Ins Licht gerückt
25.07.2021 (8. Sonntag nach Trinitatis),
Epheser 5,8-14
25.07.2021 (8. Sonntag nach Trinitatis),
Epheser 5,8-14
Liebe Gäste von nah und fern, liebe Zuhörer und Zuschauer im Christoph-Blumhardt-Haus und im Internet, liebe Schwestern, liebe Brüder,
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus!
Man muss zur Zeit früh aufstehen, will man den Sonnenaufgang hier im Schwarzwald erleben. Stille umhüllt Berg und Tal. Langsam weicht die Finsternis. Die Dämmerung beginnt. Zunächst nur ein Lichtstreif im Osten. Dann die rote Sonne am Horizont. Die Morgendämmerung weicht dem Tag. Im heller werdenden Licht werden Wald und Ort sichtbar. Steigt man von der Hochfläche auf eine Anhöhe, meint man in die Wärme zu laufen.
Auch in unserem heutigen Predigttext ist von Licht und Finsternis die Rede. Ich lese aus dem Brief an die Epheser, dem 5. Kapitel, die Verse 8 bis 14.
(Denn) ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.
Licht und Finsternis – ein Begriffspaar, wie es gegensätzlicher kaum sein kann. Unversöhnlich steht es sich gegenüber. Wo es hell ist, kann es nicht dunkel sein. Und wo die Finsternis herrscht, ist für das Licht kein Platz. Entweder – oder! Klare Sache, oder? Licht und Finsternis – ein oft verwendetes Bild in der Bibel, ein Bild, um den Unterschied zwischen dem Volk Gottes und der Welt, zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Gottesnähe und Gottesferne deutlich zu machen. „Ihr seid Kinder des Lichts; mit der Finsternis habt ihr nichts zu schaffen.“ Klare Sache!
Doch ist es wirklich so klar? Beschleicht uns da nicht ein ungutes Gefühl? Ich denke nicht, dass wir mit Schwarz-Weiß-Malerei dem Leben gerecht werden. Wenn die einen ganz genau wissen, dass sie den rechten Glauben haben und die andern auf dem Holzweg sind, dann habe ich meine Bedenken. Wenn immer nur die anderen die Bösen im Dunkeln sind, während sich die einen im Licht moralischer Überlegenheit sonnen, denke ich, da kann doch etwas nicht stimmen. Denn ich stelle an meinem eignen Leben fest, dass es nicht nur Licht gibt, dass es nicht nur Schatten gibt. Und wo ein Licht ist, findet sich auch schnell ein Schatten. Kein Licht ohne Schatten und kein Schatten ohne Licht.
Selbst wenn ich mit allen guten Vorsätzen und allem guten Willen etwas anfange, passiert es mir, dass ich Menschen enttäusche oder ihnen Unrecht tue, auch wenn ich es nicht will. Nein, so einfach ist das nicht mit Licht und Finsternis, mit dem Guten und mit dem Bösen, mit Glauben und mit Unglauben. Besonders merken wir das, wenn wir versuchen bei Problemen und Konflikten die richtigen Lösungen zu finden. Haben wir beiden Seiten zugehört, dann wissen wir manchmal nicht, wer hat denn nun Recht. Das Ganze erscheint mir allzu oft wie ein großer gordischer Knoten aus Missverständnissen und aus Vorurteilen. Ein großer Knäuel aus Unterstellungen und aus gegenseitigen Kränkungen. Beide Seiten haben kräftig daran mitgestrickt. Wie kann ein solcher Knoten oder ein solcher Knäuel je völlig entwirrt werden? Wie soll man da zwischen Licht und Finsternis unterscheiden?
Liebe Geschwister, lässt der Predigttext Raum für solche Überlegungen? „Lebt als Kinder des Lichts! … Habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis!“ Ist da überhaupt Platz für Zwischentöne? Können wir da noch differenzieren in der Beurteilung menschlichen Verhaltens? Oder müssen wir uns entscheiden: Entweder – oder? Gut oder böse? Licht oder Finsternis? Der genaue Blick in den Text zeigt uns, dass unsere Entscheidung und unsere Zuweisung gar nicht gefragt sind. Nicht wir teilen ein, wer im Licht und wer in der Finsternis lebt, sondern Gott rückt uns ins rechte Licht! Und von da aus ergibt sich alles andere.
Der Schlüssel zu dieser Erkenntnis liegt im letzten Satz unseres Predigttextes: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!“ (Vers 14) Es handelt sich um einen Vers oder besser um einen Weckruf aus der Taufliturgie der ersten Christen. Dieser Vers wurde über den (erwachsenen) Täuflingen nach ihrem Untertauchen ausgerufen. „Gott hat dir in Christus neues Leben geschenkt – nun wach auf, werde lebendig! Gott hat dich aus der Finsternis in das Licht seiner Liebe gestellt – nun lebe auch als ein Kind des Lichts!“
Durch unsere Taufe gehören wir ins Licht. Durch Jesus Christus, der die dunklen Todesmächte überwunden hat, gehören wir ins Licht – auch wenn wir nach wie vor in dieser zwielichtigen Welt leben als unvollkommene Menschen. Wir leben in einer Welt zwischen Nacht und Tag. Wir leben in der Zeit der Dämmerung zwischen der vergehenden Nacht und dem beginnenden Tag. Wir leben in einer Zwischenzeit. Wir befinden uns noch zwischen Himmel und Erde, zwischen Licht und Finsternis. Wir sind hin und hergerissen zwischen den Früchten des Lichts und den Werken der Finsternis. Wir sind hin und hergerissen zwischen dem Wachsein im Geist Gottes und der Verschlafenheit hin zum Tod. Wir sind dem Leben mit Jesus verpflichtet oder werden angezogen von der honigsüßen, trügerischen Unabhängigkeit einer Welt ohne Gott. Kinder Gottes oder Knechte der Sünde. Wir leiden an dieser Zerrissenheit auf unserem Weg zu Gott.
Wir haben alle das Bedürfnis im Einklang mit uns selbst zu sein, am liebsten ohne Stress. Aber das ist nicht die Wirklichkeit im Leben einer Christin oder eines Christen. Wer Jesus nachfolgt, gerät in eine Auseinandersetzung zwischen der Anziehungskraft der Sünde und den Erwartungen anderer Menschen, zwischen dem Weg zu Gott oder dem Weg von Gott. Wir leiden an dieser Zerrissenheit! Wir werden sie nicht los, denn wir bleiben in diesem Leben Sünder, die in dieser Zwischenzeit nur von Gottes Gnade leben. Aber wir dürfen wissen: „Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Das ist nicht ein Satz, der einfach nur so dasteht! Es ist lebendige Wirklichkeit. Denn das Licht scheint in der Finsternis. Es scheint in jedem von uns. Es scheint auch in dir. Christus lebt in dir, egal wie du dich Gott gegenüber fühlst.
Für die Christen in Ephesus war manches vielleicht klarer als für uns. Sie hatten das Evangelium kennengelernt. Es hatte sie ergriffen. Sie waren umgekehrt. Die Taufe bedeutete für sie, sich von dem alten Leben abwenden und mit Jesus Christus leben. Aber etwas hatten die Menschen in Ephesus offensichtlich gemeinsam mit uns. Es fiel ihnen schwer, die alten Lebensweisen abzulegen und nicht ihr bisheriges Leben einfach so weiterzuführen wie bisher. Darum: Lebt als Kinder des Lichtes, denn ihr seid es schon.
Es ist merkwürdig, wie viele Christen sich ängstlich verstecken und anpassen. Bloß nicht auffallen! Wie schwer fällt es doch in unserem Umfeld zu sagen: Ich folge Jesus nach. Sind wir als Opportunisten geboren? Opportunisten passen sich überall an, um nicht aufzufallen und um persönlichen Gewinn zu machen. Wir versuchen uns so zu verhalten, dass wir ein Höchstmaß an Sicherheit und Genuss erhalten. Und dabei empfinden wir unsere Anpassung gar nicht. Wir würden nur unsere Nichtanpassung empfinden. Eine Nichtanpassung an das Umfeld führt zu Reibungen, Störungen und Konflikten. Auch für die damaligen Menschen in Ephesus, die Christen geworden waren, war es vorteilhaft so weiterzuleben wie alle anderen um sie herum. Sich von anderen zu unterscheiden bringt meistens nur Spott, Ärger und Nachteile mit sich.
Ich bewundere Menschen, Christen und Nichtchristen, die den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen. Menschen, die es bewusst in Kauf nehmen, verlacht zu werden oder als rückschrittlich und vorsintflutlich beschimpft zu werden. Der Schreiber des Epheserbriefes hat in den Versen vor unserem Predigttext einige Bereiche unseres Lebens konkret angesprochen. Er spricht von Unzucht, Habsucht und schändlichem Reden und meint damit unseren Umgang mit der Sexualität, unseren Umgang mit Besitz und Reichtum, und unser Reden.
Folgen wir dem Konsens unserer Gesellschaft, sind diese Bereiche als privat zu betrachten. Hier darf sich keine und keiner einmischen. Es sind Bereiche, wo wir uns gehen lassen können. Es sind Bereiche, in denen wir das machen können, was alle machen. Aber wehe uns, wenn wir die sogenannte Freiheit in Frage stellen und moralisch werden. Wollen wir Jesus nachfolgen, treten wir mit unserem ganzen Leben in die Nachfolge Jesu. Wir müssen bereit sein, alle Bereiche, unser ganzes Leben, Gott zu übergeben. Vor allem die Bereiche Geld, Sexualität und unser Reden. Vor allem die Bereiche, die unser Herz betreffen.
Lebt als Kinder des Lichts! Achtet darauf, dass euer Herz nicht gefangen genommen wird von Gier, Habsucht und Bosheit. Ihr seid Kinder des Lichts – also lebt auch so! Dabei müssen wir nicht perfekt sein. Martin Luther hat gesagt, dass wir zugleich Sünder und Gerechte sind. Gottes Gnade ist eine immer fließende Quelle, zu der wir uns flüchten können, wo uns vergeben wird, wo unsere Kränkungen heilen können. Das Wichtige ist, dass wir uns darauf nicht unbeteiligt ausruhen, sondern dass wir uns immer wieder wecken lassen, dass wir nicht aufhören, in die Rolle hineinzuwachsen, die unsere eigentliche ist: Kinder des Lichtes zu sein.
Als Menschen, die von der Liebe Jesu erleuchtet sind, haben wir es auch nicht nötig, dass wir uns als Besserwisser über andere erheben, sondern liebevoll-eindeutig gehen wir mit uns selbst und den anderen um. Wenn wir Unrecht beim Namen nennen, dann nicht in der Haltung der moralisch Überlegenen, sondern von dem Interesse geleitet, eine Lösung zu finden. Als Christen dürfen wir uns nicht aus der Welt zurückziehen. Denn wir werden in der Welt gebraucht, damit die lebensspendende Kraft des Lichts auch in die dunkelsten Ecken kommt.
Wie kann das gehen? Es heißt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Was für Früchte? „Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das Bild von den Früchten ist nicht zufällig gewählt. Im Licht der Liebe Gottes kann Gutes bei uns heranwachsen. Die Finsternis bringt keine Früchte hervor, nur unfruchtbare Werke! Davon kann man nicht leben! Bei uns aber wächst etwas, wenn vielleicht auch manchmal bescheiden oder ein bisschen mickrig, mit Flecken oder faulen Stellen, aber es wächst. Es wächst immer da, wo ein Mensch eine schmerzliche Einsicht über sich selber zulässt und um Verzeihung bittet. Es wächst immer da, wenn sich jemand für einen anderen einsetzt. Es wächst immer da, wenn wir von unserem Überfluss teilen. Es wächst, wenn wir Anteil nehmen an der Not der Menschen, egal in welchem Land. Es wächst, wenn wir uns für die einsetzen, denen Unrecht geschieht.
„Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Es gibt sie, diese Früchte, und wir sollten sie uns nicht kleinreden lassen, auch wenn wir um die Zwielichtigkeit unserer Kirche und die Konflikte unseres eigenen Lebens wissen. Denn wir wissen auch um das verwandelnde Licht dessen, der uns mit der Taufe in sein Licht gerückt hat und der uns immer wieder von neuem ruft und weckt: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“
Amen.
Manfred Kruppa