Gott – ganz groß oder ganz nah?
7. Juni 2020 (Trinitatis), Num 6, 22 – 27
7. Juni 2020 (Trinitatis), Num 6, 22 – 27
Lesung: Jesaja 6,1-8
Liebe Schwestern und Brüder,
Hände geben findet gerade nicht statt. Der Mangel an Nähe und Berührung ist bedauerlich.
Manchmal finde ich den Abstand, zu dem wir im Moment verpflichtet sind, als aber auch gut und angenehm. Bei manchen Leuten kann ein Händedruck etwas Zwingendes haben, wenn jemand fest zupackt und einen gar nicht mehr loslässt. Es ist nicht angenehm, wenn einen jemand so im Griff hat.
Da ist ein Grüßen auf etwas Abstand … viel offener.
Es lässt Platz, es eröffnet Raum, der gefüllt werden kann mit freundlichen Blicken und wohlwollenden Worten.
Wir üben gerade gezwungenermaßen diese Z u w e n d u n g m i t P l a t z d a z w i s c h e n .
Platz für die beiden, die sich begegnen,
Platz auch noch für andere.
Platz auch für Gott.
Diese Übung – Zuwendung mit Platz dazwischen – ist gar nicht so schlecht.
In den Texten des heutigen Sonntages geht es um die Zuwendung Gottes, des großen Gottes, des unendlichen, unbegreifbaren, alles umfassenden Schöpfers.
„Gott: ganz groß oder ganz nah?“, habe ich diesen Gottesdienst überschrieben.
Die Antwort ist: beides. Die Nähe hebt seine Größe nicht auf, im Gegenteil, sie macht sie erlebbar.
Der Prophet Jesaja, von dem wir in der Lesung gehört haben, nimmt bei einem Besuch im Tempel Gottes Gegenwart wahr und ruft erschreckt aus[1]:
Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
Jemand, der Gott zu nahe kommt, vergeht. Davon sprechen die Schriften des Alten Testaments immer wieder. Diese Ehrfurcht vor der Größe und Herrlichkeit Gottes ist dem heutigen Menschen meist abhanden gekommen.
Mit vollem Recht haben wir in der Kirche immer wieder von der Liebe Gottes gesprochen. Aber leider ist so für viele das Bild von einem Kuschelgott entstanden, den man nicht erst zu nehmen braucht.
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, die Gottes Größe und den Abstand wieder wahrzunehmen und angemessen von Gottes Größe zu sprechen, die sich unserem Begreifen entzieht. Damit wir das Staunen wieder zu gewinnen, dass der große Gott, der, der die Welt mit ihren Milchstrassen, Galaxien und schwarzen Löchern geschaffen hat, für den tausend Jahre sind wie ein Tag, dass der uns Menschen sieht und sich uns zuwendet.
Hören wir den heutigen Predigttext aus 4. Mose 6, 22 – 27
22 Und der HERR redete mit Mose und sprach: 23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
Segnen ist Zuwendung mit Platz dazwischen.
Das erfahren wir, wenn wir uns vor Augen führen, wie dieser Segen noch heute im jüdischen Gottesdienst ausgesprochen wird.
Die Kohanim (Priester) verlassen den Gebetsraum, ziehen Schuhe aus, bekommen von Leviten Hände gewaschen, wenden sich dann erst an Gott, der den Befehl zu segnen gegeben hat, sie segnen Gott. Dann sprechen sie den Segen in den alten Worten, gemeinsam, mit gespreizten Fingern (durchlässig).
Die Abbildung der zum Segen geöffneten Hände findet sich auf vielen jüdischen Grabsteinen. Diese Geste lässt Platz, sie öffnet Raum für alle Arten der Zuwendung Gottes und lässt auch dem Menschen Platz.
Immer wenn der oder die dazu Beauftragte im Gottesdienst oder in besonderen Situationen diesen Segen ausspricht, segnet Gott. Nicht etwa, weil Menschen sich seines Segens bemächtigen könnten, oder auf Grund einer magischen Kraft eines Priesters, sondern weil Gott segnen möchte und den Auftrag dazu gegeben hat.
Aber der Segen lässt Platz. Er kann auch zurückgewiesen werden vom Empfänger[2], er überrollt niemand. Gott zwingt niemand, er hält Abstand.
Auch Gottes Zuwendung ist Zuwendung mit Platz dazwischen. Aber wer sich dem nicht verschließt, ist gesegnet.
Mit diesen alten, ehrwürdigen Worten segnen auch christliche Pfarrerinnen und Pfarrer heute die Gemeinde im Gottesdienst. Wieso überhaupt? Luther hat dies so eingeführt.
Es fragt sich, was uns berechtigt, diesen 3000 Jahre alten aaronitischen Segen in unserem Gottesdienst zu verwenden. Es ist der Segen über Israel. Aber schon Abraham wird angedeutet[3]:
3 … in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Hier wird Gottes Zugehen auf die ganze Völkerwelt angedeutet. Schließlich hat Gott seinen Sohn Jesus Christus gesandt, um alle Menschen einzuladen, zu ihm zu gehören. Zusätzlich zu den Juden, mit ihnen unaufgebbar verbunden.
Das mag der Grund sein, warum in der Brüdergemeine die Gemeinde an den aaronitischen Segen den Satz anfügt „In Jesu Namen“. Als staunendes und dankbares Erkennen, dass wir diese heiligen Worte dank Jesus Christus auch uns sagen lassen dürfen. Dieser Gott ist auch unser Gott. Der eine, drei-eine, wie wir ihn erfahren. Er hat sich den Menschen gezeigt in Jesus Christus und wirkt unter uns durch seinen Heiligen Geist.
Er wendet sich uns zu, vielfältig und mit Platz dazwischen.
Es öffnet sich ein Raum des Segens.
Amen
Christoph Huss
[1] Jes 1, 5
[2] vgl. Lk 10,5; Mt 10,13
[3] Gen 12,3; vgl. Gal 3,9
Christoph Huss
[1] Jes 1, 5
[2] vgl. Lk 10,5; Mt 10,13
[3] Gen 12,3; vgl. Gal 3,9
Foto: Djampa / CC BY-SA 4.0