Senfkornglaube reicht
Predigt 12.09.2021 (15. Sonntag nach Trinitatis)
Lukas 17, 5-6
Predigt 12.09.2021 (15. Sonntag nach Trinitatis)
Lukas 17, 5-6
Gestern wurden in uns erneut die Bilder des 11. September 2001 wachgerufen.
Vollbesetzte Flugzeuge zu entführen und in ein Hochhaus zu lenken: die Idee und deren Ausführung war so ungeheuerlich, so erschreckend. 20 Jahre danach wissen wir: wir werden solche Terrorakte nie ausschließen können. Wir mussten unsere Ohnmacht akzeptieren, nun noch einmal bei dem Abzug aus Afghanistan.
Ach, wenn wir doch nur mehr ausrichten könnten! Wir wollen doch gerne etwas bewegen zum Guten. Wollen Dinge in die Hand nehmen und regeln. Andere können das doch auch.
Da dachten wir, wir haben jetzt dem Impfstoff, so schnell wie noch nie. Dann haben wir im Sommer die Pandemie hinter uns. Aber nein: neue Varianten dieses hirnlosen Virus verbreiten sich noch schneller. Außerdem wird die Impfung nicht so genutzt, wie es nötig wäre. Und so starten wir ins neue Schuljahr und das Gemeindeleben wieder mit Schutzkonzepten und den vielen Fragen, sie dies oder das zu organisieren ist.
Ach, wenn wir doch nur mehr ausrichten könnten! Wir haben so große Erwartungen an uns und andere. Und dann sind unsere Möglichkeiten so beschämend klein.
Der heutige Predigttext steht in Lukas 17, 5-6. Ich lese ihn nach der Elberfelder Bibel, die in diesem Fall näher am Originaltext ist als die Luther-Übersetzung.
5 Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Mehre uns den Glauben!
6 Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so würdet ihr zu diesem Maulbeerfeigenbaum sagen: Entwurzele dich und pflanze dich ins Meer! Und er würde euch gehorchen.
Gebet
Liebe Schwestern und Brüder,
es scheint den Jüngern so zu gehen wie uns. Ach, wenn wir doch nur mehr ausrichten könnten! Wir brauchen mehr Glauben. Etwas haben wir ja. Aber, Jesus, leg doch noch mal eine ordentliche Portion Glauben dazu.
Das sagen die, die mit Jesus gelebt haben, die gesehen haben, was in seiner Gegenwart geschieht. Sie schwanken zwischen Mut und Ohnmacht. Mal sagen sie: Herr, wir stehen unverrückbar auf Deiner Seite. Mal erfahren sie: wir kriegen es nicht hin, die Wunder, den Heldenmut. Das Wort eines Vaters: ich glaube, hilf meinem Unglauben, gibt ganz gut die Ambivalenz, den Zwiespalt wieder. Die Jünger spüren – wie wir in vielen Situationen: es bräuchte mehr. Darum kommen sie zu Jesus. Mehre uns den Glauben!
Wie groß soll er sein, unser Glauben?
So groß [Schale formen mit den Händen],
so groß [einen halben Meter zeigen mit den Händen]
oder so groß [Fäuste nach oben]?
Dann könnten wir Bäume ausreißen.
Wie groß ist Ihr Glaube heute?
Stark wie eine Eiche oder wankend wie ein Schilfrohr?
Wir merken:
Es ist so ein Problem mit den Messen des Glaubens.
Sollen wir uns überhaupt Bärenkräfte im Glauben wünschen?
Was ist das für ein Wunsch: mehre uns den Glauben?
Jesus könnte den Jüngern jetzt die Hände auflegen und sagen: jetzt habt ihr großen Glauben.
Das macht Jesus aber nicht. Er lässt die Bitte der Jünger liegen. Ihr wollt Bäume ausreißen? Wozu? Bäume ausreißen, erst recht einen Maulbeerbaum, der seine Wurzeln zwei Meter tief in felsigen Boden bohren kann, war schon damals ein Bild für etwas Unmögliches.
Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so würdet ihr zu diesem Maulbeerfeigenbaum sagen: Entwurzele dich und pflanze dich ins Meer! Und er würde euch gehorchen.
Ich konnte mit diesem Vers nie etwas anfangen, weil ich einen Vorwurf darin gehört habe. Luthers „hätte“ hat mich auf diese falsche Fährt gelockt. Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn … so klein [einen Millimeter zeigen] … dann zieht der Maulbeerbaum dort freiwillig seine Wurzeln aus der Erde und hebt sich ins Meer. Jesus übertreibt wieder einmal, um etwas deutlich zu machen.
Natürlich will niemand Bäume versetzen. Mit dieser Übertreibung will Jesus sagen: Auch der kleinste Glaube genügt. Auch das kurze Gebet, das Gott erreicht, die Liedzeile, die uns berührt, der kurze Moment des Verstehens: das reicht.
Wir sind zu maßlos in den Erwartungen an uns. Wir wollen gerne eine volle Glaubensbatterie, auf die wir uns verlassen können. Wir wollen Kraft spüren. Aber Jesus sagt: die kleine Kraft reicht. Die kleine Kraft, die die Verbindung herstellt mit der großen Kraft Gottes.
Glaube ist Vertrauen.
Glaube ist Beziehung,
Beziehung zu Gott.
Zu ihm lenkt uns Jesus hin und bahnt den Weg. Der Senfkornglaube reicht, weil er sich verbindet mit der Kraft Gottes. So bleibt jeder Schritt ein Wagnis, eine Vertrauensprobe. Mit jeder Probe kann das Vertrauen wachsen. Er hat mich getragen. Er hat mir doch durchgeholfen.
So kann der Glaube wachsen. Was größer wird, ist aber nichts in uns, sondern die Verbindung mit Gott.
Der ganze Sonntag ist dazu bestimmt, uns Sorgen zu nehmen. Jesu Wort vom Senfkornglauben will uns kein schlechtes Gewissen machen. Es will uns befreien und entlasten. Der Senfkornglaube reicht.
So befreit, nehmen wir auch das kleine wahr, was Gott tut. Wir nehmen war, was wir tun können. Auch wenn die großen Veränderungen ausbleiben. Betend ertragen wir die eigene Ohnmacht und geben doch die Hoffnung nicht auf.
7 Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, / verricht das Deine nur getreu / und trau des Himmels reichem Segen, / so wird er bei dir werden neu. / Denn welcher seine Zuversicht / auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
Amen
Christoph Huss