Gottes Gnade befreit
31.10.2021 (Reformationstag),
Galater 5, 1-6
31.10.2021 (Reformationstag),
Galater 5, 1-6
Es sind 32 Jahre her. Ich erinnere mich an meine Zeit der Ausbildung in Wolmirstedt bei Magdeburg. Jeden Montag gingen wir seit dem Sommer 89 nach einem Gottesdienst im Magdeburger Dom mit Kerzen in der Hand auf die Straße. In einem langen Schweigemarsch. An diese Bilder kann ich mich noch gut erinnern und dann an den Tag im November, als die Grenze aufging. Dieses Gefühl der Freiheit, des Aufbruchs, des Neuanfangs, was war das für eine Zeit. Plötzlich gab es keine Begrenzung mehr. Dieses für mich überwältigende Gefühl werde ich nie vergessen. Freiheit, da war sie plötzlich so greifbar nah.
Der Predigttext heute spricht von Freiheit. Hören wir aus dem Galaterbrief Kapitel 6, 1-6 was Paulus schreibt: 1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Mit den Konfirmanden sprachen wir am letzten Mittwoch über Freiheit. Über die Freiheit, seinen Glauben zu leben und darüber zu reden. Für sie ist das nichts unbekanntes – für mich, die ich es in meinen Kinder- und Jugendjahren erlebt habe, ist es das schon. Damals wurde ich von meinem Klassenlehrer zu einem Gespräch ins Lehrerzimmer gebeten. Er wollte mich dazu bringen, doch in die FDJ – Freie Deutsche Jugend – einzutreten. Das gelang ihm nicht. Ich wiederum lud ihn ein, in die Kirche zu kommen – eine Provokation damals. Er merkte, dass er bei mir nichts erreichen konnte. Ich wusste, dass meine Eltern mir helfen würden, falls es Schwierigkeiten geben sollte. Christus hat uns befreit. Was für ein gewaltiger Satz. Wir sind frei.
Was unfrei ist, das haben wir seit dem letzten Jahr alle erlebt. Plötzlich ist nichts mehr wie vorher. Wir verstecken unser Gesicht hinter einem Stück Stoff. Wir reinigen uns zigmal die Hände und desinfizieren sie. Wir umarmen Freunde nicht mehr, sondern grüßen einander mit den Ellbogen. Wir suchen die Nähe zueinander aber halten Distanz. Ganz schön verdreht das alles. Anstatt Freiheit regiert die Angst vor Ansteckung. In einem Lied von Manfred Siebald heißt es: Wo die Angst die Kraft zum Handeln ist, wird niemals Frieden sein.
Martin Luther damals kannte auch große Angst. Er lebte in einer Zeit, als mit der Angst gute Geschäfte zu machen waren. Das Joch der Knechtschaft lag über den Menschen. Sie konnten sich davon befreien, in dem sie Ablassbriefe kauften, die ihnen versprachen, gerettet zu werden. Sie glaubten, dieses Gesetz ist die einzige Möglichkeit, dass ihre Seele gerettet wird. Sie kannten es nicht anders und sie wussten nichts von der Freiheit durch Jesus Christus. Das sah Martin Luther und es ließ ihn nicht los. Er rang mit seinem Gott Tag und Nacht und bedrängte ihn. So kann das nicht weitergehen. Das kann nicht der Weg der Freiheit sein.
Manchmal wünschte ich mir so ein beharrliches Beten, ein Bitten zu Gott auch heute. So kann es doch nicht mit unserer Kirche weitergehen. Menschen kehren ihr den Rücken zu und suchen ihr Heil woanders. Die Verantwortlichen in den Kirchenämtern überlegen, wie damit umzugehen ist und denken über Sparmaßnahmen und deren Umsetzung nach. Wenn das der Weg ist, dann wird es in Zukunft weniger Kirchen und Mitglieder geben.
Wie wäre es aber, wenn wir die Blickrichtung wechseln würden und schauen, wo und wie wir Menschen für den Glauben begeistern können. Wir haben doch eine Botschaft, die frei macht und die Halt gibt. Dazu braucht es jeden und jede von uns mit seinen eigenen Gaben und Fähigkeiten. Wir wollen eine einladende Gemeinde sein und nach außen gehen. Wir wollen anderen mit Liebe und Achtung begegnen. Wir öffnen unsere Türen für alle, die Geborgenheit und eine neue Heimat suchen. Alte und junge, fremde und bekannte sind willkommen.
Damals ging von Martin Luther in Wittenberg eine Verwandlung los – ein Aufbruch. Es entstand eine ganz neue Bewegung. Nicht die Gesetzlichkeit bestimmte die Menschen, die Gnade Gottes rückte in den Mittelpunkt. Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme (Epheser 2,8-9).
Gottes Gnade ist das Geschenk, dass uns Jesus Christus gemacht hat. Und diese Gnade gilt jedem und jede von uns. Wir müssen uns nicht vom Joch der Angst regieren lassen, die uns fesseln will. Lasst uns voll Vertrauen nach vorn sehen. Traditionen prägen uns, sie dürfen uns aber nicht daran hindern, auch neues zu wagen. Neue Wege einschlagen und darauf vertrauen, dass Gott mit uns ist, das öffnet ganz neue Möglichkeiten, die wir heute vielleicht noch gar nicht erahnen können.
Martin Luther hat es gewagt. Er hat sich vom lebendigen Glauben an Gott führen lassen. Er hat Altes hinter sich gelassen und für seine neue Erkenntnis gekämpft. Es war kein leichter Weg für ihn. Aber die freimachende Botschaft von Jesus Christus hat ihm diese Kraft gegeben über bestehende Grenzen und Gesetze zu gehen.
Lassen wir uns anstecken von dieser Freiheit. So, wie damals viele Menschen die Freiheit nach dem Fall der Mauer gespürt und erlebt haben. Die neuen Möglichkeiten, die sich da auftaten. Vertrauen wir auf Gott, unseren Herrn, wenn wir zu ihm beten, dass er uns zeigt, was wir tun sollen und dass er uns die Kraft dazu gibt, die wir brauchen. Aufbruch und Neuanfang, das muss immer auch aktiv von uns gewollt und erbeten sein. Die Angst ist dabei ein schlechter Ratgeber, sie will bremsen und aufhalten. Die Freiheit dagegen lädt zum Ausprobieren ein. Da kann es auch mal einen Rückschlag geben – trotzdem dürfen wir wieder aufstehen und weitergehen.
Damals zur Zeit der ersten Christen war es auch kein leichter Weg. Die Gesetze der Juden waren Tradition und die Christen wagten neues, sie wurden frei von äußeren Zwängen. Durch Gottes Gnade sind wir eingeladen, nicht auf uns und unsere Werke zu sehen, sondern uns von Gott beschenken zu lassen. Das befreit uns.
Amen
Gabriele von Dressler