Außen vor
29. März 2020 (Judika), Hebr 13, 11-14
29. März 2020 (Judika), Hebr 13, 11-14
Lesung: Markus 10, 35-45
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Zuhörer und Leserinnen zu Hause!
Da sitzen wir als Gemeinde jeder in seiner Butze, jede hinter ihrem Bildschirm. Und ich stehe hier im Kirchensaal in Königsfeld vor heute sogar zwei Kameras und weiß nicht einmal, ob die Übertragungen wirklich klappen und mich überhaupt alle ordentlich verstehen können.
So versuchen wir Verbindung zu halten durch einen Haufen Technik oder ein bisschen bedrucktes Papier. Wir können uns nicht sehen, können uns keine Hand geben, können keine Tasse Kaffee und ein paar Kekse miteinander teilen.
Viele Menschen fühlen sich im Moment außen vor.
Abgründe überwinden, wie geht das?
Das ist eine alte Menschheitsfrage. Denn solche Abgründe gab es schon immer, zwischen Mensch und Mensch und auch zwischen Menschen und Gott. Menschen werden schuldig, Beziehungen gehen kaputt, aus Unachtsamkeit oder aus Zerstörungswut. Für diese Abgründe hat die Bibel das heute vielen Menschen fremde Wort „Sünde“.
Zur Überwindung dieses Abgrunds der Sünde gab es im gottesdienstlichen Leben des Volkes Israel unter anderem das große Versöhnungsfest. Das gibt es immer noch, es wurde aber im ersten Jahrhundert vor Christus, als es noch einen Tempel gab, in dem Tieropfer gebracht werden konnten, ganz anders gefeiert.
Auf diesen Opferritus bezieht sich der Bibelabschnitt, der heute als Predigttext vorgeschlagen ist. Er vergleicht das, was Jesus für die Menschen getan hat, mit diesem alten Ritus.
Hebräer 13, 11-14 (Basis-Bibel)
11 Beim Sündopfer bringt der Oberste Priester das Blut der Opfertiere ins Heiligtum. Ihre Körper werden außerhalb des Lagers verbrannt.
12 Darum hat auch Jesus außerhalb des Stadttores gelitten. Denn durch sein eigenes Blut wollte er das Volk heilig machen.
13 Lasst uns daher zu ihm hinausgehen vor das Lager. Wir wollen die Schande auf uns nehmen, die er zu tragen hatte.
14 Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt. Sondern wir suchen nach der zukünftigen Stadt.
Im ersten Abschnitt habe ich darüber gesprochen, wie leicht Menschen außen vor stehen.
Nun erfahren wir, dass auch Christus außen vor steht. Das hat sich in seinem Leben gezeigt, wenn er so ganz anders geredet und gehandelt hat, also Menschen es erwartet haben.
Immer wieder hat er Abgründe überwunden und hat sich damit außerhalb des Üblichen gestellt.
Dass Jesus außen vor steht, zeigt sich bei seinem Leidensweg. Er führte ihn nach draußen, vor die Stadt. Natürlich war die Hinrichtungsstätte draußen vor der Stadt. Dort vergoss er sein Blut.
Das ist der Vergleichspunkt für den Schreiber des Hebräerbriefes. Jesus gibt sich hin für die Menschen, er bringt ein Opfer. Er tut dies, um den Abgrund zu überwinden, den menschliche Kurzsichtigkeit und Verfehlung aufgerissen haben.
Hier ist es die Deutung als Opfer. Eine andere Deutung der Hingabe Jesu ist die vom Lösegeld, die er selbst im Gespräch mit den Jüngern nennt, wir haben es in der Lesung gehört. Es gibt viele Deutungen, was der Tot Jesu für die Menschen bedeutet. Manche sind uns fremder als andere. Wir werden wohl nie ganz verstehen, warum Gott diesen Weg ging, um uns zu versöhnen[1].
Vorhin haben wir es in dem Lied gesungen: Seh ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden ein Ärgernis und eine Torheit werden: so sei’s doch mir, trotz allen frechen Spottes, die Weisheit Gottes.
Unbegreiflich, dass Gott sich in Jesus Christus so verletzlich macht. Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene.
Es geht dabei nicht um Erniedrigung oder Ausbeutung, sondern darum, dass einer da ist für andere.
Wer so handelt, der weiß sich mit Gott in guter Gesellschaft.
Ich habe große Bewunderung für die Arzte und die Menschen in der Pflege, die in vielen Ländern bis zum Umfallen für die Kranken da sind. Oder für die Leute an den Kassen. Wo andere Abstand nehmen müssen und können, sind sie zwangsläufig nah dran und begeben sich selbst in Gefahr.
Wer immer in dieser Zeit – und natürlich auch sonst – für andere da ist, darf sich mit Gott in guter Gesellschaft wissen. Schön, dass wir momentan nicht nur eine verstärkte Empfindlichkeit erleben, sondern auch eine riesige Welle an Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit.
Das ist wunderbar.
Es kommt für uns Christen darauf an, mit Gott in guter Gesellschaft zu sein. Egal ob das bedeutet, das man mittendrin steht. Oder außen vor. Auch Jesus ist mal mittendrin und mal außen vor gestanden.
Auch für seine Nachfolger gilt: Steht dort, wo Jesus steht. Das kann mal mitten drin sein im Leben, beachtet, gesehen. Und mal am Rand, verachtet, ungesehen.
13 Lasst uns daher zu ihm hinausgehen vor das Lager. Wir wollen die Schande auf uns nehmen, die er zu tragen hatte.
Benigna Carstens, früher Pfarrerin in Königsfeld, heute in der Kirchenleitung in Herrnhut, hat eine Predigt für den heutigen Tag herumgeschickt. Sie sollte diese Predigt eigentlich bei einer Konferenz von Brüdergemeinen an diesem Wochenende halten, die abgesagt wurde.
Sie nennt in dieser Predigt Beispiele, wie Christen mit Christus rausgegangen sind aus ihren Mauern:
Schw. Carstens nennt auch Beispiele, wie Christen es ausgenutzt haben, dass ihre Gebäude mitten drin in den Orten stehen:
Mal sind Christen mitten drin, mal draußen. Es sollte uns nicht wundern, wenn wir uns manchmal draußen wiederfinden, wenn wir merken, da können wir nicht mitmachen. Das Anderssein oder Dagegen-Sein sollte aber nicht zum Prinzip erhoben werden. Der Evangelist Johannes macht den schönen Unterschied[2]: Christen sind in der Welt, aber nicht von dieser Welt.
14 Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt. Sondern wir suchen nach der zukünftigen Stadt
Wir richten unseren Blick auf Gottes künftige Welt, wie auch immer wir uns die konkret vorstellen mögen. Es ist eine Welt, in der Leben ganz durch Gottes Willen gestaltet wird. In dieser Orientierung liegt eine große Freiheit.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in einem Brief aus dem Gefängnis: „Tritt aus ängstlichem Zögern hinaus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen“[3]
Amen
Chr. Huss, Königsfeld
[1] Ausführlicher in Dachreiter 1/2020, S. 3
[2] Joh 17, 15f
[3] Zitiert bei Pastoralblätter 3/1996, S. 160