Öffnung fängt mit der Liebe an
13.06.2021 (2. Sonntag nach Trinitatis),
1. Kor 14, 1-3. 20-25
13.06.2021 (2. Sonntag nach Trinitatis),
1. Kor 14, 1-3. 20-25
Kontaktvermeidung, social distancing, das war eines der Mittel zur Bekämpfung der Pandemie, auch wenn das dem Menschen als sozialem Wesen gegen den Strich geht. Wir müssten Gemeindeglieder von Gottesdiensten ausschließen. Menschen haben sich selbst zum gegenseitigen Schutz zurückgezogen.
Nun wird es Zeit, dass wir wieder Wege zueinander finden, auch wenn Abstand und Maske noch an vielen Stellen sinnvoll sind. Es wird uns wohl gehen wie in den Schulen, dass sich Lehrer*innen und Schüler*innen erst wieder aneinander gewöhnen müssen.
Schön, dass wir nur wieder zusammenkommen können hier und sogar singen. Hoffentlich bleiben die Zahlen unten. Denn Gottesdienste sollen Menschen zusammenbringen. Dass sie trotzdem manchmal Leute ausschließen, ohne es zu wollen, ist nun noch eine andere Sache.
Im heutigen Predigttext spricht Paulus da ein Problem an, was in der Gemeinde in Korinth ein besonderes Problem war. Die Gaben des Geistes wurden hoch geschätzt und davon am meisten jene, die die natürlichen Möglichkeiten der Menschen sprengten, wo man am meisten abheben konnte.
Die Zungenrede, das Sprachengebet galt als die höchste Gabe. Menschen geben sich dabei so in hin in die Nähe Gottes, dass ihre Verbundenheit sich nicht mehr in verständlichen Worten äußert. Für die einen ist es Ekstase, für die anderen inniges Gebet, für andere wieder vor allem befremdlich. Denn man versteht die Worte nicht.
Dem Sprachengebet stellt Paulus die klar verständliche prophetische Rede gegenüber. Die prophetische Rede spricht Einzelne oder die Gemeinde seelsorgerlich an, sie spricht Trost und Mahnung aus zum geistlichen Leben oder zum praktischen Verhalten, sie deutet Gegenwartsfragen.
Textlesung 1. Kor 14, 1-3. 23-25
1 Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – vor allem aber danach, Prophet zu reden.
2 Wer in fremden Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn.
Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein Geheimnis.
3 Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, ermutigt sie und tröstet sie. …
23 Stellt euch vor: Die Gemeinde kommt zusammen und alle reden in fremden Sprachen. Wenn jetzt Unkundige oder Ungläubige hereinkommen, werden sie euch wohl für verrückt halten.
24 Stellt euch aber umgekehrt vor: Alle reden als Propheten. Wenn jetzt ein Ungläubiger oder Unkundiger hereinkommt, wird er sich von allen zur Rechenschaft gezogen sehen. Er weiß sich von allen geprüft.
25 Das, was in seinem Herzen verborgen ist, kommt ans Licht. Er wird sich niederwerfen, Gott anbeten und bekennen: „Tatsächlich, Gott ist mitten unter euch!“
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde!
Stellt Euch vor, wenn jetzt einer reinkommt … ja, dass stellen wir uns gerne vor.
Obwohl: Wir hatten in den vergangenen Monaten durch die Übertragung eine wunderbare Möglichkeit, miteinander verbunden zu bleiben. Diese Verbundenheit über die Bildschirme ist zwar eine reduzierte Form der Gemeinschaft, man sieht und hört nur in eine Richtung, und sieht sich nicht gegenseitig.
Aber die vielen dankbaren Reaktionen machen deutlich, dass wir diese Form der Verbundenheit über einen Bildschirm nicht gering schätzen dürfen. Die Online-Übertragung wird auch jetzt noch von zahlreichen Menschen genutzt, denen ihre Gesundheit oder ihr Wohnort keine Teilnahme vor Ort erlaubt. Und sie wird weiter ihren Platz haben.
Nun aber schlägt Paulus vor: Stellt Euch vor, wenn jetzt einer reinkommt … ja, dass stellen wir uns gerne vor. Sie sind heute da. Aber es sind noch genug Plätze frei, sodass wir uns noch mehr vorstellen können. Und wenn irgendwann, wenn auch die jungen Menschen geimpft sind, auch keine Abstände mehr nötig sind, ist noch viel mehr Platz.
Unsere Gemeinde ist ja viel größer, als die, die üblicherweise sonntags hierher kommen. Da gehören die jungen Leute dazu, die jetzt noch ausschlafen oder gemütlich am Frühstückstisch sitzen. Unsere Gemeinde, dazu gehören auch die, die nur ab und zu mal kommen, und heute eben nicht, oder die nur an Weihnachten kommen. Oder auch die, die zuletzt beim Begräbnis der Tante einen Gottesdienst besucht haben. Sie alle sind Teil unserer Gemeinde. Sie unterstützen die Kirche in der Regel durch ihre Kirchensteuern oder Gemeinbeiträge.
Und irgendwie gehören auch die in unseren Blickwinkel, die gar keine Mitglieder der Kirche sind, vielleicht nicht einmal Christen, die, die Gott suchen, oder noch gar nicht nach ihm fragen, die Gemeinschaft suchen, aber sich niemals hier rein trauen würden. Manchem ist Kirche ja so fremd wie uns … ja was?
Vielleicht die Autoposer-Szene, oder eine Fußball-Fangemeinde. Sicher fällt Ihnen ein Ort ein, an den Sie keine 10 Pferde bringen würden oder an dem Sie sich zumindest sehr fehl am Platz fühlen würden.
So mag es manchem gehen, der noch nie oder lange nicht mehr in einer Kirche war, aber doch einmal wissen wollen würde, worum es da geht. Vielleicht würde er von ferne schauen. Welchen Eindruck würde er von dem Gebäude haben, von den Leuten, die reingehen, von der Musik, die er hört?
Ich möchte uns ermuntern, sie alle zu sehen, die große Gemeinde. Jesus sieht sie alle. Er macht die große einladende Geste: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“
Auch Paulus geht es um dasselbe. Er will Menschen gewinnen. Er will Menschen retten. Er will sie in die Freiheit, in die Weite führen. Auch wenn er hier über die verschiedenen Gaben in der Gemeinde nachdenkt. Seine einzige Motivation ist die Liebe Gottes, die allen Menschen gilt. Vers 1: Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Ein ganzes Kapitel – 1. Kor 13 – hat er gerade darüber geschrieben.
Auch wir sollen das Ganze sehen, die ganze große Gemeinde. Wir wollen uns leiten lassen von der Liebe Gottes zu allen Menschen. Wir wollen uns anstecken lassen von der einladenden Geste von Jesus. Wir wollen einladen; nicht weil wir einladen sollen, oder um die Bänke zu füllen, sondern weil wir die Menschen sehen und die Liebe Gottes in uns tragen.
Stellen sie sich jemand vor aus Ihrer Nachbarschaft, der ihnen sehr fremd ist, der so ganz anders ist. Schauen Sie mit den Augen Gottes, seiner Liebe zu ihm. Stellen Sie sich vor, er oder sie säße neben Ihnen in der Kirche. Jesus hat ihn eingeladen. Und auch sie öffnen ihr Herz für diesen Menschen. Sie vergessen alle Vorbehalte und Fragen und staunen über Jesus und seine Wege mit den Menschen. Vielleicht wird uns dabei klar, dass unser Verhalten behutsamer werden muss, dass unsere Musik sich verändern muss, dass unsere Sprache wohl recht unverständlich ist. Und daran müssen wir arbeiten.
Alle Öffnung fängt an mit der Liebe. Nicht als Anstrengung, sondern als eine Weite in uns, die von Gott ausgeht. Oft merken wir eine furchtbare Unbeholfenheit im Gespräch mit Menschen, die aus einem anderen Nest kommen. Aber wir können das lernen. Im Hinhören. Indem wir uns von der Liebe und dem Geist Gottes leiten lassen.
Und auch wir werden etwas lernen von denen, die kommen. Wir sind nicht die Wissenden und andere die Unwissenden. Wir sind alle Lernende, sind gemeinsam auf dem Weg.
Amen
Christoph Huss