„Gehört, Gehört!“
07.02.2021 (Sexagesimae),
Lukas 8,4-8
07.02.2021 (Sexagesimae),
Lukas 8,4-8
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete Jesus in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und in dem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als Jesus das sagte rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Liebe Gemeinde,
ich habe nachgezählt. 83-mal wird in der Bibel vom Ohr gesprochen. 53-mal davon im Alten, 30-mal davon im Neuen Testament. Sozusagen von A-Z, von Anfang bis Ende, von Genesis bis zur Offenbarung des Johannes. Es ist, als sollte sich bewahrheiten, was man mittlerweile weiß. Das Ohr ist das Organ, das beim Embryo als erstes ausgebildet ist. Das Ohr ist das Organ, das beim Sterben als letztes seine Funktion aufgibt. Das Ohr wird in den Bibelstellen immer mit dem Hören bzw. Nichthören genannt. Ohr ohne Hören geht nicht! Hören ohne Ohr geht auch nicht! Wer Ohren hat zu hören, der höre! Aber ist es im Grunde keine Selbstverständlichkeit? Wer Ohren hat zu hören, der höre! Dass jemand, der Ohren hat, auch hört, ist so selbstverständlich wie jemand, der in einem vollgetankten Auto sitzt und deshalb allen Grund hat loszufahren.
Oder doch nicht? Scheinbar nicht! Es ist zu vermuten, dass Jesus diese Selbstverständlichkeit des Hörens als Mahnung ans Ende seines Gleichnisses stellt, weil er die Erfahrung gemacht hat: die Menschen haben zwar Ohren, zwei sogar, aber sie hören nicht! Und da sind wir auch schon beim Sinn des Hörens.
Es geht nicht nur um Zuhören. Es geht um Hinhören. Es geht um ein Hören, das dem Gehörten den Weg ins Herz zeigt. Hören ist Verstehen. Hören ist Begreifen. Hören ist Annehmen des Gehörten. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Das Hören macht nur Sinn, wenn jemand was zu sagen hat. Gerne hört man weg, wenn jemand Blödsinn redet oder nur sich selbst gerne reden hört. Ja, man darf auch weghören. Man muss sich nicht alles anhören. Man darf sich die Ohren zuhalten, wenn´s einem zu dumm daherkommt, was so manche Leute von sich geben. Man muss nicht alles verstehen Man muss nicht alles Begreifen, schon gar nicht Dummheiten oder Sprüche, die unsere Gesellschaft vergiften oder spalten. Das muss man sich nicht anhören. Wirklich nicht! Wer es dennoch anhören will, dem wünsche ich Mut genug zum Entgegentreten!
Doch man soll die Ohren spitzen für die guten Worte. Zweifelsohne sind die Worte Jesu gute Worte. Weil er selbst von ihnen überzeugt war, hat er selbstbewusst die Mahnung hinzugefügt: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Also: Wenn´s ums Hören geht, geht´s ums Reden. Kein Hören ohne Reden. Reden macht nur Sinn, wenn jemand zuhört.
Das hat Gewicht, wenn wir von Gott sprechen. Denn er redet. Von Anfang an redet er. Mit seinem Wort ordnet er das Tohuwabohu. Er redet und es wird. Wo Gott redet, entsteht neue Welt. Neue Heimat schafft er mit seinem Wort den Weggestoßenen. Neue Hoffnung schafft er mit seinem Wort den Liegengelassenen. Neue Richtung schafft er mit seinem Wort den Verirrten. Neues Leben schafft er mit seinem Wort den Verfehlten. Neuen Sinn schafft er mit seinem Wort den Verwirrten. Gottes Reden hat immer eine konkrete Folge.
Da bleibt nichts leer, da bleibt nichts unerfüllt. Gottes Reden entspricht auch, dass er zuhören kann. Dass Gott sein Ohr bei den Verzweifelten hat, erleben wir vor allem beim Lesen und Singen der Psalmen, wo es in Psalm 34 heißt: Die Ohren des Herrn merken auf das Schreien der Gerechten! (V16) In Psalm 86 Vers 1 ist es in folgende Bitte gekleidet: Herr, neige deine Ohren und erhöre mich; denn ich bin elend und arm. So ist das Reden und Hören Gottes angewiesen auf das Hören und Reden des Menschen. Hören und Reden macht die Beziehung zwischen Gott und den Menschen aus. Wenn der Psalmbeter Gott bitten kann: Neige deine Ohren zu mir (102,3), so ist dies auch die Bitte Gottes an die Menschen: Neigt eure Ohren zu mir!
Doch weder sein Volk noch seine Christenheit zeichnen sich bis heute besonders durch aktives Zuhören auf Gott aus! Dabei hat er hat alles unternommen, um sich Gehör zu verschaffen. Er hat seinen Willen, in Stein gemeißelt, durch seinen Propheten Mose dem Volk in der Wüste überbringen lassen. Er hat ihm Freiheit ermöglicht, doch es liebte die Abhängigkeit von anderen Göttern mehr. Er hat große Propheten beauftragt, in seinem Namen zu seinem Volk zu sprechen – Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel, Hosea und Elia, der Größte unter ihnen. Gott hat aus Liebe durch sie gesprochen, weil er nicht verstehen konnte, dass sein Volk untreu wird und ihn für einen anderen eintauscht. Gott hat sein Wort wie ein Sämann unter sein Volk ausgestreut. Wie viele gute Worte sind unter sein Volk gekommen und in die Christenheit! Haben sie gehört? Haben sie ihn verstanden? Haben sie sich seine Worte zu Herzen genommen? Den Mund hat er sich –im Bild gesprochen – fusselig geredet über die Jahrhunderte. Großzügig und voller Hoffnung auf gute Frucht hat er ausgesät.
Sie fiel auf die Holzwege, auf die Irrwege, auf die Sackgassen. Wie viele dieser Wege ist die Christenheit mitgegangen? Sie fiel als Friedensfrucht auf die Wege, die der Krieg sich nimmt, um zu zerstören. Und Gott sah, wie seine Saat zertreten, überfahren, zermalmt wurde. Er sah, wie das, was er vor seinem inneren Auge schon als Friede und Glück aufgehen sah, von Geiern und Heuschrecken verschlungen wurde – für immer. Den Mund redet er sich fusselig auch heute noch. Großzügig und voller Hoffnung auf gute Frucht sät er aus. Die Saat fällt auf Felsen. Harte Herzen kennen kein Mitleid. Zwischen harten Felsen ist wenig Platz für Barmherzigkeit. Da kann das Pflänzlein Hoffnung sich noch so anstrengen. In Härte und Kälte gedeiht keine Frucht. Wie oft haben die Propheten die harten Herzen im Volk Gottes beklagt. Ach, wir klagen heute auch darüber! Das Klagen wird immer bleiben. Es wird immer harte Herzen geben. Gott wird auch heute umsonst auf Felsen sein gutes Wort ausstreuen. Den Mund wird er sich auch weiterhin fusselig reden. Großzügig und voller Hoffnung auf gute Frucht wird er sein Wort aussäen. Die Saat fällt unter die Dornen und Gottes Herz macht einen Freudensprung, weil sich da was tut. Doch die Dornen machen dicht, machen Angst, verletzen. Aus und vorbei mit der erhofften Frucht. Wie so oft hat sich Gott gefreut über die kleinen, zaghaften Anfänge in seinem Volk, in der Christenheit und in der Welt. Und stehen wir nicht auch an seiner Seite? Sind Vermittlungsbemühungen nicht besser als Waffenlieferungen? Wäre Reden und Hinhören nicht besser als das jahrelange Hickhack und Hin und Her zwischen Nawalny und Putin?
Da stockte der Atem der Leute, die Jesus zuhörten, als ihr Meister in seinem Gleichnis an dieser Stelle angekommen war. Sie fragten sich: Warum erzählt er uns das, was wir alle kennen? Neues unterm Himmelzelt: zertretene Frucht, schlechte Bedingungen – das kennen wir zu Genüge. Hätte Jesus hier aufgehört, hätte er die Menschen hoffnungslos und ohne Perspektive entlassen. Doch bei Jesus kommt das Entscheidende am Schluss. Den Anfang kannten sie schon, denn er hatte schon drei Mal so angefangen: „Und einiges fiel auf…!“ Nun setzte er ein viertes Mal an. „Und einiges fiel…!“ Ja, was konnte denn jetzt noch kommen? Es ist doch schon alles gesagt. Die Möglichkeiten sind doch ausgereizt. Bleibt uns doch nur noch die bittere Erkenntnis: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Das verbindet uns mit den Menschen von damals. Wir kennen diese innere Verzweiflung, dass es nicht weitergeht; dass die Welt in uns und um uns herum uns keine neue Möglichkeiten mehr erschließt. Wir haben uns krank gehofft zwischen Wegen, die keinen Sinn mehr machen, zwischen Herzen hart wie Felsen, weil nichts mehr an Hoffnung und Liebe fließt, verletzten uns an Dornen, führten ein blutleeres Leben. Und da soll es noch eine einzige neue Möglichkeit geben? Da setzt Jesus ein viertes Mal an und sagt: „Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.“ Da hört man, wie die Menschen erleichtert und fröhlich und glücklich wurden und, von Hoffnung erfüllt, strahlten sie sich an: „Es gibt gutes Land!“ Aber wo ist dieses gute Land, wo keiner Angst hat vor dem anderen? Es ist da, nur noch nicht hier bei uns, in uns. Die Verbindung zwischen Da und Hier ist das Hören. Hören wir auf Gottes Worte, werden wir dieses gute Land sein. Wir werden es nicht besitzen. Wir werden es aus Gottes Hand ersehnen und erbitten, jeden Tag neu. Wir sind es nicht, das gute Land. Wir werden es durch die Gnade Gottes, weil wir das einzig Richtige tun: Auf ihn zu hören. Das Hinhören und Lauschen auf Gottes Stimme ist die beste Aufnahmebedingung für sein Wort. Wenn Gottes Wort nicht nur angehört, sondern auch angenommen und aufgenommen wird, kann sich Gott durch uns entfalten in diese Welt hinein. Dafür steht die Zahl 100. Die sagt: Mehr geht nicht! Von Anfang an wollte Gott das Ganze, die volle Blüte, das gute Land, die Hoffnung, die bleibt und nicht stirbt; die Freiheit, die Menschen aufblühen lässt; die Gerechtigkeit, die seiner ganzen Schöpfung gilt. Und deshalb wartet er auf Menschen, die ihn bitten: „Mache mich zum guten Land, wenn dein Samkorn auf mich fällt.“ (EG 166,4).
Wer Ohren hat zu hören, der höre.
AMEN
Pfarrer Ewald Förschler