13. August 2023
Epheser, Kapitel 1, Vers 3
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Der Lehrtext für heute, den 13. August ist auch der Predigttext. Die Predigt hat unsere liebe Schwester Benigna Carstens geschrieben. Ich muss sie nicht lesen, ich wäre frei meine eigene Predigt zu machen, aber da Schwester Carstens hier in Königsfeld doch sehr beliebt war und noch ist, wollte ich der Gemeinde die Predigt nicht vorenthalten. Schwester Carstens ist auch meine Chefin, und ich dachte, es wäre eine gute Idee die Predigt vorzulesen. Also, Epheser, Kapitel 1, Vers 3: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.
Gerald MacDonald
Versöhnung geht!
Liebe Schwestern und Brüder,
die Losung von heute passt mal wieder gut, dachte ich. Der 13. August ist in allen Brüdergemeinen weltweit ein Tag, an dem wir Gott für seinen geistlichen Segen danken. Ein Segen, der 2027 nicht im Himmel blieb, sondern im täglichen Miteinander spürbar war. Hatten sie sich vorher fast bis aufs Blut zerstritten, so berichteten sie dann: „Wir lernten lieben“. Immer wieder wird das zitiert. Das Wunder der Versöhnung ist möglich, war ihre Erfahrung. Ein starker Grund zum Feiern jedes Jahr!
In vier Jahren werden wir das 300-jährige Jubiläum dieser Erfahrung, dieses Segens mit einem großen Fest und natürlich einem Abendmahl in internationaler Gemeinschaft begehen.
Aber natürlich: Versöhnung kann man nicht nur als ein vergangenes Geschehen feiern. Versöhnung muss immer neu erfahren werden. Denn Versöhnung hält man nicht fest wie ein kostbares altes Buch.
Denn, das wisst ihr: Ob in unserem persönlichen Umfeld, ob in der Familie, ob in der Gemeinde, ob in unserem Dorf, unserer Stadt – und schließlich natürlich auch den gesellschaftlichen, politischen Zusammenhängen: Überall, wo Menschen zusammenleben, reiben wir uns aneinander. Manchmal sind es wie in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Herrnhut tatsächlich verschiedene Meinungen, unterschiedliche theologische Standpunkte. Heute denken wir da vielleicht an Ansichten über Impfen, Klimawandel, Sexualität etc. Manchmal sind es handfeste Ungerechtigkeiten, die uns entzweien, oder doch als ungerecht Erlebtes, manchmal ist Gewalt im Spiel.
Was wir nicht wollen, ist, den 13. August als unseren großen Versöhnungsfesttag und Wundergedenken hochhalten, ihn mit prächtigen oder auch weniger gewaltigen Abendmahlsfeiern begehen – aber all das, was konkret bei uns nach Versöhnung schreit, außen vorlassen: Den Streit mit dem Nachbarn – keine Chance, ihn beizulegen! Das Schweigen in der Familie – keiner weit und breit, der es brechen könnte. Die Verletzung durch einen Mitarbeiter in der Gemeinde – wie sollte ich das ansprechen, aber ich komme nicht drüber hinweg. Oder gar ganz schlimme Dinge, wie wenn Menschen auch in Gemeinden Opfer von Übergriffigkeiten bis hin zu Machtmissbrauch oder gar sexualisierter Gewalt werden.
Nein, wir können nicht 300 Jahre Versöhnung in Herrnhut feiern, ohne selbst wahrzunehmen, was da ist, wo wir die Kraft der Versöhnung nötig haben. Deshalb heißt unser erster Schritt hin auf das Jubiläum des 13. August im Jahre 2027: Wahrnehmen.
Die Losung von heute lenkt dabei unseren Blick noch einmal fort von den vielen Feldern, in denen wir unversöhnt, womöglich unversöhnlich sind. Die Losung lädt uns ein, zuallererst wahrzunehmen, was die Basis des Ganzen ist.
Denn natürlich, liebe Gemeinde, Paulus dachte, als er am Anfang seines Briefes an die Gemeinde in Ephesos vom Segen im Himmel schrieb, nicht an das Abendmahl in der Berthelsdorfer Kirche 1727.
Ihm ging es darum, einmal grundsätzlich aufzuzählen, was alles Gutes durch Jesu Tod und Auferstehung in unser Leben kommt: Erlösung, Versöhnung mit Gott, Vergebung von Schuld vor allem. Kein Hetzen mehr danach, perfekt sein zu müssen. Keine Angst, doch noch irgendwas übersehen zu haben. Frieden und Freude statt Unruhe und quälende Trauer. Und die Aussicht, dass all das nicht zu Ende ist, wenn unser Leben endet, sondern im Himmel noch mehr Segen auf uns wartet.
Das ist die Basis für allen Segen. Und natürlich, das war auch der eigentliche Grund dafür, dass sich die Herrnhuter 1727 letztlich miteinander versöhnen konnten.
Nur das, euch geht es vielleicht auch so: Wir sind so vergesslich. Viele von uns haben das ja alles sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Und trotzdem häufen sich Tag für Tag, Woche für Woche die kleinen und die größeren Verletzungen an, die, die wir einander zufügen.
Jesus scheint das schon gewusst zu haben. Sich nur daran zu erinnern, dass er irgendwann einmal gelebt hat in Galiläa und Jerusalem, genügt nicht. Nur zu erzählen, was er gepredigt hat von den Vögeln und Lilien, reicht nicht. Nur die Geschichten zu wiederholen, wie er tafelte mit den Zöllnern und Prostituierten und wie er Aussätzige geheilt – und die Außenseiter hineingeholt hat in die Gemeinschaft, ist nicht genug. Nur von seinem Tod zu sprechen – zum Beispiel Leseversammlungen zu halten über seine letzten Tage bis Ostern –, das ist zu wenig.
Was braucht es?
Jesus hatte von klein auf das Passahfest mitgefeiert. Dazu gehören natürlich Lieder, Psalmen, Halleluja-Gesänge, vielleicht eine Predigt. Aber es gehört vor allem ein Stück Nachspielen der großen Geschichte der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten dazu. Es muss in Fleisch und Blut übergehen, dass Gott nicht nur die Vorfahren damals vor über 1000 Jahren aus der Sklaverei befreite, sondern heute noch derselbe ist.
Deswegen stehen auf dem Passahtisch Salz und Mus und Bitterkräuter auf dem Tisch, deswegen das Ei oder der Knochen. Nicht nur damals, nein heute befreit Gott aus Versklavung und Erniedrigung. Wir gehören zur Geschichte. Heute geschieht, was damals geschah.
An diese Feier schloss Jesus kurz vor seiner Hinrichtung das erste Abendmahl an. Der Segen, von dem Paulus in der heutigen Losung schreibt, sollte keine blutleere Theorie bleiben. Deswegen sagt Jesus: „Nehmt und esst.“ Deswegen: „Nehmt und trinkt“. Wie es schon im Psalm heißt und seitdem in vielen Abendmahlsliturgien: „Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.“
Wenn wir heute mit dem Thema Wahrnehmen den ersten Schritt hin auf unser Jubiläum, beginnen, dann spielt sich auch das Wahrnehmen nicht nur im Kopf ab. Sondern, wie der kleine Prinz sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Auch das Wahrnehmen im Glauben ist eine Herzensangelegenheit.
Mir fehlt übrigens ein Element aus der evangelisch-landeskirchlichen Tradition in der Abendmahls-Liturgie der Brüdergemeine. Etwas, das sehr dazu helfen kann, den Segen des Abendmahls mit dem Herzen zu ergreifen. Es ist dies der direkte Zuspruch: „Für dich gegeben!“, bzw. „Für dich vergossen!“ durch die Austeilenden. Ich war schon mal versucht, dies in unsere Liturgie einfach einzufügen.
Doch die Form des Abendmahls in der Brüdergemeine weist natürlich auf der anderen Seite kräftig darauf hin, dass im Abendmahl nicht nur etwas zwischen Gott/ Jesus Christus und mir (als einzelnem Abendmahlsgast) geschieht. Die Liturgie mit dem gemeinsamen Essen (und manchmal auch Trinken) betont im Abendmahl den Charakter des Gemeinschaftsfests.
Auch das Passahfest erinnert ja an mehr als nur eine Privatgeschichte. Es erinnert an die Befreiungsgeschichte der versklavten Juden, die als Gemeinschaft unter dramatischen Umständen aus „dem Sklavenhaus Ägypten“ herausgeholt wurden. Es wird in den Familien, möglichst mit Gästen, gefeiert, und in der Synagoge, aber nie allein.
Ganz ähnlich gestaltet Jesus das Abendmahl als Ritus für eine Gruppe. Es wird die Beziehungen der Jünger untereinander verändern. Auch wenn sie das vor Ostern noch nicht wissen. Und hier sind wir wieder beim Thema Versöhnung miteinander. Auch das ja ein häufiges Thema von Jesus. Im Vaterunser etwa: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben“. Oder in der Geschichte mit dem Schuldner, wie der sich richtig viel vergeben lässt, aber selbst ein unbarmherziger Gläubiger bleibt.
Dass wir gemeinsam essen heißt, dass wir bereit sind, auch einander zu vergeben. Wenn mir meine Schuld vergeben wurde, darf ich dies nicht festhalten wie mein Privatgut. Vergebung ist dazu da, weitergegeben zu werden. Der große Segen der Versöhnung mit Gott, den wir im Abendmahl feiern, macht aus uns, wenn es gut geht, Menschen der Versöhnung.
Eigentlich bin ich ja ziemlich zurückhaltend bei Visionen. Aber als ich so weit war, dachte ich: Was wird eigentlich passieren, wenn wir wieder anfangen, das Abendmahlsgeschehen radikaler als gegenwärtig für uns selbst zu erleben? Was wird geschehen, wenn wir den Geist des 13. Augusts, Jesu Christi Geist, auch an die Stellen lassen, wo wir selbst nicht versöhnt sind, auch dahin, wo wir lang schon resigniert haben – und sagen: Das geht doch gar nicht! Der oder die will ja gar nicht! Das haben wir doch schon tausendmal probiert.
Was würde passieren, wenn wir uns also von gegenteiligen Erfahrungen nicht lähmen lassen, sondern tatsächlich die Grunderfahrung des 13. August aufgreifen: Versöhnung geht! Dann, ja dann könnte in unserer Kirche noch einmal eine Dynamik in Gang kommen, auf die wir jetzt gar nicht gefasst sind. Denn das ist der große Segen, von dem Paulus spricht. Deswegen hat Jesus das Abendmahl gestiftet. Damit auch wir erfahren: Versöhnung geht weiter! Bis zu uns und über uns hinaus.
Wir haben uns übrigens sehr gefreut, dass der ökumenische Pilgerweg, der 2022 bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Karlsruhe ausgerufen wurde, genau wie unser Jubiläumsweg das Motto „Ein Pilgerweg der Gerechtigkeit, der Versöhnung und der Einheit“ hat.
Denn Versöhnung geht über unser als einzelne Kirchen hinaus. Gerade wenn wir im Abendmahl unsere Basis wahrnehmen: Jesus Christus als Grund aller Versöhnung, dann wird auch unser Herz weit – und wir sehen Brüder und Schwestern überall.
Amen.
Benigna Carstens
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