15. Oktober 2023 · 19. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: Jakobusbrief 5, 13-16
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Macht jemand von euch Schweres durch? Dann bete er! Erlebt jemand eine Zeit der Ermutigung? Dann singe er Loblieder! Ist jemand von euch krank? Dann bitte er die Ältesten der Gemeinde zu sich, damit sie für ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Ihr Gebet, im Glauben gesprochen, wird dem Kranken Rettung bringen; der Herr wird ihn seine Hilfe erfahren lassen. Und wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden. Darum bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet. Das Gebet eines Menschen, der sich nach Gottes Willen richtet, ist wirkungsvoll und bringt viel zustande. (Jakobusbrief 5, 13-16)
Liebe Gemeinde,
der Brief des Jakobus enthält viele Rätsel. Es ist schwierig, ein Schriftstück, das vor etwas weniger als 2000 Jahren geschrieben wurde, in seiner Ganzheit zu verstehen.
Martin Luther tat sich mit dem Brief schwer und hat ihn eine „Stroherne Epistel“ genannt. Warum eigentlich? Weil für Luther Gottes Gnade alles ist und der Mensch ziemlich hilflos, was sein Seelenheil betrifft. Alles hängt von Gottes Gnade ab.
Jakobus hingegen, interessiert sich stark für das Leben eines Christen. Das christliche Leben. Der Predigttext für heute stammt vom Ende des Briefes, in dem Jakobus die Gemeinde ermahnt, bittet und warnt.
Aber wer ist dieser Jakobus, und welche Gemeinde ist es, an die er schreibt? Die Überlieferung geht davon aus, dass Jakobus einer der Brüder Jesu war, dem der Spitzname „der Gerechte“ geben wurde. Über die Gemeinde oder die Empfänger des Briefes lässt sich kaum etwas sagen. Wir wissen nur, dass er an die zerstreuten Christen ging. Zu der Zeit, wo der Brief geschrieben wurde, waren ja alle Christen, genau wie die Juden in alle Welt verstreut. Mit anderen Worten, wir können sagen, der Brief ist an alle Christen gerichtet. Auch an uns.
Jakobus denkt am Ende seines Briefes an die Kranken in der Gemeinde. Und er beschreibt eine Verhaltensweise, die uns „modernen Menschen“ doch etwas merkwürdig erscheinen mag. Sie ist vielleicht antiquiert, altmodisch oder unmodern. Denn wir wissen ja alle: wer krank ist, der geht zum Arzt. Er lässt sich eine Medizin verschreiben, legt sich ins Bett und kuriert seine Krankheit aus, sofern die Krankheit nicht zu gravierend ist.
Wenn man allein lebt, kann es mit dem Auskurieren schwierig sein, denn man muss ja auch wenigstens für Essen sorgen usw. Aber manchmal hat man ja liebe Nachbarn, die sich kümmern, wenn sie mitbekommen haben, dass es einem schlecht geht.
Bei chronischen Erkrankungen ist es nicht wesentlich anders, denn auch dann lässt man sich doch in der Regel von einem Arzt betreuen und nimmt regelmäßig irgendwelche Pillen ein. Viele solcher Erkrankungen erlauben dann wenigstens für einige Zeit noch ein ganz normales Leben. Manche Krankheiten verschlechtern sich allmählich, und irgendwann wird es dann doch nötig, dass man gepflegt wird – entweder von Familienangehörigen oder in einem Pflegeheim.
Vor zweitausend Jahren war es natürlich etwas anders, was die Pflege und Fürsorge anging. Die Menschen lebten in größeren Familienverbänden zusammen, und wenn nicht im gleichen Haus, dann zumindest im gleichen Dorf. Man kümmerte sich gegenseitig umeinander, besuchte sich regelmäßig, und wer Hilfe brauchte, dem wurde diese Hilfe auch gegeben. Meist genügten die allgemeinen Kenntnisse von Heilpflanzen, um bei Infektionskrankheiten zu helfen. Nur in schlimmen Fällen wurde ein Arzt hinzugezogen, sofern einer erreichbar war.
Und wer auf Pflege angewiesen war, wurde natürlich von seinen Familienangehörigen gepflegt. Es gab also eine deutliche Nähe der Menschen zueinander. Krankheit und Gebrechlichkeit wurden nicht aus dem Alltag ausgeklammert, wie es heute oft der Fall ist, sondern gehörten zum Alltag dazu. Und da war es ja selbstverständlich, dass die Menschen für ihre Kranken beteten, denn sie erwarteten, dass Gott es ist, der Heilung schafft.
Aber Jakobus beschreibt es noch etwas anders: er redet von den Ältesten, die durch den Kranken gerufen werden sollen, damit sie für ihn beten und ihn salben. Es ist also nicht der Familienverbund, sondern die Gemeinde, die sich um das Wohl des Kranken kümmert. Das erinnert an die katholische Praxis der Krankensalbung, und tatsächlich wird die Krankensalbung auf diesen Text zurückgeführt. Die römisch-katholische Kirche hat diese Handlung allerdings zu einem Sakrament, d. h. zu einer heiligen Handlung, erhoben, die darum auch nur vom Priester angeboten werden kann.
Jakobus hingegen spricht von den Ältesten der Gemeinde. Das würde nach unserem heutigen Verständnis dem Kirchenvorstand entsprechen. Es sollen also Kirchenvorsteherinnen oder Kirchenvorsteher diesen Dienst an den Kranken ausüben: Sie sollten für die Kranken beten und sie mit Öl im Namen des Herrn salben. In manchen freikirchlichen Gemeinden wird diese Praxis geübt, aber der Kranke muss darum bitten, so, wie Jakobus es beschreibt.
Und wie sieht es bei uns aus? Wir haben einen Besuchsdienst, der sich bemüht, Gemeindeglieder zu besuchen, die im Alten- und Pflegeheim Christoph-Blumhardt-Haus leben. Leider haben nur wenige Altenheime einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin, der oder die sich um die Bewohner kümmert. Deren Seelsorge fällt dann den ortsansässigen Pfarrerinnen und Pfarrern zu. Die Seelsorge in Krankenhäusern und Altenheimen besteht größtenteils aus Andachten und Besuchen von Patienten und Bewohnern, die es sich wünschen. Krankensalbungen sind sehr selten. Warum ist das so? Trauen wir dem Gebet oder der Krankensalbung nichts zu?
Die Salbung ist eine Handlung, die in der Geschichte des Volkes Israel mit dem Königtum verbunden war, denn der König wurde gesalbt. Durch die Salbung wird sichtbar vermittelt, was sich eigentlich im Unsichtbaren passiert: Eine Verbindung mit Gott wird hergestellt. Die Salbung macht deutlich, dass auf dem Gesalbten der Geist Gottes ruht.
Und so hat die Salbung eines Kranken natürlich eine ganz ähnliche Bedeutung: durch die Salbung wird sichtbar gemacht, dass der Mensch auch in der Krankheit in Gott geborgen ist und seiner Nähe gewiss sein kann. Deswegen ist die Salbung eines Kranken durchaus ein gutes Mittel, um die Nähe Gottes spürbar zu machen.
Aber Jakobus belässt es nicht bei der Aufforderung zum Gebet und zur Salbung des Kranken. Er fügt eine Verheißung an, indem er schreibt: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten“. Man fragt sich, wenn auf dem Gebet eine solche Verheißung liegt, warum tun wir es dann so selten?
Es gibt ein Sprichwort „Not lehrt beten“. Im Englischen sagt man, there are no atheists in foxholes (es gibt keine Atheisten in Schützengräben). Und auch in unserem modernen Zeitalter, ich vermute, dass die Menschen, die unheilbar krank geworden sind, das Beten wieder gelernt haben. Aber bitten sie andere Menschen, für sie zu beten?
Jakobus beschreibt in unserem Predigttext eine Kultur des Gebetes. Es ist eine Kultur, die uns ziemlich verlorengegangen ist. Wir beten im Gottesdienst, vielleicht sprechen wir ein Tischgebet, und das war es dann – zumindest bei den meisten Menschen.
Dabei ist das Gebet eine große Hilfe. Denn es stärkt das Vertrauen in die heilsame Kraft Gottes. Und das besondere ist, dass eine solche Stärkung beide erfahren: die Person, für die gebetet wird, und auch der Beter.
Es geht in dem Gebet für unsere Kranken allerdings nicht darum, Wunder herbeizuführen. Eine Erkältung muss nicht über Nacht verschwinden. Ein gebrochener Knochen muss nicht in Sekundenschnelle wieder zusammenwachsen. Ein Krebskranker muss nicht schlagartig gesund werden. Das Gebet dient dazu, den Kranken der Obhut Gottes anzubefehlen. Denn Gott allein kennt die Zukunft.
Das Gebet richtet auf, sagt Jakobus. Und dann sagt er: „wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.“ Die Sache mit der Sünde ist Jakobus so wichtig, dass er den Gedanken fortführt: „Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.“
Sünde und Krankheit liegen eng beieinander, allerdings nicht so, wie manche es vielleicht vermuten würden: Eine Krankheit ist nicht die Folge von Sünde, sie ist keine Strafe Gottes. Zumindest nicht direkt so.
Eine Krankheit zeigt an, dass etwas nicht in Ordnung ist. Der Körper kann nicht so funktionieren, wie er sollte, weil einzelne Teile des Körpers geschwächt sind. So ähnlich ist es mit der Sünde: durch sie wird das Miteinander der Menschen untereinander, aber auch das Miteinander des Menschen mit Gott gestört – es funktioniert nicht so, wie man es erwartet und wie Gott es beabsichtigt hat. Anders gesagt: Das Leben gelingt nicht.
Jakobus ermutigt uns in seinem Brief dazu, alles zu tun, damit das Leben gelingen kann. Ja, das christliche Leben. Und das heißt: einander die Sünden bekennen und füreinander beten, damit wir gesund werden.
Am Ende unseres Predigttextes hören wir noch einmal eine Verheißung: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ Oder anders formuliert: Das Gebet vermag viel, wenn Du nur daran glaubst.
Der Glaube macht es möglich, dass das Gebet aufrichtet und dass Sünde vergeben wird. Der Glaube macht es möglich, dass Leben gelingt. So stärke Gott unseren Glauben, damit wir füreinander vor Gott eintreten und unsere Leben – unsere christlichen Leben – gelingen kann.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gerald MacDonald
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