Wer bin ich?
21. Februar 2021 – Invokavit 1. Sonntag der Passionszeit
Predigttext: Johannes 13, 21-30
21. Februar 2021 – Invokavit 1. Sonntag der Passionszeit
Predigttext: Johannes 13, 21-30
Liebe Gemeinde,
es gibt ein Spiel, welches Kinder gern machen. Da bekommt einer seine Augen verbunden und sitzt auf einem Stuhl im Kreis. Die anderen Kinder um ihn herum sind ganz still. Ein Spielleiter zeigt auf ein Kind und es tritt von hinten an das Kind mit den verbundenen Augen heran und tippt es an: Wer bin ich? fragt es. Nun muss das Kind, das nichts sieht an der Stimme erraten, wer es angetippt hat. Wurde der Name richtig genannt, ist das andere Kind dran, dessen Name erraten wurde. Wer bin ich? Das ist eine interessante Frage, denn hinter meinem Namen steckt noch so viel mehr. Weiß ich, wer ich bin? Kenne ich mich genau oder wissen andere viel mehr über mich?
In unserem Predigttext heute geht es um ein Zusammensein von Jesus mit seinen Jüngern. Es ist so wie schon viele Male. Und doch entwickelt es sich ganz anders. Es geht um die Frage: Wer bin ich?
Wir hören den Predigttext (Lutherbibel 2017): Jesus, der Lieblingsjünger und der Verräter
21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.
22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.
23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb.
24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete.
25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s?
26 Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot.
27 Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald!
28 Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte.
29 Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte.
30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.
Ich heiße Andreas und ich bin ein Jünger von Jesus. Ich kann mich noch ganz genau an diesen Abend erinnern – es war eigentlich schon Nacht. Draußen war es finster und wir saßen mit Jesus gemeinsam am Tisch. Naja, wir hatten da keine Stühle, sondern lagen mehr auf Kissen und waren gerade dabei, miteinander zu essen. Doch bevor wir dazu kamen, stand Jesus auf und nahm eine Schüssel, um uns die Füße zu waschen. Das hat mich schon sehr gewundert, da so eine Aufgabe eher ein Knecht übernimmt und nicht der Herr und Meister. Unter uns Jüngern war die Verwunderung sehr zu merken. Und Petrus sprach es dann aus – so direkt, wie er eben ist: „Herr, du wäschst mir die Füße?“ Das waren seine Worte und sie sprachen uns alle aus dem Herzen. Aber Jesus bestand darauf, nachdem Petrus mit ihm diskutiert hatte. Das war schon eine merkwürdige Situation. Und dann diese nächste. Wir hatten uns gerade von der ersten erholt und versuchten zu begreifen, was Jesus uns damit sagen will, da spricht Jesus davon, dass ihn einer von uns verraten wird. Was? Durchzuckte es meine Gedanken. Einer von uns wird ihn verraten? Das kann nicht sein. Unter uns, seinen Jüngern soll es einen geben, der Jesus verrät? Kaum zu glauben! Wen unter uns könnte er damit meinen? Ich schaue mich vorsichtig in unserer Runde um, damit es niemand merkt. Da sehe ich Jakobus, einer der ersten Jünger von Jesus. Das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Er kennt Jesus und ist schon so lange mit ihm unterwegs gewesen. Nein, er sicher nicht. Und Philippus? Auch einer der ersten Jünger, der Nathanael mit zu Jesus holte. Nein, der wird so etwas Schlimmes nicht machen. Meine Augen ziehen an allen anderen vorbei. Ich kann mir das bei keinem von uns vorstellen. Und ich? Bin ich es etwa? Ich? Andreas, der Fischer? Ich habe wie auch alle anderen alles für Jesus aufgegeben um mit ihm zu ziehen. Ja, ich muss zugeben, ich bin nicht immer einfach. Ich habe auch meine Ecken und Kanten. Manchmal ärgere ich mich über andere. Ich würde so manches anders machen. Aber ich bin nun schon so lange dabei und wir sprechen über alles – naja, über fast alles. Manchmal würde ich mir mehr Ruhe wünschen. Jesus ist da ganz anders. Er setzt seinen Auftrag, von Gott zu erzählen, an erste Stelle. Also sind wir viel unterwegs und gönnen uns kaum eine Pause. Aber das ist okay so.
Wie froh bin ich jetzt, dass Petrus Johannes zuwinkt, der direkt bei Jesus sitzt. Irgendwie hat er eine besonders enge Beziehung zu ihm. Der wird ihn gleich fragen. Ich halte die Spannung und Unsicherheit kaum aus, die unter uns ist. Und Jesus antwortet, aber nicht direkt. Das ist so seine Art, das kenn ich schon von ihm. Er sagt: „Der ist‘s, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ Wieder unfassbare, kaum auszuhaltende Stille. Dann reicht er Judas den Bissen. Und dann sagt Jesus noch: „Was du tust, das tue bald!“ Oh, nun ist es raus. Judas, unser Schatzmeister, aber warum? Vielleicht hat er ja den Auftrag bekommen, das Essen für das Fest zu besorgen – beruhige ich mich. Er verwaltet ja das Geld. Sicher ist es so, denn er ist gleich aufgestanden und aus der Tür fortgegangen. Vielleicht gibt er aber auch etwas den vielen Armen, die es um uns herum gibt. Aber Jesus spricht von Verrat. Könnte Judas das wirklich vorhaben? Vielleicht um des Geldes willen? Oder weil er weiß, dass das Interesse an Jesus so groß ist, dass er von ihm ein Wunder sehen will? Es gibt ja viele Bewunderer aber auch Gegner. Ich weiß es nicht. Und warum holt ihn Jesus nicht zurück? Er könnte jetzt noch das Schlimmste verhindern. Aber dazu kommt es nicht.
Ich merke, wie ich nun völlig mit mir beschäftigt bin. Ich nehme die anderen um mich herum gar nicht mehr wahr. Bin ich nicht auch so wie Judas? Es gibt doch auch in mir dunkle Flecken, Gedanken, die ich lieber nicht ausspreche. Dunkle Seiten, die außer mir niemand kennt. Wäre ich nicht auch fähig, Jesus zu verraten oder zu verleugnen? Diese Frage arbeitet in mir und lässt mich nicht los. Judas verurteilen, das kann ich nicht. Das steht mir auch gar nicht zu. Ich hänge noch ganz meinen Gedanken nach, da werde ich durch die Worte von Jesus angesprochen.
Jetzt sagt er was, jetzt wird er über Judas urteilen. Jetzt passiert etwas. Und was sagt er? Er gibt uns ein neues Gebot – das Gebot der Liebe. Er möchte, dass wir uns untereinander lieb haben, so wie er uns geliebt hat, denn daran wird jedermann erkenne, dass wir seine Jünger sind.
Damit habe ich nun überhaupt nicht gerechnet. Wir sollen uns untereinander lieben. Das heißt für mich, dass wir nicht auf den Fehlern der anderen herumhacken sollen, sondern ihm mit Liebe begegnen sollen. Das ist schön und gut, das fällt mir aber gar nicht so leicht. Denn ich merke, wie schnell ich die Fehler des anderen sehe, anstatt die guten Seiten zu erkennen. Jesus hat das einmal mit dem Splitter und dem Balken erklärt. Ich erinnere mich daran. Da ging es um das Richten. Er sagte: Richtet nicht, aus dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden und nach dem Maß, mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? (Matth. 7, 1-3)
Wir recht doch Jesus hat. Bei meinen Mitjüngern fallen mir gleich Dinge ein, die nicht in Ordnung sind, aber bei mir selbst? Ich bin noch ganz unter dem Eindruck dieses gemeinsamen Abends. Jesus hat mir auch heute wieder gezeigt, wie er mit uns Menschen umgeht, selbst, wenn wir so böse Gedanken in uns tragen. Er schenkt uns seine Gnade und Liebe. Er verzeiht uns. Seine Liebe zu uns ist so unendlich groß. Er nimmt alles auf sich, was wir verschuldet haben. Darüber kann ich nur staunen.
Amen
Gabriele v. Dressler