So oder so – oder auch anders?
03.01.2021 (2. Sonntag nach dem Christfest),
Lukas 2,41-50
03.01.2021 (2. Sonntag nach dem Christfest),
Lukas 2,41-50
In die nachweihnachtliche Zeit hinein hören wir folgende Geschichte aus dem Evangelium, das Lukas geschrieben hat: Die Eltern Jesu gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen gehorsam. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Liebe Gemeinde,
das hat Lukas prima erzählt. Lukas war Arzt. Einem Arzt geht es um die Gesundheit. Und gar nicht gesund ist es, wenn man maßlos lebt und über die Stränge schlägt und damit über die eigenen Verhältnisse lebt. Ein Arzt weiß, dass eine solche Lebensweise krank machen wird. Dem Arzt Lukas geht es wie allen Ärzten um die Kunst des gesunden Lebens. Dabei geht es um das rechte Maß. Zu diesem Maß gehört das Ausgleichen der Gegensätze. Um gesund leben zu können, soll der Mensch seine innere Zerrissenheit überwinden und zur Einheit mit sich selbst und mit Gott finden. Daher liebt Lukas die Gegensätze. Und mit dem, was Lukas erzählt, nimmt er uns mit in einen inneren Prozess, der uns verwandeln wird. Lukas will Lebenshilfe aus dem Glauben vermitteln.
Was erzählt uns Lukas heute? Es sind Gegensätze, die er vor uns ausbreitet und mit denen er uns herausfordert, Stellung zu beziehen. Das erste Gegensatzpaar lautet
Tradition und Neues
Die Eltern von Jesus gingen alle Jahre wieder zum Passahfest nach Jerusalem. Die Eltern haben ihren Sohn in der Religion des jüdischen Volkes erzogen. Als er 12 Jahre alt war, nahmen sie ihn mit auf die Reise nach Jerusalem. Das war so Tradition. Jetzt erlebte Jesus zum ersten Mal das Hochfest Israels im Tempel mit und gedachte mit vielen anderen der Befreiung seines Volkes aus der Sklaverei in Ägypten. Das kannte Jesus. Doch die Umgebung war ihm neu.
Das kennen wir. Wir leben in unseren gewohnten Abläufen. Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Wir tun, was Brauch ist. Was denken wir uns dabei? Was bedeutet es uns? Berührt es uns noch? Das ist die Sicht der Eltern.
Jesus dagegen erlebt das Neue. Er ist aufgeregt, gespannt. Was ihn in Jerusalem erwarten wird? Jesus geht mit seinen Eltern mit. Er ist bereit, sich dieser neuen Erfahrung zu öffnen. Er ist bereit für das Neue, das ihn erwartet.
Das kennen wir. Und nicht immer ist das Neue das, was wir gebrauchen können. Wohl sehnen wir uns nach ihm und doch macht es uns auch unsicher. Wie gehen wir damit um, wenn sich Neues in unserem Leben ankündigt?
Lukas erzählt beides ohne Wertung und ruft uns zu: Mensch, finde deinen Weg!
Elternhaus und Vaterhaus
Als das Fest vorbei ist, treten die Eltern den weiten Rückweg nach Nazareth an. Dabei sind sie nicht gedankenlos, wenn sie davon ausgehen, dass alle wie immer die Rückreise antreten. Das ist das Gute an einer Gewohnheit. Sie ist fraglos richtig. Sie trägt einen. Sie gibt Sicherheit. Man muss sie nicht hinterfragen. Bis zu einem bestimmten Punkt. Da bricht dann was auf. Und Jesus ist nicht mit ihnen gegangen. Er ist im Tempel geblieben. Das war so nicht vorgesehen.
Ohne es geahnt zu haben, erleben sie ihren Sohn Jesus von einer neuen Seite. Er will nicht mehr ihre Wege gehen. Er bleibt da, wo er hingehört. Er hat sein Vaterhaus gefunden. Das Elternhaus hat er hinter sich gelassen. In der Frage seiner Mutter: Kind, warum hast du uns das getan? klingt mehr die Sorge als der Vorwurf. Auf die Gegenfragen Jesu: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? wissen Maria und Joseph nichts zu erwidern.
Lukas erzählt vom Elternhaus wie vom Vaterhaus und ruft uns zu: Mensch, finde deinen Weg! Und werbend fügt er hinzu: Wäre der Weg Jesu nicht was für dich?
Jung und Alt
Der Bub Jesus und die weisen Männer. Sie hören sich zu, der Junge stellt Fragen, die Weisen antworten ihm. Sie stellen ihm fragen, er beantwortet sie.
Kennen wir das so? Generationen im Gespräch und Austausch miteinander. Und gerade die weisen Männer staunen über den Bub Jesus.
Es geht nach Lukas darum, dass wir beide verstehen lernen: die Jungen und die Alten. Das sind nur scheinbare Gegensätze. Es gibt eine Weisheit der Jungen und eine Weisheit des Alters. Auch im Glauben. Und es ist wichtig, dass die Generationen sich miteinander hinsetzen und sich voneinander erzählen, Fragen stellen und miteinander Antworten finden. Diese Szene versöhnt die Jungen mit den Alten und stellt uns vor die Aufgabe, die Jungen mit den Alten ins Gespräch zu bringen.
Familie und Kirche
Was im Anfang so geheimnisvoll begann, wird jetzt Wirklichkeit. Die viel zu junge Maria hat einen Sohn zur Welt gebracht. Ihr Verlobter Joseph war nicht der Vater. Wusste das Jesus? Ahnte er es? Zwischen Himmel und Erde geschehen mehr Dinge, als man denken mag. Hier im Tempel wurde es für Jesus zur tragenden Gewissheit: ich gehöre hierher. Hier ist mein Ursprung, hier begegne ich meinem Vater. Das kann hart rüberkommen, wenn es so weit gekommen ist. So fragt Jesus seine Eltern: Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Natürlich wussten sie es. Doch im Laufe der Jahre hatten sie es vergessen. Deshalb kann es so wichtig sein, sich an die Anfänge zu erinnern. Sie sind wie eine Quelle des Lebens.
In der Frage Jesu: Wusstet Ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vater ist? begegnet uns Lesern diese neue Wirklichkeit, die sich Kirche nennt. Eine geistliche, keine biologische Familie.
Beide Familien stellt uns Lukas vor Augen und ruft uns werbend zu: Mensch, finde deinen Weg! Die Einladung steht! Die Tür ist offen!
Vater und Vater
Jetzt kommt der Werbeblock für Joseph. Als er von der Schwangerschaft seiner geliebten Maria erfuhr, hätte er sie verlassen können. Das Recht war auf seiner Seite. Doch als ihm eine Zukunft mit Maria träumte, blieb er bei ihr. So wurde er der soziale Vater von Jesus. Er zog ihn groß und brachte ihm bei, wie man mit Holz umging und damit Häuser bauen konnte. Er hatte ihn liebgewonnen. Und jetzt holte ihn der Anfang an. „Ich muss dort sein, wo mein Vater ist.“ Dieser Satz seines angenommenen Sohnes Jesus hat ihn hart getroffen. Und doch wusste Joseph, dass es eines Tages so kommen würde. Und vielleicht war er ja gerade der, der Jesus den Weg ebnete zum Vater im Himmel. Schmerzhaft blieb es trotzdem für ihn.
Lukas erzählt uns auch das und er ruft uns zu: Mensch, finde deinen Weg!
Wenn so klar und ohne Wertung erzählt wird wie Lukas es tut, muss was offen bleiben. Denn die Entscheidung für einen bestimmten Weg treffen wir.
Zu guter Letzt – das Innere und das Äußere
Und Maria behielt diese Worte in ihrem Herzen. Genau übersetzt heißt es „in ihrem Inneren.“ Maria hat also nicht damit abgeschlossen, was sie mit ihrem Ältesten erlebt hat. Nach dem Motto: er geht ja mit uns zurück. Jetzt ist er wieder brav. Sie bewegte es in ihrem Inneren. Sie ließ das Erlebte weiter in sich arbeiten. Sie wusste, dass das, was sie mit ihrem Sohn Jesus erlebt hat, nicht zu Ende war, sondern dass da ein Anfang gesetzt wurde. Maria kannte als Mutter den oft harten Alltag der Erziehung und Versorgung von Kindern. Sie kannte die äußere Wirklichkeit. Jetzt kennen wir auch ihre innere Welt.
So stellt uns Lukas Maria als eine Frau vor, die sich bewegen lässt von dem, was sie erlebt. Die nicht schnell abschließt, sondern noch was offenlässt. So will uns Lukas in dem Gegensatzpaar von Innerem und Äußeren sagen: Schau nach innen, schau nach außen – dann entscheide!
Und dann wäre es gut, wenn wir uns davon erzählen könnten. Ich erzähle euch von Doris. Wir waren eine Gruppe 20-Jähriger. 1975 taten wir uns zusammen und fuhren zu viert zum ersten Mal von St. Georgen nach Taizé. Nach zwei Wochen machten wir uns bereit zur Rückfahrt. Alles war gepackt, das Auto startklar. Doch Doris fehlte. Wir warteten eine Weile. Dann suchten wir sie. Wir fanden sie schließlich im Haus der Kleinen Schwestern. Wir forderten sie auf, mit uns nach Hause zu fahren. Doris erwiderte: „Ich fahre nicht mit. Ich habe hier mein Zuhause gefunden.“ Konsterniert und fragend fuhren wir zurück.
So kann´s gehen, liebe Gemeinde, so kann´s gehen. Wie´s mit Doris weiterging, müsste sie uns erzählen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN
Pfarrer Ewald Förschler