Mit gebeugtem und aufrechtem Herzen.
15.08.2021 (11. Sonntag nach Trinitatis, 13. August),
Lukas 7, 36-50
15.08.2021 (11. Sonntag nach Trinitatis, 13. August),
Lukas 7, 36-50
Menschen gehen mit unterschiedlicher Haltung durch das Leben. Man kann gebeugt gehen oder aufrecht. Mancher wird von seinem Körper in eine gebeugte Haltung gezwungen, etwa durch ein Rückenleiden. Bei anderen scheint sich an der äußeren Haltung etwas von der inneren Haltung abzubilden.
Wie nehmen wir unsere Haltung wahr? Ist es die Haltung, die wir uns wünschen? Ist es die angemessene Haltung? Welches ist die angemessene Haltung gegenüber Gott?
Der heutige Sonntag kreist um diese Frage der angemessenen Haltung. Der Predigttext stellt uns zwei Menschen vor, die sich gegenüber Jesus eine ganz unterschiedliche Haltung geben.
Textlesung nach Basis-Bibel (Vers 47: Denn sie hat so viel Liebe gezeigt)
Gebet
1. Pharisäer und Sünderin
Liebe Schwestern und Brüder!
Die beiden, der Pharisäer und Sünderin, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Pharisäer hat Jesus, den Wanderprediger, eingeladen zum Essen. Das ist sehr anständig, es gehört sich so. Und weil es nicht so genau weiß, was er von ihm halten soll, übertreibt er es mit den Ehr- und Sympathiebezeugungen nicht. Ein Bruderkuss zur Begrüßung, Füße waschen und salben: da hält er sich lieber zurück. Er weiß einfach nicht, was dieser Jesus nun ist. Ein Prophet, der Retter, ein Aufrührer oder ein Scharlatan.
Pharisäer machen es sich nicht leicht. Sie meinen es ernst mit dem Glauben. Der fromme Mann ist höflich, aber hält sich zurück. Auch, als jene Frau auftaucht. Er denkt sich zwar seinen Teil, sagt aber nichts.
Die Frau ist bekannt, sie ist eine Sünderin. Mehr verrät der Evangelist Lukas nicht. Sünderin kann viel bedeuten. Sie trägt ebenso wenig einen Namen wie der Pharisäer.
Das ist aber auch das Einzige, was sie gemeinsam haben. Wo er Zurückhaltung walten lässt, überschreitet sie sämtliche Grenzen. Sie bricht in die Essenrunde der Männer ein.
Solche Essen hatten zwar eine gewisse Öffentlichkeit, aber sie war dort sicher nicht eingeladen. Es schert sie nicht. Sie tritt zu Jesus, ein Fläschchen mit kostbaren Öl in der Hand. Sie will ihm Gutes tun. Sie fängt an zu weinen; als die Tränen auf seine Füße fallen, trocknet sie sie mit ihren Haaren ab. Sie küsst die Füße. Eine Grenzüberschreitung nach der anderen. Sie scheint die Kontrolle zu verlieren. Sie salbt seine Füße mit dem Öl. Peinlich. Oder?
Der Pharisäer denkt sich seinen Teil, aber schweigt. Wenn dieser Jesus wüsste. Jesus antwortet seinem Schweigen. Jesus weiß. Jesus weiß sogar, was in dem Mann vorgeht.
Er erzählt ihm eine Geschichte von zwei Schuldnern und stellt ihm die Frau als Vorbild hin. Er sagt, es geht hier um Liebe und Vergebung. Wo viel Vergebung ist, ist viel Liebe. Wo viel Liebe ist, ist viel Vergebung. Wo viel Haltung bewahren ist, recht haben, Anstand wahren, Rechtschaffenheit, ist wenig Liebe. Perfektionismus kann Menschen unbarmherzig machen. Andere spüren das, auch wenn man nichts sagt und nur guckt.
Auch Jesus kennt seine Pappenheimer. Zur Sünderin aber sagt er: Deine Schuld ist dir vergeben. Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden.
Ich stelle mir vor, dass sie in gebeugter Haltung hereinschlich und den Raum still und aufgerichteter verließ. Ich stelle mir vor, dass der Pharisäer etwas unsicherer und gebeugter zurückblieb. Wir wissen es nicht. Er steht nicht da, was er sagt oder tut. Vielleicht sollen wir das jeder für uns beantworten.
2. Herrnhut
Hat das was mit der Geschichte in Herrnhut zu tun, an die wir in diesen Tagen denken? Ich denke ja. „Wir lernten lieben“, hieß das Fazit am Ende jenes 13. August 1727. Auch da kam die Liebe, weil sie ganz viel Vergebung erfahren haben.
Sünder oder Sünderinnen gab es nicht viele in Herrnhut. Um so mehr Rechtschaffene und Rechthabende, Fromme und noch Frömmere. Die waren es ja, die dort hingezogen waren, seitdem Zinzendorf im Jahr 1722 seine Ländereien zur Verfügung gestellt hatte. Als sich das herumsprach, zogen nicht nur Flüchtlinge aus Mähren dorthin, auch Ernstmeinende und Rechtgläubige aus anderen Richtungen suchten ihr Heil dort im Osten von Sachsen. Das war zeitweise ein Hauen und Stechen in dem kleinen Ort. Wer ist vorherbestimmt? Wer ist erlöst? Wie leben Erlöste? Soll man das Abendmahl feiern und taufen wir in den großen Kirchen? Was ist richtig und was ist falsch.
Die Leute haben schon gemerkt, dass das nicht so bleiben kann, die ständige Streiterei. Man hat sich bemüht umeinander, hat Lebensregeln aufgestellt, Ämter eingeführt, Gruppen gebildet, Bibel gelesen, viele Predigten gehört, gebetet.
Im Nachbardorf gab es eine Sünderin, eine Brandstifterin, die zum Tode verurteilt war; für die hat man viel gebetet.
Jener 13. August begann nicht als Festtag. Im Gegenteil: man war sich bewusst, dass man so gar nicht dem entsprach, was man unter einer guten Gemeinde verstand. Und man wusste immer noch nicht, wie man die Uneinigkeit über den rechten Weg der Kirche überwinden sollte. Als man dann am 13. August 1727 mitten in der Woche zu einem Abendmahl in der Kirche in Berthelsdorf zusammenkam, war dies in einer gebeugten, bußfertigen Haltung.
Zinzendorf beschreibt das später: „Alle Leute, die am 13. August 1727 in Herrnhut beisammen waren, die waren mit sich selber gar unzufrieden … Ein jeder war sich wohl bewusst, dass er nichts taugte und in dieser Bewusstheit kamen sie alle vor den Heiland.“ In demütiger Haltung kamen sie vor Gott, aber auch in dem Vertrauen, dass seine Gnade auch ihnen gelte.
Nachdem Zinzendorf im Namen der Gemeinde die Beichte abgelegt hat, wurde der Gemeinde Vergebung zugesprochen und man ging zum Abendmahl „mit gebeugtem und erhöhtem Herzen“.
Sie haben in diesem Abendmahl die barmherzige Nähe Gottes erfahren, … „und wir gingen um 12 Uhr ziemlich außer uns selbst ein jeglicher wieder heim. Wir brachten hierauf diesen und den folgenden Tage in einer stillen und freudigen Fassung zu und lernten lieben. .. so kam die Gemeinde wieder nach Herrnhut zurück als neugeborene Kinder.“
Es ist hier wie in der Geschichte von Jesus mit dem Pharisäer und der Sünderin. Viel Liebe hat mit viel Vergebung zu tun.
Schluss
Und was heißt das jetzt für die Haltung. Welches ist die angemessene Haltung im Leben? Die aufgerichtete Haltung oder die gebeugte?
Was die äußere Haltung angeht, haben die Ärzte, Physiotherapeuten und Fitnesstrainer sicher recht, dass eine möglichst aufrechte Haltung anzustreben ist. Aber was ist innerlich angemessen?
Alles sträubt sich in mir, eine gebeugte innere Haltung zu empfehlen. Zu oft wurden Menschen geknechtet, verbogen und gebrochen.
Gott will niemanden knechten. Es will Menschen befreien und aufrichten. Wie oft hat Jesus Menschen aufgerichtet, sehend und gesund gemacht, äußerlich und innerlich.
Aufrichten aber kann Jesus nur Menschen, die wirklich zu ihm kommen. Die prüfend am Rand stehen bleiben, finden nicht zu ihm. Zu ihm finden heißt auch, den eigenen Stolz loszulassen, die eigene Bedürftigkeit einzugestehen Grenzen wahrnehmen und … hinter sich lassen.
Das Besondere an Herrnhut waren nicht der Eifer der Flüchtlinge und die guten Ideen Zinzendorfs, sondern das Handeln Gottes. Sie feierten das Abendmahl mit „gebeugtem und erhöhtem Herzen“. Sie kamen mit leeren Händen zum Abendmahl und kriegten Hände und Herzen gefüllt.
Gott widersteht dem Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
Jesus ließ den Pharisäer ratlos stehen. Das war vielleicht ein guter Anfang.
Amen
Christoph Huss
ὃτι – dass; weil. Erster und zweiter Satzteil sind widersprüchlich, nicht auflösbar.