Realistisch und hoffnungsvoll im Alter
17.10.2021 (20. Sonntag nach Trinitatis),
Prediger 12, 1-7
17.10.2021 (20. Sonntag nach Trinitatis),
Prediger 12, 1-7
Liebe Schwestern und Brüder,
jeder Sonntag im Kirchenjahr hat ein bestimmtes Thema. Heute ist dies: „Nach Gottes Willen leben – in den verschiedenen Zeiten des Lebens“. Unter den für den 20. Sonntag nach Trinitatis vorgesehenen Bibeltexten finden sich solche über Kinder, über die Jugend, über die Ehe und seit der letzten Änderung des Perikopenordnung auch welche über das Alter.
Das betrifft ja uns alle, jeder wird – hoffentlich – alt oder es oder sie ist es schon. Der Predigttext für heute steht im Alten Testament, dem Buch „Prediger“. Dieser Prediger sieht es als seine Aufgabe an, die Lebensweisheiten an die junge Generation weiterzugeben. Sein Hauptmotto: „Alles ist eitel, alles ist Windhauch, alles ist vergänglich.“ Also lebe den Moment, regt er an, akzeptiere wie es ist und richte dich beizeiten nach Gott aus. Wir kennen seine berühmten Worte:
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; …
Weniger bekannt ist der heutige Abschnitt, Prediger 12, 1-7. Ich lese ihn nach der Basisbibel. Ganz im Sinne orientalischen Dichtkunst ist der Abschnitt voller Bilder. Damit wir ihn überhaupt verstehen, werde ich im mittleren Abschnitt immer gleich dazu sagen, was das Bild vermutlich bedeutet.
Bei anderen Bildern kann man vielleicht intuitiv erfassen, das gemeint ist.
1 Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind! Denn wenn du alt geworden bist, kommen die Jahre, die dir gar nicht gefallen werden. 2 Dann wird sich die Sonne verfinstern das Licht von Mond und Sternen schwinden. Dann werden die dunklen Wolken aufziehen, wie sie nach jedem Regen wiederkehren. 3 Wenn der Mensch alt geworden ist, zittern die Wächter des Hauses – das sind die Hände – und krümmen sich die starken Männer – das sind die Beine. Die Müllerinnen – das sind die Zähne – stellen die Arbeit ein, weil nur noch wenige übrig geblieben sind. Die Frauen, die durch die Fenster schauen, – das sind die Augen – erkennen nur noch dunkle Schatten. 4 Die beiden Türen, die zur Straße führen, – das sind die Ohren – werden auch schon geschlossen. Und das Geräusch der Mühle – das ist die Stimme – wird leiser, bis es in Vogelgezwitscher übergeht und der Gesang bald ganz verstummt. 5 Wenn der Weg ansteigt, fürchtet man sich. Jedes Hindernis unterwegs bereitet Schrecken. Wenn schließlich der Mandelbaum blüht, – das sind die weißen Haare – die Heuschrecke sich hinschleppt und die Frucht der Kaper aufplatzt: Dann geht der Mensch in sein ewiges Haus, und auf der Straße stimmt man die Totenklage an. 6 Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat, bevor die silberne Schnur zerreißt und die goldene Schale zerbricht –bevor der Krug am Brunnen zerschellt und das Schöpfrad in den Schacht stürzt. 7 Dann kehrt der Staub zur Erde zurück, aus dem der Mensch gemacht ist. Und der Lebensatem kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben hat.
Was für eine realistische Schilderung des Alters! Von den zittrigen Händen über die Schwerhörigkeit, von dem Nachlassen des Kauvermögens über die Gangunsicherheit ist alles dabei. Eine Mahnung an die jungen Leute ist der Zweck dieser Schilderung.
1 Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind!
Ja, die alten Tage sind beschwerlich. „Alt werden ist nichts für Feiglinge“, sagte dieser Tage eine Frau im Altenheim, die wusste, wovon sie spricht. Wobei es vielen gelingt, das Altwerden recht lange rauszuschieben. Wer seinen 65. Geburtstag feiert, ist noch lange nicht alt.
Für manche beginnt dort erst das schöne Leben. Die Kinder sind aus dem Haus, die gute Rente ermöglicht genüssliche Hobbies und schöne Reisen. Hörgeräte, Gebiss und gute Medizin mildern die Alterserscheinungen. Das hat sich eine ganze Lebensphase zwischen die Berufstätigkeit und das Alter geschoben.
Wobei die Mahnung des Predigers bleibt: 1 Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind!
Soll der Glaube im Alter tragen, ist es ratsam, die Verbindung mit Gott schon früh zu pflegen. Es ist schön, wenn das Vertrauen zu Gott reifen kann, wenn er sich vertieft durch die Phasen des Lebens hindurch. Dann ist da am Ende ein Schatz an Erfahrungen mit Gott, auf den man zurückgreifen kann.
Paulus schreibt im 2. Korintherbrief (4,16): Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
So würde ich es für mich wünschen: dass in dem Maße, wie der äußeren Möglichkeiten abnehmen und der Lebenskreis sich verkleinert, sich im Innern neue Räume auftun. Wenn ein Leben in der Breite nicht mehr möglich ist, könnte es vielleicht ein Leben in der Tiefe geben. Ich würde mir wünschen, dass Vertrauen auf die Kraft Gottes und Vertrauen in die Sorge anderer wächst, wenn die eigenen Kräfte und das Vermögen, alles unter Kontrolle zu halten, weniger werden. Überhaupt wäre noch ein Wort zu sagen zum Miteinander der Generationen.
Es kann ja nicht alles sein, die Jungen das Alter als Schreckbild vor Augen halten, wie es der Prediger tut. Die letzten Monate der Pandemie haben gezeigt, wie sehr Alte und Junge aufeinander angewiesen sind. Erst haben die Jungen sich zurückgehalten, um Ältere vor einer gefährlichen Infektion zu schützen. Nun war es an den Älteren, sich impfen zu lassen, um die zu schützen, die nicht geimpft werden können, etwa die Kinder unter zwölf Jahren.
Respekt der Jungen vor den Alten und auch der Alten vor Jungen, das predigt die Bibel zurecht an anderen Stellen – Ex 12, 20; Eph 6, 4; Kol 3, 21. Auch hier geht es um ein Vertrauen, um Hinhören, um Begegnung.
Und war bleibt am Ende? Es ist nur das Vertrauen, das ewige Arme uns halten.
Wie es Arno Pötsch 1941 so schön dichtet: Du kannst nicht tiefer fallen / als nur in Gottes Hand, / die er zum Heil uns allen / barmherzig ausgespannt. Es münden alle Pfade / durch Schicksal, Schuld und Tod / doch ein in Gottes Gnade / trotz aller unsrer Not. Wir sind von Gott umgeben / auch hier in Raum und Zeit / und werden in ihm leben / und sein in Ewigkeit.
Diese Ewigkeitshoffnung war beim Prediger noch recht vage. Seine Schilderung des Alters ist zwar humorvoll, aber auch etwas hoffnungslos. Weder kommt ein inneres Wachstum, eine innere Erneuerung im Altern zu Sprache, noch eine klare Hoffnung auf ein Leben in der Auferstehung. Dies Türe hat erst Jesus aufgestoßen in dem, was er predigte und indem er den Tod überwunden hat und uns die Hand bietet, ihm zu folgen.
Es ist wunderbar, dass wir diese klare Hoffnung haben dürfen, die Gewissheit, dass Gott uns zu einem neuen Leben erweckt, wenn hier der silberne Faden reißt und den Krug am Brunnen zerschellt. Ein Ausdruck dieser klaren Hoffnung fand sich kürzlich bei einem Begräbnis in dem Lebenslauf, den der Verstorbene einige Monate zuvor geschrieben hatte. Er schilderte zu Beginn, wie er sich ein Ankommen in der Ewigkeit vorstellt: Ich sehnte mich nach Deinem Haus, mein Gott, nach deinen Wohnungen und jener einen für mich, ohne Renovierungsbedarf und ohne Miete. Wärme im Haus und Brunnenwasser vor der Tür, Sonnenlicht und linder Regen, Morgentau und Abendstille, Veilchenduft und Amselgesang. Unverstellter Zugang zu allen, die ich liebe. Klärung mit den Despoten und Vollstreckern, den Narren und Toren, mit mir selbst. Schalom, mein Vater, da bin ich, zeig mir, wo ich wohne.
Amen
Christoph Huss