Geist auf vielen Schultern
06.06.2022 (Pfingsten),
Numeri 11, 11-12. 14-17. 24-25
06.06.2022 (Pfingsten),
Numeri 11, 11-12. 14-17. 24-25
Kirchenfenster mit Pfingst-Motiv von Hans Stocker in der katholischen Kirche St. Peter in Büsserach (Solothurn, Schweiz); Foto: Roland Zumbuehl / CC BY-SA 4.0 (bearbeitet)
11 Er fragte den Herrn: »Was spielst du deinem Knecht so übel mit? Warum bist du nicht auf meiner Seite? Du hast mir das ganze Volk aufgeladen.
12 Bin ich etwa seine Mutter? Habe ich es zur Welt gebracht? Wie kannst du da zu mir sagen: ›Trag es so fürsorglich auf deinen Armen, wie man einen Säugling trägt! Trag es in das Land, das ich seinen Vorfahren versprochen habe!‹ …
14 Ich kann diese Last nicht allein tragen, sie ist zu schwer für mich.
15 Bevor du das von mir verlangst, lass mich lieber sterben! Ich kann mein Elend nicht mehr mitansehen.«
16 Da sagte der Herr zu Mose: »Versammle vor mir 70 Männer von den Ältesten Israels! Sie sollen dir als Älteste des Volkes und als Verwalter bekannt sein. Bring sie zum Zelt der Begegnung! Dort sollen sie sich zusammen mit dir aufstellen.
17 Ich werde herabkommen und dort mit dir reden. Ich will ihnen etwas von dem Geist übertragen, den ich dir gegeben habe. Dann können sie zusammen mit dir die Last des Volkes tragen, und du bist nicht mehr allein. …
24 Mose ging hinaus zum Volk und sagte ihm, was der Herr angedroht hatte. Er versammelte 70 Männer von den Ältesten des Volkes. Die stellte er rings um das Zelt der Begegnung auf.
25 Da kam der Herr in einer Wolke herab und redete mit Mose. Auf die 70 Ältesten übertrug er etwas von dem Geist, den er Mose gegeben hatte. Sobald der Geist mit ihnen war, redeten sie eine Zeit lang wie Propheten.
Dialogpredigt Christoph Huss (Ev+BG) und Frederik Reith (RK)
Ökumenischer Gottesdienst in Neuhausen
Lesung: Joh 20, 19-22
C
Da hat der Mose ja ganz schön was zu tragen und zu klagen vor Gott. Weißt Du, woran mich das erinnert?
F
Was meinst Du?
C
Na, das sind doch klassische Symptome eines Burnout. Mose ist heillos überfordert, missmutig, zornig und lässt seine Missstimmung jetzt an Gott aus.
F
Immerhin besser als es an seinen Leuten auszulassen. Gott ist zum Glück sehr geduldig… (Denkpause) Das erinnert mich an manche Gespräche in unserer Kirche, wenn es um die Umstrukturierung unserer Gemeinden geht. Manche haben das Gefühl, mit immer weniger Leuten immer mehr Arbeit machen zu müssen.
C
Das kommt mir bekannt vor. Auch die evangelische Kirche überlegt gerade, wie sie in den nächsten 13 Jahren alles um 30 Prozent reduzieren kann. Mit weniger Mitgliedern gibt es weniger Einnahmen und außerdem sind es auch weniger junge Leute, die Pfarrer oder Pfarrerin werden wollen. Aber wenn nun die Wenigen noch mehr Gemeinden aufgebrummt bekommen: wer will das dann noch machen?
F
Bei Mose war die Lösung die, dass Ältesten der verschiedenen Volksgruppen mit hinzugezogen wurden. Sie bekommen Gottes Geist. Wie an Pfingsten später, als die Fähigkeit, ohne Scheu von Gottes Werken zu reden, allen Jüngern verliehen wurde. Für uns heute ist die Idee nicht ganz neu, dass Aufgaben der Verkündigung und des Gemeindeaufbaus breit verteilt werden.
C
Die Ehrenamtlichen klagen aber auch, dass sie nicht immer mehr übernehmen können.
…
Wobei – es gibt viele, die mit viele Freude ihren Teil an der kirchlichen Arbeit übernehmen. Es wäre schön, wenn diese Freunde erhalten bliebe und Leute nicht unter der Last ihrer Aufgaben ausbrennen.
F
Wenn die Aufgabe und der Aufgabenbereich klar ist, dann lassen sich schon noch Menschen finden und wenn es motivierte Mitstreiter gibt. Außerdem sollte jede und jeder das machen, was seinen Begabungen und Talenten entspricht. Die Zeiten, in denen man Mädchen für alles gesucht hat, sollten vorbei sein. Schon damals wurden die Gaben doch ernst genommen, Mose konnte auch nicht alles, vor allem nicht gut reden, darum hat er seinen Bruder Aaron an die Seite bekommen, der konnte das.
C
Ob es Mose auch schwer fiel, seine Alleinstellung als Leiter des Volkes zu verlieren? Dinge abgeben heißt ja auch Macht und Einfluss abzugeben. Ich kann bei mir selbst immer gut beobachten, welche Dinge ist lieber selbst mache, weil ich in manchen Bereichen ganz genaue Vorstellungen davon haben, wie etwas am Ende aussehen soll.
F
Ja, da kenne ich. Aber ich bin inzwischen auch gut darin geworden, zu delegieren, denn man kann die Welt nicht alleine retten. Vielleicht ist es aber gut und wichtig, wenn Macht und Einflussmöglichkeiten auf die Schultern Vieler verteilt wird. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie verführerisch es ist, wenn Menschen Einfluss über andere haben. Was mit kleinen und großen Tyrannen und Diktatoren passiert, das wissen wir doch inzwischen nur zu gut, egal, ob in der Kirche oder in der Politik. Ich will gar nicht von Russland, China oder Nordkorea anfangen. Es reicht schon der Blick in meine eigene Kirche, da haben manche Leute einfach zu viel Macht und Entscheidungsgewalt. Ich werfe ihnen das nicht mal vor, ich denke mir manchmal, das sind doch arme Leute, die sind damit doch letztlich auch überfordert.
C
Auch in den evangelischen Kirche wurde jetzt sehr vehement das Thema Machtmissbrauch angegangen. In der Brüdergemeine hatten wir im letzten Jahr eine intensive Fortbildung, um die Hauptamtlichen für die Gefahren missbräuchlicher Beziehungen in der Kirche zu sensibilisieren und wachsam zu sein gegenüber allen Formen von grenzüberschreitendem Verhalten, insbesondere sexualisierter Gewalt, und alle Möglichkeiten zur wirksamen Vorbeugung zu nutzen. Die Badische Landeskirche hat auf ihrer Frühjahrssynode sich noch einmal ausführlich mit der Aufarbeitung und Prävention im Bereich sexualisierter Gewalt beschäftigt.
F
Da sind wir als katholische Kirche natürlich besonders im Fokus – zu Recht, denn wir sind vom hohen moralischen Ross ziemlich schmerzhaft heruntergefallen. Die Aufarbeitung läuft alles andere als hervorragend, aber ich will trotzdem auch eine Lanze brechen: Meine eigene Ausbildung begann 2010, also genau in dem Jahr, in dem die Missbrauchsfälle aufgedeckt wurden. Ich habe in der Ausbildung viel über Prävention und Umgang mit Missbrauch gelernt und wurde selbst immer wieder überprüft. Das wird nicht alles verhindern, aber es wird besser. Und der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Missbrauchsaufarbeitung, Johannes-Wilhelm Röhrig, hat unserer Kirche schon zugutegehalten, dass wir als gesellschaftliche Gruppe am weitesten sind, was Prävention und Aufarbeitung angeht. Immer noch viel zu langsam und zu schlecht, sicher, aber immerhin auf dem Weg. Für mich persönlich gilt immer, dass es immer zuerst um die Opfer gehen muss und niemals der Ruf oder die Reputation der Kirche im Vordergrund stehen darf.
C
Es hat schon etwas Gutes, wenn die Macht von Einzelnen begrenzt ist. Es ist ja auch viel angemessener, wenn viele Menschen mit unterschiedlichen Gaben an der Gestaltung der Kirche beteiligt sind.
F
Dazu braucht es gute Kommunikation. Ist Kommunikation nicht die Spezialität des Heiligen Geistes! Und es braucht Vertrauen, Vertrauen aufeinander und Vertrauen auf Gott, der uns Menschen sehen lässt und sie wirklich befähigt.
C
Es freut mich immer, wenn wir Menschen mit ihren Gaben entdecken und sich dort auch einsetzen können. Unseren Besuchsdienst etwas konnten wir dies Jahr mit zwei Frauen verstärken, die eine Gabe haben, auf Leute zuzugehen. Oder bei dem Ausbau unserer digitalen Möglichkeiten: da können wir auf Leute zurückgreifen, die mit Begeisterung neue Sachen ausprobieren und so lange tüfteln, bis sie funktionieren.
F
Das gibt es zum Glück immer wieder. Bei uns gibt es ein paar fitte Oberministranten, die Kinder ansprechen können und Werbung für die Jugendarbeit machen. Oder eine Frau aus dem Gemeindeteam, die beharrlich und sympathisch weiter Mitglieder wirbt.
C
Mose wurde es alles zu viel. Ich würde mir wünschen, dass wir, wenn wir an die Zukunft unserer Kirchen denken, nicht das Viele wie einen großen Berg sehen, eine schwere Last auf unseren Schultern, sondern all die Menschen, die mit ihren Gaben und mit Freude beteiligt sind, all die offenen Türen, die auf uns warten.
F
Und dass wir der Geistkraft Gottes vertrauen, die in Menschen etwas in Bewegung setzt, ohne dass wir es bewusst auslösen könnten oder müssten. Wir müssen aber die Augen, Ohren und Arme offenhalten, um solche Menschen dann auch willkommen zu heißen!
Halleluja