Predigt vom 08. Oktober 2023, 18. Sonntag nach Trinitatis
2. Buch Mose 20, 1-21
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Liebe Schwester, liebe Brüder!
Die Zehn Gebote. Es gibt Dinge, es gibt Worte, es gibt Slogans, die einfach gewaltig sind. Die Zehn Gebote gehören dazu. Was denkt man, wenn man diese drei Worte hört? Beim Bibelgespräch am vergangenen Donnerstag sagte ein Teilnehmer, er sehe immer das Zeigefinger Gottes auf ihn gerichtet. Ich denke immer an den Hollywood-Film mit Charlton Heston. Von 1956. Ein bombastischer Film. Mit einem bombastischen Titel. „Die Zehn Gebote“.
Dennoch, trotz alledem glaube ich nicht, dass wir wirklich fassen können, genau wie bombastisch die Verkündigung der Zehn Gebote damals für das jüdische Volk war. Das Volk Israel hatte gerade um die 400 Jahre in ägyptischer Gefangenschaft verbracht. 400 Jahre. Generation nach Generation von Menschen wurde in Ägypten geboren, großgezogen und sind dort gestorben. 400 Jahre lebtes das Volk in einem fremden Land mit einer fremden Kultur. Naja. 400 Jahre. Kann nach 400 Jahren eine Kultur noch fremd sein. Wohl kaum. Deutschland war für nur 29 Jahre durch die Mauer getrennt. Wir verspüren immer noch wie unterschiedlich Ost und West sich entwickelten. Wie fremd kamen sich die Menschen manchmal vor – nach der Wende – aus dem Osten – und aus dem Westen. Die Unterschiede sind ja immer noch nicht überwunden. Und das nach nur 29 Jahren.
Als Mose den Berg Sinai hinabstieg und die Zehn Gebote mit sich brachte, steckte das jüdische Volk in einer Identitätskrise. Wer sind wir? Wer ist dieser Mose, der uns anführt? Und Gott? Wer war er? Das jüdische Volk lebte 400 Jahre in einem Land mit unzähligen Göttern, deren Gestalt man sehen und anfassen konnte. Denn es gab Idolen von ihnen. Und nun will dieser Mose und ein Gott, den wir nie gesehen haben, uns anführen? Dieser Gott nennt sich „Ich bin, der ich bin — und der ich sein werde“. Ein bisschen viel für den Durchschnitts-Israeliten zu verkraften. „Ich bin, der ich bin – und der ich sein werde?“ Wer soll das verstehen?
Na gut. Kapitel 20 fängt nicht gleich an mit der Verkündigung der Zehn Gebote. Nein. Sondern Gott stellt sich vor: „Ich bin der Herr, dein Gott; ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit.“ Gut. Nun wissen wir, wer es ist, der mit uns redet. Und was will er? „Du sollst außer mir keine anderen Götter verehren! Fertige dir keine Götzenstatue an, auch kein Abbild von irgendetwas am Himmel, auf der Erde oder im Meer. Wirf dich nicht vor solchen Götterfiguren nieder, bring ihnen keine Opfer dar!“ Also, Israeliten, weil ich es bin, der Euch aus der Sklaverei befreit habe, solltet ihr keine anderen Götter verehren. Ich habe eure Loyalität verdient. Ich habe eure Ehrerbietung verdient. Also wag es nicht, Abbildungen von Dingen am Himmel, auf der Erde oder im Meer zu verehren. Wie es in Ägypten üblich war!
Gott will erstens sich von den Göttern, von der Religion und von den religiösen Bräuchen distanzieren, die sein Volk über 400 lange Jahre kannte. Und er will unterbinden, dass sein Volk seine Schöpfung verehrt anstatt der Schöpfer selbst. Deswegen werden Himmel, Wasser und Erde genannt. Das schließt alle möglichen „Wohnorte“ von potenziellen „Göttern“ ein, die nicht zufälligerweise sämtliche ägyptischen Götter komplett einschließt – oder ausschließt. Gott will dem Volk sagen: Lasse endgültig zurück, alles, was ihr über die letzten 400 Jahre von Religion gekannt habt. Nun gehört ihr mir!
Die Zehn Gebote sind so wunderschön aufgebaut. Gott stellt sich vor. Gott etabliert seine Einzigartigkeit und verlangt seine exklusive Verehrung durch das jüdische Volk. Dann in logischer Folge verbietet Gott die „“Fertigung“ und „Verehrung“ von Gegenständen, die das Volk evtl. anfertigen wolle. Also Götzenstatue. Stattdessen sollen sie den Schöpfer selbst verehren. Dann folgt das Verbot sein Name zu missbrauchen. Das folgt aus dem Gebot, Gott zu verehren. Denn wenn man sein Name missbraucht oder missachtet, verehrt man ihn nicht.
Und dann folgt das Gebot, den Sabbat zu halten. Gott, der Schöpfer, hat alles in sechs Tagen erschaffen. Er ruhte sich dann am siebten Tag aus und etablierte dadurch den Rhythmus, mit dem wir die Zeit regeln. Mit dem wir unsere Leben regeln. Es gibt eine traditionelle Einteilung der Gebote in zwei Kategorien: Die Gebote, die unsere Beziehung mit Gott betreffen und die Gebote, die unsere Beziehung miteinander betreffen. Die ersten vier Gebote gehören der ersten Kategorie an und die letzten sechs gehören der zweiten Kategorie an.
Das Gebot zur Heiligung des siebten Tages ist die perfekte Brücke zwischen den Geboten, die Gott betreffen und denen, die den Menschen betreffen. Und durch das Sabbat-Gebot nähert sich Gott dem Volk an. Sie haben etwas gemeinsam. Sie ruhen sich am siebten Tag aus. Der sonst unnahbare Gott wird plötzlich nahbar. Am Sabbat liegen wir neben ihm in der Hängematte im Garten und ruhen uns gemeinsam aus. Zum ersten Mal nimmt Gott menschliche Züge an.
Die Bibel erzählt an mehreren Stellen, dass die Gebote auf zwei Tafeln geschrieben waren. Auf beiden Seiten. Zu der Tradition, dass die zwei Kategorien der Gebote, die ich gerade geschrieben habe, auch so auf die Tafeln geteilt waren, schweigt die Bibel. Das wissen wir nicht.
Im Markusevangelium Kapitel 12, Verse 30-32 sagt Jesus, dass das wichtigste Gebot sei: Gott von ganzem Herzen zu lieben, so wie die Nächstenliebe. Das ist eine Zusammenfassung von den zwei Kategorien der Zehn Gebote. Gott ehren—Jesus sagt lieben – und meine Nächsten lieben. Denn, wenn wir die sechs Gebote einhalten, die unserem Umgang mit unseren Mitmenschen betreffen, dann leben wir die Nächstenliebe aus. Wir leben in der Nächstenliebe.
Ich erwähnte anfangs den Spielfilm von 1956 mit Charlton Heston. Der Film war sehr brav. Man könnte sogar ehrfürchtig sein. 1981 kam ein zweiter Film. Vom jüdischen Regisseur Mel Brooks. Dieser Film war nicht brav. Aber er war auch nicht wirklich blasphemisch. Er war aber eine Komödie. In der Szene, wo Mose vom Berg Sinai hinabsteigt, trägt er drei Tafeln. Nicht zwei. Mose verkündet: „Der Herr Jehovah hat Euch diese 15 Ge-“ Er stolpert. Eine Tafel lässt er fallen. Sie zerbricht. „diese Zehn Gebote“ führt er den Satz zu Ende.
Da fragt man sich: Was wäre, wenn es 15 gewesen wären? Oder 20? Welche Gebote oder Verbote wären dabei gewesen? Wir wissen, der jüdische Talmud enthält viel mehr als zehn Gebote. Er basiert sich allerdings auf den Zehn Geboten. Er ist eigentlich eine Auslegung der Zehn Gebote.
Wenn man sich die Zehn Gebote anschaut – es ist nicht wirklich etwas zuzufügen. Wenn ich über Leben, meine Vergehen – ja, meine eigenen Sünden – reflektiere, kann ich sie immer einer der Zehn Gebote zuordnen. Da ist nichts zuzufügen. Genau wie Jesus das Gesetz als die Liebe zu Gott und die Liebe zu meinen Mitmenschen zusammenfasste.
Und nun ein letzter Gedanke: Die Israeliten. Das Volk Gottes. Raus aus der Sklaverei. Raus aus Ägypten. Mitten in dem Nichts. Am Fuß vom Berg Sinai. Heimatlos. In der Wüste wandernd. Für die Israeliten waren die Zehn Gebote keine Strafe. Sie waren ein Segen. Sie gaben ihnen Halt. Sie gaben ihnen Sicherheit. Sie gaben ihnen Regeln. Verhaltensregeln. Ethische Regeln. Sie gab ihnen Trost. Wenn ich nicht stehlen soll, darf auch niemand etwas von mir stehlen. Wenn ich nicht töten soll, muss ich mich nicht fürchten, dass jemand mich tötet. Die Zehn Gebote brachten Stabilität und Sicherheit in das Leben eines Haufens von Ex-Sklaven, die durch die Wüste wanderten und nicht wussten, was morgen auf sie wartete.
Die Zehn Gebote bilden die gesetzliche Grundlage von jedem Staat, der von den jüdischen und christlichen Traditionen tangiert wurde. Sie prägen unser Alltag. Immer noch. Sie sind genial. Ihr Autor ist genial. Und wir dürfen ihn Vater nennen. Amen.
Gerald MacDonald
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