriftrolle aus seiner rechten Hand in Empfang.
Johannes sieht in seiner Vision ein Buch, oder – wie damals üblich – eine Buchrolle. Der auf dem Thron sitzt, hält es in seiner Rechten. O, wie gut, denkt er, jetzt werde ich etwas über den Lauf der Zeiten, über Sinn und Ziel der Geschichte, über meinen Weg und unsere Geschicke erfahren.
Aber die Rolle ist versiegelt.
Sieben Siegel, entsprechend dem endgültigen Charakter des Inhalts der Schrift, verschließen sie. Nun muss erst derjenige gefunden werden, der berechtigt ist, die Siegel zu zerbrechen und die Rolle zu öffnen.
Doch, o Weh, es findet sich niemand, der würdig ist, so laut der Engel auch ruft. Johannes muss feststellen, dass auf der Erde und im Himmel niemand in der Lage ist, die Schrift zu öffnen.
Das ist schmerzlich.
Dann bleiben die Menschen in Not ohne Aussicht, ohne Hoffnung. Niemand kann Auskunft geben über Sinn und Zukunft. Johannes weint, weint mit den Weinenden, den Schwestern und Brüdern in den verfolgten Gemeinden.
Er weint um die, die nicht die Kraft haben, in der Verfolgung standzuhalten, die dem Druck nachgeben werden und den Kaiser anbeten, sich vor seinem Standbild verneigen werden. Er weint um derer willen, die den Glauben an Jesus Christus als den Sohn, den Gesandten, den Retter Gottes festhalten, aber immer weniger werden, ein kleines, übriges Häuflein.
Johannes weint mit der ganzen Schöpfung, die – in den Worten von Paulus[1] – seufzt wie in Wehen, die ängstlich harrt, sich sehnt nach Befreiung.
»Weine nicht! sagte einer der Ältesten,
Sieh doch: Der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross aus der Wurzel Davids, hat den Sieg errungen. Er kann die Schriftrolle und ihre sieben Siegel öffnen!«
Johannes sieht sich um, und sieht ein Lamm. Zum Glück kennt sich Johannes aus mit der Bildsprache dieser Offenbarungswelt. Er weiß, dass mit dem Löwen aus dem Stamm Juda der Messias gemeint ist. Er weiß auch, wer das Lamm ist. Die Gemeinde, an die er schreibt, weiß es auch.
Das Lamm, … es ist Jesus Christus, der aus dem Hause Juda und der Familie Davids kommt, der am Kreuz gestorben ist, wie ein Lamm geschlachtet, der auferstanden ist, Tod und Teufel überwunden hat, der lebt und regiert. Man erkennt noch die Verwundungen, aber es lebt.
Das Lamm nimmt die Buchrolle aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron sitzt, es öffnet die Siegel und die Geschichte kommt in Gang, bis das Böse sein Ende gefunden hat und ein neuer Kosmos entsteht vor den Augen von Johannes.
Johannes versteht die verborgene Botschaft dieser Bilder. Und die Gemeinde auch, der er seine Aufzeichnungen schicken wird. Auf dem Thron sitzt nicht der römische Kaiser, sondern Gott. Die Welt ist nicht der Macht derjenigen ausgeliefert, die scheinbar das Sagen haben. Sondern sie liegt in Händen des Herrn, den wir kennen und dem wir vertrauen, und der uns kennt und lieb hat.
Ja, die Macht wird Jesus Christus übertragen.
Er hält die Schlüssel der Zukunft in Händen. Die Zukunft liegt in der Hand dessen, der auf dieser Erde gelebt hat und ihr seine Liebe und sein Leben geschenkt hat. Die Macht der sich hingebenden Liebe Christi hat das entscheidende und das letzte Wort in der Geschichte. Es ist der Löwe, der ein Lamm ist, der die Schlüssel hat.
„Suchen Sie sich ein Tier aus, das Ihnen dabei hilft, Stärke zu gewinnen“, sagt der Coach im Beratungsgespräch zu der Frau gegenüber. Sie ist in ihrer Firma aufgestiegen, aber dennoch bekommt sie es in kniffligen Gesprächen mit der Angst zu tun, fühlt sich unsicher und zu schwach.
Da legt der Coach viele verschiedene Tiere in Spielzeuggröße auf dem Tisch, ein Lamm auch. Was wählt die Frau aus? Den Tiger! Den Wolf hätte sie auch nehmen können, aber der hat ja bei manchen ein Imageproblem.
Und sie erzählt zwei Wochen später: „Das läuft super mit dem Tiger. Bei schweren Gesprächen mache ich jetzt kurz die Schublade auf, gucke auf den Tiger, und weiß, der ist in meiner Nähe. Ich krieg etwas von seiner Stärke!“ [2]
Ich glaube, ich hätte auch nicht das Lamm genommen. Das wäre mir zu schwach. Auf meinem Fensterbrett stehen zwei kleine Plastikpferde, stolze Friesen. Das wäre schon eher was.
Und doch ist es das Lamm, das in der Offenbarung des Johannes die Schlüssel in der Hand hält. Es ist Christus in seiner Klarheit, seiner Konsequenz, seiner Verletzlichkeit, seiner alles überwindenden Liebe.
Müssen wir ihn sehen und es ihm gleich tun, wenn wir wollen, dass sich Türen öffnen? Ihn, der zu den Verängsteten spricht: „Warum bist du so furchtsam – vertraut mir.“
Ihn sehen, der sagt: „Geht hin, ich sende euch meinen Geist.“
Es ihm gleichtun, der auf die Frage, wie oft man vergeben soll, sagt: „Sieben mal siebzigmal.“
Ihn, der sagt: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“
So wird es wohl sein, dass wir ihn sehen müssen und es ihm gleich tun. Vielleicht öffnet sich manche Tür, wenn wir mit ihm daran gehen. Mit Christus öffnen sich Türen. Das wäre doch mal einen Versuch wert in dieser Adventszeit. Immer wieder mit ihm eine Türe öffnen, in mir und zu anderen. Unser ganz eigener lebendiger Adventskalender.
Amen
Chr. Huss, Königsfeld
[1] Röm 8,22
[2] http://predigten.evangelisch.de/predigt/was-wird-aus-ihm-predigt-zu-offenbarung-5-1-14-von-christian-stasch
Foto: Huss