Knien vor Jesus, stehen bei den Menschen.
Ansprache zum Ältestenfest – 07.11.2021,
Lukas 6, 27-38
Ansprache zum Ältestenfest – 07.11.2021,
Lukas 6, 27-38
Liebe Schwestern und Brüder,
als Text für die Ansprache habe ich einige Verse aus Lukas 6 ausgesucht, einem der Predigttexte für diesen Sonntag. Er orientiert sich auf die Friedensdekade hin, hat aber auch eine Verbindung zum heutigen Ältestenfest der Brüdergemeine.
Lukas 6, die Verse 27-29, 36 und 38
27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen;
28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.
29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar…
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. …
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.
Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. Eine ganz schöne Zumutung. Entgegen den menschlichen Reflexen, die sofort und zurecht auf Abwehr schalten.
Jesus sagt: Atme erst einmal durch. Atme erst mal … Gottes Geist ein. Lass den Gottesatem dich durchwehen. Damit löst sich die Frontstellung zum Gegenüber auf. Gott als weiteres Gegenüber kommt ins Spiel. So entsteht eine andere Haltung in mir. Ich merke, dass ich bei Gott stehe und Gott bei mir. Ich spüre die Nähe von Jesus.
So entsteht Freiheit. Freiheit, jenseits von Reflexen und spontanen Impulsen, das zu sagen und zu tun, wozu Gottes Geist leitet.
Jesus selbst hatte diese Freizeit vorgelebt. Auf seinem Leidensweg wehrt er sich in der Tat nicht, sondern hält das Leiden aus. Ein anderes Mal sieht er deutliche Grenzen, vertreibt die Händler aus dem Tempel, schützt die Ehebrecherin gegen die Männer, die sie steinigen wollen.
Es geht bei dem, was Jesus hier seinen Anhängern, Interessierten und Skeptikern predigt, nicht um generelles Duckmäusertum, sondern um die christliche Freiheit und um das sich Verorten im Vertrauen zu Gott.
Diesen Weg von Jesus zu gehen, ist eine große Herausforderung. Wenn wir heute in die Geschichte der Brüdergemeine schauen, dann kann uns gleich der Anfang bei Jan Hus einfallen. Gegenüber Kaiser und Papst hat er sich allein auf den Boden der christlichen Wahrheit gestellt, wir er sie in der Bibel fand, hat die Freiheit des Glaubens bis zum Ende nicht losgelassen.
Bei Bibelgespräch online am Freitag erzählte jemand ein Beispiel aus unserer Zeit. Von Christen im Nahen Osten, die für ihre Verfolger beten und auf Gewalt nicht mit Vergeltung reagieren. Und ihr Verhalten fällt auf, Menschen werden aufmerksam: Was ist das für ein Glaube?
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Gottes Barmherzigkeit bedeutet ja nicht, dass Gott wegschaut und den Menschen alles durchgehen lässt. Der barmherzige Gott setzt Menschen Grenzen, stellt sie zur Rede. Er stellt sich auf die Seite der Schwachen. Barmherzig sein, wie der Vater barmherzig ist, heißt, nicht alles mit einem sanften Lächeln zuzudecken. Das kann auch heißen, Unbarmherzigkeit, Gewalt und Machtmissbrauch aufzudenken. Denn es geht um Heilung, es geht Umkehr und Versöhnung.
Der 13. November 1741, der Anlass des heutigen Denktags der Brüdergemeine ist, war ein Huldigungstag. Man wollte sich noch einmal ganz bewusst Jesus Christus als dem Ältesten der Gemeinde anvertrauen. Dass letztlich nur Jesus selbst der Generalälteste, der ultimative Leiter seiner Gemeinde und jedes Einzelnen sein, hatte man zwei Monate zuvor in einer Krise der Brüdergemeine erkannt. Man hatte das ganz tiefe Vertrauen, dass Jesus wirklich die großen und die kleinen Dinge regeln kann.
Diesen ganz besonderen Bund, diese enge Verbindung wollte man spürbar machen, an diesem Huldigungstag am 13. November. Das knien vor Jesus war die innere und äußere Haltung dazu. Etwas, was die Brüdergemeine bis heute auch in ihren Gottesdiensten beibehalten hat, etwa im Abendmahl.
Sonst geschahen Huldigungen vor weltlichen Herrschern. Die Herrnhuter haben das auf Jesus übertragen. Sie haben mit dem Huldigungstag auch eine Amnestie verbunden, wie oft beim Neuantritt von weltlichen Herrschern. Viele, die bis dahin in Kirchenzucht waren, ausgeschlossen vom Abendmahl, weil sie sich irgendetwas zuschulden hatten kommen lassen, haben diese Möglichkeit eines Neuanfangs genutzt. 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Alle haben an diesem Tag gespürt, dass Gottes Barmherzigkeit in ihrer ganzen Fülle über den Menschen ausgegossen wurde, ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß, wie es im Predigttext heißt.
Ich möchte die Haltung, die unseren Bibeltext und den heutigen Gedenktag verbindet, mit einem Satz veranschaulichen: Knien vor Jesus, stehen bei den Menschen.
A m e n
Christoph Huss