Wird alles gut?
27.06.2021 (4. Sonntag nach Trinitatis),
Gen 50, 15-21
27.06.2021 (4. Sonntag nach Trinitatis),
Gen 50, 15-21
Die Bibel erzählt im ersten Buch die bewegende Geschichte um Joseph, der von seinem Vater Jakob bevorzugt und von seinen zehn Brüdern wegen seiner hochmütigen Träume gehasst wird. Sie werfen ihn in einen Brunnen, wollen dem Vater sagen, ein wildes Tier habe ihn gerissen.
Vom schlechten Gewissen geplagt, verkaufen sie ihn dann doch als Sklaven nach Ägypten. Dort steigt er nach Sklavendienst und Gefängnis zum Berater und zur rechten Hand des Pharao auf. Als Retter in der Hungerkrise wird er hoch geehrt. Wenn er mit Goldkette und Regierungskutsche durch das Land fährt, muss ein Ausrufer kundgeben: „Der ist das Landes Vater.“
Auch seine Familie macht sich in den dürren Jahren zum Einkauf von Getreide auf den Weg nach nach Ägypten. Er erkennt sie und sorgt dafür, dass ihr schlechtes Gewissen nicht zur Ruhe kommt. Beim zweiten Besuch gibt er sich ihnen zu erkennen und lädt die ganze Sippe ein nach Ägypten. Dort stirbt der Vater und wird gemäß dessen Bitte zum Begräbnis zurückgebracht in die alte Heimat. Joseph sorgt für ein pompöses Staatsbegräbnis nach ägyptischem Ritus.
Trotz aller Versöhnungsgesten ist es schwierig geblieben zwischen Joseph und seinen Brüdern. Das zeigt sich auch nun nach dem Tod des Vaters. Aus Angst legen die Brüder dem Vater einen vermutlich nie erteilten Befehl in den Mund. Wir lesen 1. Mose 50, 15 – 21:
15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach:
17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte.
18 Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte.
19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
Liebe Schwestern und Brüder,
So richtig gut wurde es nie zwischen Joseph und den Brüdern. Und niemand ist unschuldig daran. Der Vater nicht, der so deutlich zeigt, dass er eine Lieblingsfrau und Lieblingskinder hat, Joseph nicht, der seine hervorgehobene Stellung so gerne ausspielt; die Brüder nicht, die dem Jungen so übel mitspielen und die Schandtat als Last durch das Leben tragen.
Ist so nicht das Leben? Wann wird es schon hundertprozentig gut? Beim manchem Trauergespräch muss man als Pfarrer feststellen, dass Eltern und Geschwister zerstritten sind, ein Teil nicht einmal kommen will oder soll. Oder man hört hinterher: Sie war auch kein Engel! Oder: Wenn Sie wüssten, wie er zuhause war! Viel Menschliches und Trauriges kommt da zum Vorschein.
Manchmal gibt es aber auch Versöhnung. Ich erinnere mich an anschließende Treffen im Familienkreis oder an Liebesmahle nach einem Begräbnis, wo das Bedauern über Versäumtes zur Sprache kam, wo Begrenzungen und Verletzungen ausgesprochen werden konnten und man mit Tränen in Augen spürte, dass hier etwas gut wird, dass Gottes Geist am Werk ist.
Als die Brüder dem Joseph vom Vater ausrichten lassen, er habe angeordnet, er möge ihnen vergeben, kommen ihm die Tränen. Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Er ahnt, dass dieser letzte Wille erfunden ist. Er erkennt, dass sie ihm immer noch nicht vertrauen können. Er merkt, dass es vielleicht nie so werden wird, wie es unter Brüdern sein könnte. Hundertprozentige Bruderliebe werden nie mehr erreicht. Eine Kluft bleibt. Zu viel ist passiert, zu unterschiedlich sind die Welten, in denen sie aufgewachsen sind.
Ob er auch seine Anteile am Unheil sieht? Sie werden kommen und sich vor ihm beugen, bereit, ihm als Sklaven zu dienen. Der alte Traum wird wahr, wieder und wieder. Es gibt viele Gründe, hier Tränen zu vergießen.
So wie im Leben immer dann, wenn wir ahnen, dass es ganz gut nie mehr wird. Wenn zu viel geschehen ist. Manchmal bräuchte es ein Wunder, damit wirklich wieder alles gut wird. Aber das Wunder geschieht nicht immer.
Aber vielleicht ist manchmal schon 70 Prozent ein riesiger Fortschritt. Wenn Mutter und Tochter einfach wieder miteinander sprechen. Immer noch mit Vorsicht. Heikle Themen werden ausgeklammert. Die Vergangenheit wird nicht bis in jedes Detail aufgearbeitet. Aber man hält sich aus. Man schont sich, man respektiert einander.
Mir scheint, dass das auch bei Jakob und den Brüdern so läuft. Er sagt ihnen:
21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. Das ist doch schon so viel mehr als argwöhnisches Beäugen, als Lüge und Trickserei. Was mag Joseph zu diesem Einlenken bewegt haben? Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
Joseph sieht, wohin diese ganzen schrecklichen Erlebnisse führten,
• in den Brunnen geworfen zum Sterben,
• verkauft in die Sklaverei,
• ins Gefängnis geworfen,
er sieht, wohin sie ihn und seine ganze Sippe geführt haben.
Vielleicht erkennt er die ganzen Anteile an der Misere bei sich, beim Vater und bei den Brüdern und merkt, dass Gott aus all diesem Bösen letztlich etwas Gutes gemacht hat.
Wir müssen uns klarmachen, dass dieser Satz kein Dogma sein kann und auch keine Lebensweisheit. Nicht aus jeder Bosheit wird etwas Gutes, nicht aus jedem Leid eine Rettungsgeschichte. Wie völlig daneben wäre es, dem, der im Brunnen sitzt, zuzurufen: es wird schon sein Gutes haben. Dafür taugt der Satz von Joseph nicht.
Aber mancher Mensch wird einmal ähnlich sagen können: Ihr (oder auch ich) gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. Wo nun Joseph dies erkennt, kann er nicht selbst Gott spielen und dessen Pläne zunichtemachen. Es kann und will nicht länger festhalten am Bösen, an alten Groll, am Suchen nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit.
Wir Menschen, so schrieb ein Ausleger, haben eine große Begabung darin, uns mit dem geschehen Bösen zu beschäftigen, dem Bösen der anderen. Es ist anscheinend nicht einfach, dies loszulassen; es ist nicht einfach, zu vergeben. Im Vergeben steckt im Hebräischen des Wort „tragen“, „ertragen“. Im Vergeben übernehme ich selbst einen Teil der Last, der uns beide beschwert. Ich glaube, dass kann nur der, der weiß, dass er mit dieser Last nicht sitzen bliebt, der die Last weitergeben kann an Gott, der seinerseits unsere Lasten abnimmt. Joseph erfährt, wie Gott es gut macht. Da kann er es selbst auch gut machen. Gott hat das in Jesus ganz klargemacht: Jesus trägt unsere Lasten, wir bleiben nicht darauf sitzen. Deshalb können auch wir vergeben.
Klammern wir uns also nicht an das Böse der anderen, sondern lassen wir uns bewegen durch Gottes Erbarmen. So wird Friede möglich, wenigstens 70 Prozent. Und wenn ein Wunder geschieht, wenn Gottes Geist mitwirkt, wird es vielleicht sogar ganz gut. Dietrich Bonhoeffer schrieb in einer schlimmen Zeit einen Satz, der auch wieder kein Dogma und keine Lebensweisheit sein kann. Aber zeigt uns, wo unser Platz sein könnte.
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“
A m e n
Christoph Huss