Predigt am 21.09.2025, 14. Sonntag nach Trinitatis
1. Mose 28,10–22
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Liebe Schwestern und Brüder,
Der Predigttext für heute führt uns hinaus in die Nacht, in die Einsamkeit, in die Unsicherheit. Jakob ist unterwegs, ein Mann auf der Flucht. Hinter ihm liegt Streit, Schuld, gebrochene Beziehungen. Vor ihm liegt eine ungewisse Zukunft. Und gerade dort, wo Jakob einsam und erschöpft buchstäblich am Boden liegt, geschieht etwas völlig Unerwartetes: Gott begegnet ihm.
Die Geschichte von Jakobs Traum ist nicht nur ein Teil der jüdischen Patriarchengeschichte. Sie ist ein Spiegel unserer eigenen Erfahrungen: Wie oft finden wir uns an Orten wieder, die uns dunkel erscheinen, wo wir uns verlassen fühlen – und gerade dort öffnet Gott den Himmel. Gott offenbart sich.
„Und Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran.“ Das klingt zunächst nüchtern, fast wie eine Reisebeschreibung. Doch die Wahrheit ist: Jakob läuft weg. Er flieht vor dem Zorn seines Bruders Esau. Er hat den Segen des Vaters erschlichen, und muss jetzt die Heimat verlassen.
Jakob ist unterwegs – ohne Schutz, ohne Ziel, ohne Gewissheit, ob er je zurückkehren wird. Am Abend legt er sich schlafen, mit einem Stein als Kopfkissen. Der Ort ist namenlos, unscheinbar, einfach nur ein Rastplatz am Weg. Und genau dort greift Gott in sein Leben ein.
Im Traum sieht Jakob eine Leiter, die auf der Erde steht und bis in den Himmel reicht. Engel steigen auf und nieder. Es ist eine Bewegung zwischen Himmel und Erde. Und mitten in dieser Vision spricht Gott selbst:
„Ich bin der Herr, der Gott Abrahams und Isaaks. Das Land, worauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und in dir und deinen Nachkommen sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“
Das, liebe Schwestern und Brüder, ist überwältigend. Jakob hat nichts geleistet. Er ist auf der Flucht. Er ist ein Betrüger. Er ist noch Junggeselle. Noch ohne Nachkommen. Aber Gott bindet sich an ihn. Gott erneuert die große Verheißung, die schon Abraham gegeben wurde: Land, Nachkommenschaft, Segen – und dazu die ganz persönliche Zusage: „Ich bin mit dir.“
Am Morgen erwacht Jakob. Und er sagt: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“
Das ist ein Satz, den wir vielleicht auch schon mal gesagt haben: Gott war da, und ich habe es gar nicht erkannt. Wir merken oft erst im Rückblick, dass Gott uns getragen hat – durch schwere Zeiten, durch Krisen, durch Nächte, in denen wir keinen Ausweg sahen.
Jakob erschrickt, er fürchtet sich sogar. Und er sagt: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ Aus einem namenlosen Rastplatz wird ein heiliger Ort. Jakob richtet den Stein auf, gießt Öl darüber, nennt den Ort Bet-El – Haus Gottes.
Und er macht ein Gelübde: „Wenn Gott mit mir ist und mich behütet … so soll der Herr mein Gott sein, und diesen Stein will ich zu einem Gotteshaus machen, und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.“
Hier spüren wir etwas sehr Menschliches: Jakob ist noch vorsichtig. Er vertraut, aber nicht bedingungslos. Er bindet seine Hingabe an eine Bedingung. An „Wenn – dann“. Glaube ist für ihn noch ein Weg, ein Ringen.
Liebe Brüder und Schwestern, diese Geschichte sagt uns zwei Dinge:
- Gott handelt aus Gnade.
Jakob hat keine Verdienste, kein reines Herz, keine gute Bilanz. Er war ein Gauner. Und doch begegnet ihm Gott. Gott kommt zu ihm aus reiner Gnade. Genau wie Gott zu uns aus reiner Gnade kommt. Wir müssen uns seine Nähe nicht erarbeiten, wir können sie nicht verdienen. Sie wird uns zugesagt. - Die Geschichte sagt uns außdem, dass Gott immer gegenwärtig ist – auch wenn wir es nicht wahrnehmen.
Jakob sagt: „Ich wusste es nicht.“ Das kennen wir. Wir meinen, wir wären allein – aber Gott ist schon da. Er verbindet Himmel und Erde. Er öffnet uns den Zugang.
Im Neuen Testament wird dieses Bild noch einmal aufgegriffen. Jesus sagt in Johannes 1,51: „Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen über dem Menschensohn.“ Damit meint er: Er selbst ist die Leiter, die Brücke zwischen Himmel und Erde. In Christus ist Gottes Nähe endgültig da. Wir brauchen keine Leiter mehr zu bauen, kein Gelübde mehr zu formulieren, um Gott nahe zu kommen. Er hat schon die Initiativ ergriffen. Er ist uns nahegekommen.
Und was bedeutet das für uns heute?
- Viele von uns erleben Zeiten des Übergangs – neue Aufgaben, Abschiede, Umzüge, Krankheiten, Unsicherheit. Wir fühlen uns manchmal wie Jakob: unterwegs, nicht zuhause, belastet von Schuld oder Sorge. Aber mitten darin spricht Gott: „Ich bin mit dir und will dich behüten.“
- Vielleicht haben auch Sie solche „Heilige Orte“-Momente erlebt: Orte oder Zeiten, wo Sie plötzlich gespürt haben: Gott war da. Vielleicht in einem Krankenhaus, vielleicht in einer Kirche, vielleicht im Gespräch mit einem Menschen, der Ihnen beigestanden hat. Vielleicht in der Natur. Mitten im Wald. Oft begegnet man Gott, wenn man ganz allein ist, mitten in seiner Schöpfung. Solche Orte der Begegnung bleiben uns in Erinnerung. Wir markieren sie – so zu sagen – gedanklich, so wie Jakob seinen Stein aufrichtet, um seine Begegnung mit Gott fest zu markieren.
- Jakobs Antwort war noch zögernd und vorsichtig. Auch unser Glaube ist nicht immer stark, nicht immer vollkommen. Aber Gott hält trotzdem an uns fest, auch wenn wir uns nicht 100% an ihn festhalten können. Er fordert nicht zuerst unser perfektes Vertrauen, sondern schenkt uns seine Treue.
- Wenn wir uns fragen, wo Himmel und Erde sich berühren, dann dürfen wir auf Jesus Christus schauen. In ihm hat Gott endgültig Ja gesagt zu uns. In ihm ist die Verheißung wahr geworden: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Liebe Brüder und Schwestern, vielleicht stehen Sie selbst gerade an einem namenlosen Ort, irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft. Vielleicht fühlen Sie sich unsicher, einsam oder schuldbeladen. Dann hören Sie die Zusage Gottes:
„Ich bin mit dir. Ich will dich behüten, wo du hinziehst. Ich will dich nicht verlassen.“
Das ist die Botschaft von Jacobs Vision der Himmelsleiter. Nicht, dass wir uns anstrengen müssen, Gott zu erreichen, sondern dass Gott selbst zu uns kommt. Nicht, dass wir alles im Griff haben müssen, sondern dass er treu bleibt.
Darauf dürfen wir antworten – mit unserem Vertrauen, mit unserer Dankbarkeit, vielleicht auch mit unseren Gelübden. Aber im Zentrum bleibt: Gottes Gnade ist zuerst da.
Jakob richtet seinen Stein auf, gießt Öl darüber, macht ihn zum Zeichen der Gegenwart Gottes. Auch wir dürfen Zeichen setzen: in unseren Kirchen, in unserem Gebet, in unserem Leben. Sie erinnern uns daran: Gott ist da, auch wenn wir es nicht gleich merken.
So lade ich Sie ein: Wachen Sie auf wie Jakob. Halten Sie Ausschau nach den Orten, wo Gott Ihnen begegnet. Erkennen Sie: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte.“ Und vertrauen Sie: Er geht mit Ihnen – auf allen Wegen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
Gerald MacDonald
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