Predigt: Verirrung und Begnadigung
28. August 2022
2. Samuel 12,1-10.13-15a
28. August 2022
2. Samuel 12,1-10.13-15a
Liebe Gemeinde, in meiner allerersten Berufstätigkeit war ich bei der Gerichtsverwaltung. Und es hat mich wirklich befriedigt, konnte ich doch damit der Gerechtigkeit dienen. Und das war doch eine gute Sache. Gleiches Recht für alle vor Gericht, das war uns wichtig. Doch im Laufe der Jahre las ich immer mehr Artikel, die deutlich machten, dass in Deutschland weniger das Recht den Ausschlag gab, als vielmehr die Rechtsvertreter. Wer sich gute Anwälte leisten konnte, hatte ganz andere Erfolgsaussichten. Eine doch recht frustrierende Erkenntnis.
Inzwischen weiß fast jedermann, dass man es sich zweimal überlegen muss, wenn man z. B. gegen eine große Versicherung oder einen der großen Autobauer vor Gericht ziehen will. Sie haben einfach andere Anwälte und Durchhaltekräfte als der sogenannte kleine Mann.
Wie war das in biblischen Zeiten? Immerhin verlangt das Gesetz des Mose eindeutig und oft genug Fairness vor Gericht, keine Bevorzugung des Mächtigen. Die Frage war nur, ob das nur auf dem Papier stand oder ob es auch galt. Wer konnte sich schon vorstellen, überhaupt gegen einen König sich zu behaupten, ganz zu schweigen davon, sein Recht gegen ihn durchzusetzen. Aber ähnlich, wie vielleicht heute das Bundesverfassungsgericht, gab es im alten Israel eine Institution, die dem König gegenübertreten konnte. Rein theoretisch musste sich auch der König ihm beugen. Das war der Prophet, der im Auftrag Gottes sprechen konnte. Aber konnte der sicher sein, dass der König seine göttliche Vollmacht achten würde? Oder gab es im Laufe der Geschichte nicht genügend Beispiele, wie der König auch die Propheten missachten, beseitigen oder gar töten ließ? Auch der Prophet musste sich schon seines Auftrags gewiss sein und genügend Gottvertrauen haben, wollte er dem König gegenübertreten.
Heute hat man dafür die Floskel „Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei.“ Gerechtigkeit braucht immer die, die es wagen, sich dafür einzusetzen. In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde bei uns recht deutlich, dass auch mit den Mitteln des Rechts vielen Opfern keineswegs Recht zuteilwurde. Besonders deutlich wird es bei den Vereinten Nationen. Das Völkerrecht kennt für alle Konfliktfälle klare Regelungen. Aber meist lassen sie sich einfach wegen der Gewaltausübung der Beteiligten nicht durchsetzen.
Hätten wir uns als Propheten zum König mit einer Anklage getraut? Trauen wir uns, dem Schwachen beizustehen? Oder achten wir eher auf unsere Sicherheit und warten darauf, was die Mehrheit macht oder andere unternehmen?
In unserem heutigen Bibeltext finden wir einen mutigen Propheten. Er nimmt das Risiko auf sich, dem König Gottes Anklage und sein Urteil mitzuteilen. Aber wird der König Gottes Wort hören wollen. Er hat doch seine Stellung als Gott-Gesalbter zu verteidigen. Muss er den Propheten nicht aus der Welt schaffen, um sein Amt zu schützen?
Hören wir, wie das Alte Testament den Konflikt schildert: 2. Samuel-Buch 12, 1-10 und 13-15a.
1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. 13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15 Und Nathan ging heim.
Liebe Schwestern und Brüder, was für eine Geschichte! Und sie hat ja auch noch eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Viele von ihnen werden sie noch kennen.
König David sieht von seinem Palast aus eine sehr schöne Frau auf dem Dach ihres Hauses baden. David erkundigt sich nach ihr. Ihr Mann kämpft für den König im Krieg. David lässt sie holen und schläft mit ihr. Sie wird schwanger. Er lässt ihren Ehemann von der Front holen, damit er mit ihr zu Hause schläft und das Kind dann für das seine hält. Uria aber ist zu pflichtbewusst, um sich darauf einzulassen. Wie seine Soldaten schläft er draußen. David lässt Uria dann so an der Front einsetzen, dass er erschlagen wird. Nach der Trauerzeit holt er Batseba in seinen Palast. Es war für ihn also nicht nur eine Affäre, sondern er liebte sie wirklich. Aber wie konnte er sich nur über ihre Ehe hinwegsetzen, den Hauptmann sogar umbringen lassen? Er wusste, wie wichtig die Ehe im Gesetz Gottes war. Dennoch stürzte er von einer Schuld in die andere. Ihm war klar, dass das auch für den König galt. Die Treue zur Ehe war immer auch Beispiel für Israels Treue zu Gott. Diesen Bund hatte er aber jetzt gebrochen.
Wir leben in einer Zeit, in der gerne vom Bauchgefühl geredet wird, dem man folgen soll. Aber doch nicht, wenn es darum geht, Verantwortung für ein Leben nach Gottes Weisungen zu übernehmen. Da müssen wir wissen, was nur Gefühle sind und was für das Leben wirklich wichtig ist. Da kann nicht von „Privatleben“ geredet werden, wenn die Gebote beiseitegeschoben werden sollen.
David erkennt das, er weiß, dass das auch für ihn als König gelten muss. Diese Geschichte will uns vielleicht auch deutlich machen, wie der König David gesehen werden soll. Er ist der König, dessen Geschlecht alle Verheißungen besitzt, der, der unzählige Psalmen geschrieben hat, der ein Vorbild sein sollte im Gehorsam gegen Gott. Auch das Neue Testament greift das auf, wenn beim Einzug in Jerusalem Jesus mit dem Messiastitel „Sohn Davids“ bedacht wird (Matth. 21,9). Und dennoch müssen die Verfehlungen genannt werden, dem Volk nicht verschwiegen werden. So, wie das Neue Testament auch den Verrat des Petrus nicht übergeht.
Die „deutschen Christen“ im Dritten Reich wussten, weshalb sie all solche Geschichten nicht in der Bibel haben wollten. Es sind ja keine Heldengeschichten, sondern Berichte von Schuld und Versagen, und dann auch von Versöhnung. Um der Wahrheit über uns Menschen willen, darf das alles nicht verschwiegen werden.
Und wenn wir heute nur die Botschaft von Gottes Zuwendung und Liebe hören wollen, aber nichts von Sünde und Schuld, dann sind wir vielleicht gefährlich nahe bei solchen Verirrungen.
Der Prophet Natan weiß, auf welch gefährliches Parkett er sich begibt, wenn er den König auf seine Schuld ansprechen will. Er greift zu einer sehr wirkungsvollen List. Ein Reicher vergeht sich an seinem armen Nachbarn, nur um eins seiner Lämmer zu sparen. Und der König springt darauf an. Er will ihn so streng er nur kann bestrafen. Ein König, der sehr genau weiß, was rechtens ist – nur eben nicht immer.
Nun trifft ihn selbst das Urteil Gottes. Das Schwert soll nicht mehr aus seinem Haus weichen. David weiß sich getroffen. Er versucht weder, den Ankläger zum Schweigen zu bringen noch Ausflüchte für seine Schuld zu suchen. Er gesteht seine Schuld gegenüber dem Herrn ein. Der Bußpsalm 51 nimmt ausdrücklich Bezug auf dieses Geschehen. Und das ändert alles. Das Urteil Gottes wird zurückgezogen. David soll nicht länger sein Leben verlieren, sondern „nur“ in Anführungsstrichen das zukünftige Leben des Kindes.
Eine wirklich dramatische Wendung. Wer hätte das erwartet. Offenbar geht es Gott um Barmherzigkeit, um Überwindung der Schuld. Wer seine Schuld eingesteht, soll nicht sein Leben verlieren. Gott will helfen, er will retten und zurechtbringen. Das ist doch das, was auch Jesus deutlich macht. Er stirbt, um andere zu retten. Und letztlich ja auch uns. Wie Gott Davids Leben rettet, so will Jesus alle, die an ihn glauben, mit hineinnehmen in das neue Leben.
Am Ende verliert David trotz tiefer Reue und Buße als Strafe für seine Verfehlungen das Leben seines Kindes. Und auch seine Bitte, für Gott den Tempel zu bauen, wird ihm verwehrt, weil an seinen Händen zu viel Blut klebe.
Eine dramatische Geschichte über Davids Verirrung und seine Begnadigung. Und ganz am Rande tauchen auch wir in dieser Geschichte auf, als Miterben eines Geschehens von vor etwa 3.000 Jahren und als Menschen, die auch ihr Leben aus Gottes Barmherzigkeit haben. Amen.
Kurt Rittinghaus