Trennungen überwinden
07.08.2021 (10. Sonntag nach Trinitatis – Israelsonntag und 200 Jahre Badische Union),
Exodus 19, 1-8
07.08.2021 (10. Sonntag nach Trinitatis – Israelsonntag und 200 Jahre Badische Union),
Exodus 19, 1-8
Liebe Schwestern und Brüder!
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass junge Leute oft bunte Bänder am Arm tragen? Das kann ein Freundschaftsband sein, oder die Eintrittsband zu einem Rockfestival, das man noch möglichst lange am Arm behält, das WWJD-Band (What would Jesus do), oder eine andere wichtige Erinnerung. Sie machen deutlich: Du bist mir wichtig, daran will ich mich erinnern.
Es gibt noch Andere, die binden Bänder, Lederbänder mit Bibelworten um ihre Arme. Wenn die Juden ihr Morgengebet verrichten, binden sie sich Gebetsriemen um den Kopf und um den linken Arm. In einem kleinen Kästchen auf der Stirn und nahe dem Herzen sind Bibelworte aufbewahrt.
Ich denke, wir können diese Gebetsriemen mit Freundschaftsbändchen vergleichen. Stellen wir uns das doch einmal vor: Riemen mit Bibelworten auf der Stirn, dort wo wir nachdenken und am Arm nahe dem Herzen, dort wo die Gefühle kreisen und unser Innerstes klopft. Bänder der Freundschaft mit Gott, die anzeigen, dass der Ewige und sein Wort uns wichtig ist; Bänder die sagen, dass da eine Verbindung, ein Band besteht. Zeichen des Bundes zwischen Gott und Mensch. Wer verbunden ist, hält zusammen.
1. Israelsonntag
Die Evangelische Kirche hat den heutigen 10. Sonntag nach Trinitatis den Namen „Israelsonntag“ gegeben. Seine Bedeutung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Früher wurde an die Tempelzerstörung gedacht, mit was für Gedanken auch immer. Wir denken heute an diesem Tag an die Verbindung zwischen Christen und Juden, Gottes Treue zu Israel ist nicht aufgehoben, die Christen wurden lediglich hinzugefügt und sind so unauflöslich mit den Juden verbunden.
Der heutige Predigttext ist ein kleiner Abschnitt aus dem 2. Buch Mose, dem Buch Exodus. Dieses Buch der Bibel schildert, wie Gott seine Leute aus der Sklaverei befreit und mit ihnen in der Wüste eine ganze eigene Verbindung schmiedet.
Gott hatte das Seufzen des Volkes Israel in der Sklaverei in Ägypten gehört,
hatte Mose geschickt, seine Leute aus diesem Land der Knechtschaft herauszuführen. Es war nicht leicht gewesen, dieser Auszug, die Ägypter wollten die billigen Arbeitskräfte nicht gehen lassen. Zur Freiheit aber gab es für Gott keine Alternative.
So waren sie dann am anderen Ende des Meeres gestanden. Das Tosen hatte sich gelegt und sie begriffen: wir sind frei. Niemand mehr, der uns zwingt, niemand mehr, der uns schlägt, niemand mehr, der für uns entscheidet. Da standen sie, vor sich die Stille der Wüste. Sie waren allein, mit sich … und mit Gott. Sie gingen … durch die schöne, karge Einöde, sangen und klagten, sahen Hoffnung und verfielen der Verzweiflung, lobten und jammerten. Bis sie an jenem Berg standen, Berg Gottes, Sinai, Horeb.
Hier setzt der heutige Predigttext ein (Exodus 19, 1-9):
19 1 Genau am Anfang des dritten Monats nach dem Auszug aus Ägypten kamen die Israeliten in die Wüste Sinai.
2 Sie waren von Refidim aufgebrochen und erreichten nun die Wüste Sinai. In der Wüste schlugen sie ihr Lager auf. Dort lagerte sich Israel am Fuß des Berges,
3 Mose aber stieg zu Gott hinauf. Da rief ihm der Herr vom Berg aus zu: »Sag es dem Haus Jakob! Verkünde es den Israeliten:
4 Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe. Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen und hierher zu mir gebracht.
5 Hört jetzt auf meine Stimme und haltet meinen Bund! Dann sollt ihr mein Eigentum sein unter allen Völkern. Denn mir gehört die ganze Erde.
6 Ihr aber sollt für mich ein Volk von Priestern sein, ein heiliges Volk. Diese Worte sollst du den Israeliten sagen.«
7 Als Mose zurückkam, rief er die Ältesten des Volkes zusammen. Er sagte ihnen alle diese Worte, die der Herr ihm aufgetragen hatte.
8 Das ganze Volk stimmte zu: »Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun. «Mose überbrachte dem Herrn die Antwort des Volkes.
Gott sagt den Menschen. Eurer Freiheit galt meine ganze Sorge. Auf Adlerflügeln habe ich euch getragen. Ich habe euch nicht festgebunden, sondern euch hinausgeschubst in die Freiheit, wie der Adler es macht mit den Jungen in der Felswand und sie immer wieder auffängt mit seinen Flügeln, bis sie alleine fliegen können.
Gott gängelt die Menschen nicht und schreibt uns alles vor. Sondern er mutet uns Freiheit zu. Das ist nicht immer einfach. Manchmal gelingt der Flug und die Schwingen tragen uns. Dann aber scheitern wir, stürzen ab. ER ist da. Und fängt uns auf, auf Adelers Fittichen.
4 Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe. Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen und hierher zu mir gebracht.
So einfach ist das: Ich habe euch zu mir gebracht. Das ist das Ziel, die Mitte, der Anfang. Dass wir bei ihm sind. Inmitten aller Stürme: bei ihm. Auf allen Wegen: bei ihm. Dies ist die Mitte des Judentums und des Christentums, des ersten und auch des zweiten Bundes, dass wir Menschen zu ihm gelangen.
2. Zweiter Bund und Badische Union
Damals am Sinai umfasste das Freundschaftsband dieses eine, kleine Volk.
Jahrhunderte später wird durch Jesus das Tor in die ganze Welt geöffnet. Schon im Predigttext findet sich diese Spannung zwischen dem umfassenden Wirken Gottes und dem Auswählen eines einzelnen Volkes. Dann sollt ihr mein Eigentum sein unter allen Völkern. Denn mir gehört die ganze Erde.
Gott setzt oft auf einen Anfang, der weitergeht, auf ein Beispiel, das Schule macht. Durch Jesus sendet Gott die Einladung, zu ihm zu gehören, an alle Menschen.
19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe!
Dies ist der zweite Bund. Wir dürfen dazu gehören. Zusammen mit den Juden. Diese Zusammengehörigkeit war lange nicht deutlich, umso öfter müssen wir daran erinnern. In diesem Jahr 2021 erinnern wir bewusst daran, dass jüdisches Leben seit 1700 zu Deutschland gehört.
Und nun haben wir noch dieses andere Jubiläum, dass ich nun noch in diesen Tag hineinweben möchte. Auch diese hat mit Trennungen zu tun und Menschen, die durch Gottes Geist Trennung überwinden. Die Badische Kirchen-Union feiert in diesem Jahr ihr 200. Jubiläum. Die Ausstellung und die Bändchen, die sie bekommen haben, haben damit zu tun.
Vor 200 Jahren war durch Revolutionen und Kriege aus vielen kleinen Ländchen ein badisches Großherzogtum entstanden. In der Aufbruchsstimmung dieser Zeit ärgerten sich die Christen zunehmend an der Trennung der Evangelischen in Reformierte und Lutheraner. Das Krisenjahr 1816, in dem Europa nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien mit seiner Aschewolke ein Jahr ohne Sommer erlebt, ließ die Menschen erschrecken und zusammenrücken. Das Reformationsjubiläum 1817 ließ die Sehnsucht nach mehr Gemeinsamkeit wachsen. Ich kann die ganze Geschichte dieser Union im Rahmen dieser Predigt nicht erzählen. Das kann man am besten auf den Tafeln der Ausstellung oder in der letzten Nummer des Dachreiters nachlesen.
Vom 2. bis 26. Juli 1821 tagte die neu zusammengestellte Generalsynode in der Karlsruher Stadtkirche. Prälat J. P. Hebel sprach nach dem feierlichen Einzug ein langes Gebet. Danach wurde eine Woche hinter verschlossenen Türen in kleinen Gruppen getagt. Am 10. Juli kam gleich das heißeste Thema ins Plenum: das Verständnis und die Feier des Abendmahls; darüber hatten sich Lutheraner und Reformierte einst getrennt. Nachdem der Textentwurf eingebracht war, wollte man über solch ein Glaubensthema nicht einfach abstimmen, sondern bat noch bestehende Bedenken offen zu äußern. Es trat eine feierliche Stille ein. Nach fünf Minuten stellt der Präsident der Synode bewegt fest, dass man offensichtlich allgemeine Einstimmung gefunden habe. „Es war wie das Walten des Heiligen Geistes über der Versammlung.“ So ermutigt wurden in den folgenden Wochen alle Punkte besprochen. Am 26. Juli 1821 konnte die Unionsurkunde erabschiedet werden. Als Vereinigungsfesttag mit einer ersten gemeinsamen Abendmahlsfeier in allen Gemeinden nach neuem Ritus wurde der 28. Oktober 1821 festgelegt.
Die Unionsurkunde atmet in beeindruckender Weise einen Geist der Freiheit. Ich möchte Ihnen einige Abschnitte daraus vorlesen: Gleich hochherzig und gleich begeistert für die Wahrheit, wie sie der Welt im Evangelium offenbar geworden, trennten sich nichts desto weniger unsre frommen Vorfahren in einer Hauptlehre derselben. Man erkennt also beim anderen die gleiche Begeisterung für die Wahrheit. Man begegnet sich auf Augenhöhe.
So entstanden die evangelisch-lutherische und die evangelisch-reformierte Kirche. Jede von beiden hielt an ihrer Lehre fest, verteidigte sie und bestritt die ihr gegenüber befindliche; in jeder gewann allmählich der Ritus, die Verfassung und die innere Einrichtung der Kirche eine eigentümliche Gestaltung.
So erhielt sich die Trennung durch drei Jahrhunderte hindurch, doch umschlang beide selbst in dieser Trennung ein Band, der Glaube an Jesus Christus und an seine ewige den Menschen mit Gott versöhnende Liebe; und ein Geist war es, der beide belebte, der Geist freier Forschung in der unversiegbaren Quelle dieses Glaubens, in der heiligen Schrift. Und eben in diesem gemeinsamen Glauben und Geiste war von Anfang und blieb die Möglichkeit, aus der Trennung heraus zu Vereinigung und Einheit zu gelangen. Auf diesen Weg der Vereinigung hat man sich nun begeben. Man fühlt sich im Wesentlichen einig und lässt sich die Freiheit, im Detail unterschiedliche Vorstellungen zu haben und zu behalten.
Am Ende heißt es: Solcherweise einig in sich und mit allen Christen in der Welt befreundet, erfreut sich die evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogtum Baden der Glaubens- und Gewissensfreiheit, nach welcher die großen Vorfahren strebten und worin sie sich entzweiten. Die Eifersucht, womit sie und ihre Nachkommen sich einander gegenüber sahen, ist erloschen, die Ängstlichkeit, mit der sie ihre Unterscheidungslehren bewachten, verschwunden; die Freiheit des Glaubens ist erreicht und mit ihr die Freiheit im Glauben und die durch kein Misstrauen fortan zu störende Freudigkeit in einem Gott gefälligen Leben.
Sich verbunden wissen in der Liebe Gottes trotz Unterschieden: dies galt für Reformierte und Lutheraner in Baden vor 200 Jahren; dies gilt für Christen und Juden. Riemen und Bändchen können an die Verbindung mit Gott und untereinander erinnern.
Über allem steht die Dankbarkeit für Gottes verbindendes Handeln und die Freude an Gottes Wort.
Amen
Christoph Huss