Öffne dich!
22.08.2021,
Markus 7, 31-37
22.08.2021,
Markus 7, 31-37
Liebe Gemeinde,
können Sie könnt Ihr Euch vorstellen, wie es ist, nichts zu hören und damit auch nicht zu reden? Mein Mann und ich waren vor ein paar Tagen noch im Urlaub. Wir waren in Bayern – südlich von München. Dort machen wir herrliche Ausflüge. Ein Ausflug führte uns auf die Fraueninsel auf den Chiemsee. Dort steht ein altes Kloster. Als wir dort ein Eis aßen, da konnte ich am Nebentisch eine Familie beobachten, die sich mit Zeichen und Gesten verständigten. Es war ganz leise am Tisch, aber eine rege Bewegung von allen vier Familienmitgliedern war deutlich zu sehen. Die Familie war es gewohnt, sich nonverbal zu unterhalten – sie waren gehörlos. Und doch faszinierte mich, wie sie miteinander im Gespräch waren – in einer ganz eigenen Form.
In der Geschichte heute aus dem Markusevangelium geht es um einen taubstummen Mann, den Jesus heilte. Danach verließ Jesus das Gebiet von Tyros wieder. Er kam über Sidon zum See von Galiläa, mitten ins Gebiet der Zehn Städte. Da brachten Leute einen Taubstummen zu ihm. Sie baten Jesus: Leg ihm deine Hand auf! Jesus führte ihn ein Stück von der Volksmenge weg. Er legte seine Finger in die Ohren des Taubstummen und berührte dessen Zunge mit Speichel. Dann blickte er zum Himmel auf und seufzte und sagte: Effata das heißt: Öffne dich! Sofort öffneten sich seine Ohren, seine Zunge löste sich, und er konnte normal sprechen. Jesus schärfte ihnen ein, nichts davon weiterzuerzählen. Aber je mehr er darauf bestand, desto mehr verkündeten sie, was Jesus getan hatte. Die Leute gerieten völlig außer sich vor Staunen und sagten: „Wie gut ist alles, was er getan hat! Durch ihn können die Tauben hören und die Stummen reden!“
Effata – Öffne dich! Diese Geschichte ist der Anfang von Häusern und Einrichtungen geworden, die ihre Türen geöffnet haben für Menschen, die anders sind als ich und du. Diese Menschen waren damals ausgegrenzt und lebten zurückgezogen in den Häusern ihrer Eltern. Sie waren anders. Aber wie ist das heute? Wie fühlen sich Menschen heute, die mit einer Beeinträchtigung leben müssen? Erleben sie heute eine Gesellschaft mit Verständnis und Toleranz?
Leider sind wir auch in unseren Tagen weit davon entfernt – leider! Als wir an einem Sonntag vor drei Wochen in München waren, erlebten wir eine kleine Kundgebung mit, die von Menschen mit Beeinträchtigungen initiiert war. Dort kamen Menschen mit verschiedensten Handicaps zu Wort, die sich wünschten, dass sie als gleichberechtigte Menschen behandelt werden. Dabei ging es um ganz alltägliche Dinge, wie z.B. allein in der Stadt unterwegs zu sein und von den Fußwegen über die Straße zu kommen, ohne dass sie auf fremde Hilfe angewiesen sein müssen, weil es keine Absenkung gibt. Oder die Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln ist auch ein Problem, da es unüberwindbare Barrieren für sie gibt. Ganz zu schweigen von einer Beteiligung in Gremien und Ausschüssen. Menschen mit Beeinträchtigungen werden oft gar nicht als vollwertige Mitbürger wahrgenommen. Also auch heute haben sie wenig Mitspracherecht.
Und genau um diese ausgegrenzten Menschen kümmert sich Jesus. Ihm ist der taubstumme Mann, der in der Bibel keinen Namen trägt – nicht egal. Er sieht ihn und er nimmt sich seiner an. Er nimmt ihn zur Seite und ist ganz für ihn da. Das merkt der Mann, dass da einer ist, der ihn ernst nimmt. Vielleicht spürt er es, weil nun der Boden unter seinen Füßen ruhig ist, nicht so wie vorher, als die Menschenmenge noch um ihn herum stand. Jesus nimmt sich Zeit nur für ihn. Er berührt ihn, das kann der Taubstumme spüren und er ist wiederum von Jesu Tat innerlich berührt. Er ist voller Anspannung, denn hier passiert was mit ihm. Wie lange das dauert, die Berührung der Ohren und der Zunge, davon wissen wir nichts. Aber als Jesus zum Himmel blickt und laut Effata – öffne dich ruft, da plötzlich wird alles anders. Die Anspannung löst sich, die Ohren werden frei und die Fesseln der Zunge löste sich – so lesen wir weiter und der Mann redete richtig.
Das ist eines der Wunder, die Jesus getan hat. Und wie ist es heute? Rechnen wir heute mit Jesus Eingreifen in unsere Welt? Die Menschen damals waren ergriffen und staunten. Und obwohl Jesus ihnen sagte, sie sollen es nicht weitererzählen, so taten sie es trotzdem.
Mit Spuren Gottes in unserer Zeit tun wir uns schwer. Ein Virus hat uns nach wie vor in der Hand und bestimmt heute weitestgehend unser Leben. Wir Menschen leiden sehr darunter und mancher und manche fühlen sich allein gelassen. Krankheiten gab es zu jeder Zeit und es ist erstaunlich, wie andere Generationen damit umgegangen sind. Am Ende der Pest etwa vor über 350 Jahren wurde aus Dank in Venedig die Santa Maria della Salute gebaut – eine Votivkirche. In Oberammergau werden seit 1634 aus Dank, dass das Dorf von der Pest verschont blieb, Passionsspiele aufgeführt. Was für Beispiele von großem Vertrauen auf Gott, der uns helfen kann.
Unser Gebet zu Gott, dass er die Welt in seinen Händen hält und erhält ist wichtig und vereint uns unter seinem Namen. Wir dürfen Gott in den Ohren liegen – so wie Siegfried Eckert eine Sammlung von eindringlichen Gebeten in einem Buch zusammengefasst hat. Ihm, unsern Herrn, können wir unsere Ängste, Sorgen und Nöte klagen. Er ist da und er hört uns zu. Auf ihn dürfen wir uns verlassen. So, wie Jesus damals den Taubstummen geheilt hat, so will er auch uns helfen und uns die Ohren öffnen für die Wunder, die auch heute geschehen. Vielleicht haben wir verlernt, auf seine Hilfe zu hoffen und verlassen uns doch lieber auf uns selbst. Aber das kann nicht gut gehen, denn unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Ihm dürfen wir ganz und gar vertrauen, dass er uns begleitet. Das nimmt uns die Angst und lässt uns neue Hoffnung und neuen Mut schöpfen.
Aufeinander hören, das fällt uns in unseren Tagen nicht leicht. Beratungsstellen sind voll von Familien, in denen das Gespräch versiegt ist, weil der eine dem anderen nicht mehr zuhört. Das ist besorgniserregend. Und ich möchte ergänzen, dass unsere Generation mehr und mehr verlernt auf Gott zu hören. Die Kirchenaustritte sprechen eine Sprache für sich.
Bitten wir Gott, dass wir wieder aufeinander zugehen, einander zuhören und so wieder fähig werden, aufeinander zu achten. Und bitten wir ihn, dass wir sein Wort hören und es anderen weitersagen. Denn Gottes Wort hat Kraft zum Heilen und es macht uns innerlich frei. Gottes Wort will uns stärken für die kommenden Tage und unseren Blick schärfen für den Nächsten, der auf unsere Hilfe wartet. So können auch heute in unserer Zeit Wunder geschehen, wenn wir Augen und Ohren dafür offenhalten. Gott hinterlässt Spuren auch in Deinem und meinem Leben.
Amen
Gabriele von Dressler