Fürchte dich nicht!
12.07.2020 (5. Sonntag nach Trinitatis), Lukas 5, 1-11
12.07.2020 (5. Sonntag nach Trinitatis), Lukas 5, 1-11
Liebe Gemeinde,
heute Morgen werden wir von unserem Predigttext an den See Genezareth mitgenommen.
Die Menschen drängen sich um Jesus und wollen ihn hören. Jesus ist schon seit einiger Zeit in Kapernaum, hat den Menschen vom Reich Gottes erzählt und Kranke geheilt.
5,1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth 2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Lass ihn reden, denkt sich Petrus. Das war eine richtig schlimme Nacht. Stundenlang haben wir uns die Kälte um die Ohren wehen lassen, haben immer und immer wieder die Netze ausgeworfen, uns mühsam nur auf den Beinen gehalten, weil die Müdigkeit und der Frust so groß waren. Und wofür? Nichts haben wir gefangen, aber auch gar nichts. So langsam wird es dramatisch. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann weiß ich kaum noch, wie ich die Familie ernähren soll.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Warum habe ich eigentlich auf diesen Mann gehört? Das hat Petrus sich im Nachhinein oft gefragt, ohne wirklich eine Antwort darauf zu finden. Vielleicht waren es die Worte, die er so nebenbei aufgeschnappt hatte, während er in Gedanken und mit den Händen beschäftigt war und Jesus von seinem Boot aus predigte?
Vielleicht war es aber auch die Begegnung mit Jesus vor ein paar Tagen, als er bei ihm, Simon, im Hause war und seine Schwiegermutter gesund machte. Die hatte ein schlimmes Fieber, das verschwand, als Jesus es befahl.
Auch jetzt lag eine Bestimmtheit in Jesu Worten und eine Überzeugungskraft – gegen alle Vernunft. Denn was wusste Jesus als Zimmermann schon von der Fischerei? Er konnte auch nicht ahnen, wie müde, wie frustriert, wie kaputt Petrus und die Seinen waren, und dass sie eigentlich nur noch nach Hause wollten und den Misserfolg der Nacht vergessen. – Oder konnte er es doch ahnen?
Wie auch immer: Sie haben es gewagt. Er, Simon, hat es gewagt und den Worten von Jesus vertraut –oder ihnen doch zumindest etwas zugetraut. Sie sind rausgefahren auf den tiefen See. Ein letztes Mal… Und das hat alles verändert. „Auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen“ Die anderen haben schon etwas verwirrt geschaut, als Petrus die Leinen los machte, um wieder auf den See hinaus zu fahren.
„Was tust du? Warum hörst du auf den? Der hat doch von Fischerei keine Ahnung.“
„Nein“, hat Petrus vielleicht geantwortet. „Aber doch ist da etwas in seinen Worten, das mir Mut macht. Und wie soll ich herausfinden, ob es Sinn macht oder nicht, bevor ich es nicht ausprobiert habe. Was haben wir zu verlieren? Wir waren die ganze Nacht auf See – ob wir nun noch einmal mehr oder weniger hinaus fahren, was macht das für einen Unterschied. Wir haben nichts zu verlieren, aber vieles zu gewinnen. Ist das nicht oft so im Leben? Woher wisst Ihr, dass morgen die Sonne aufgeht, bevor ihr sie nicht mit eigenen Augen seht? Woher wisst Ihr, dass das Versprechen, das andere Euch geben, gehalten wird, bevor es tatsächlich in die Tat umgesetzt ist? Wir fahren hinaus. Vielleicht ändert es nichts – dann fahren wir nach Hause und überlegen in Ruhe, wie es weitergehen kann. Aber vielleicht ändert es alles. Ich will wissen, was es mit Jesus auf sich hat. Darum fahre ich hinaus, wenn er es sagt.“ Und so fuhren sie hinaus.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
Es hat alles verändert. Vertrauen verändert alles. Hätte Petrus sich nur auf seine Erfahrung verlassen, und sei sie noch so professionell, sei sie noch so fundiert – niemals hätte er erlebt, was er erlebt hat.
Petrus ist nicht mehr derselbe, während er hier mit den schweren Netzen kämpft, die wider alle Erfahrung, wider alle Vernunft bis zum Zerreißen gespannt sind. Sie trauen ihren Augen nicht, er und die Kollegen um ihn – sie können ihren Augen nicht trauen, weil ihre Augen noch nie gesehen haben, was hier geschieht, noch gar nicht wissen, wie das Neue aussieht.
So stehen sie verwirrt, erstaunt, verwundert, ratlos und zutiefst erschrocken da.
Der Schatz der Erfahrung auf der einen – der Schatz des Vertrauens auf der anderen Seite. Das, was sie sich selber zugetraut haben auf der einen, das, was Gott ihnen zutraut auf der anderen Seite.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. 9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ 11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Petrus geht in die Knie, er ist erschüttert. Ein weiter Graben tut sich auf zwischen ihm und Jesus, in dem er Gott erkennt. „Ich bin ein sündiger Mensch, der über diesen Graben nicht springen kann, du aber kommst zu mir.“
“Fürchte dich nicht!“, sagt Jesus, obwohl es doch zum Fürchten ist, wenn einem plötzlich mitten im Alltag Gott selbst begegnet. „Fürchte dich nicht!“ damit überwindet Jesus den Graben, vor dem sich Petrus sieht. “Fürchte dich nicht, denn es beginnt etwas Neues für dich: du sollst von nun an Menschen fangen.“ Nein, Petrus soll keiner werden, der Menschen gegen ihren Willen zu etwas bewegt.
Petrus soll von nun an dasselbe tun wie Jesus: Menschen Gottes Liebe erfahren lassen. Mit Jesus gemeinsam Gottes Reich hier auf Erden wirklich werden lassen. Mit Jesus gehen und erfahren, das bei Gott auch möglich ist, was bei den Menschen unmöglich scheint.
Jesus ruft ihn und Petrus und die beiden anderen lassen alles stehen und liegen und gehen mit ihm. Sie haben es nicht bereut.
Seitdem sind viele Menschen Jesus nachgefolgt und haben es nicht bereut.
Immer wieder sprechen diese Worte aus dem Text auch zu Menschen in der heutigen Zeit, auch zu uns. Ich hoffe, dass auch wir jeden Tag neu mitsprechen können: „Auf dein Wort hin will ich meine Netze auswerfen.“
Das auch wir immer wieder neu zu dem Vertrauen finden, dass wir sprechen können: „Auf dein Wort hin will ich es wagen.“
Und dass wir immer wieder neu die Stimme Jesu hören, die sagt: „Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir.“ Amen.
Annerose Klingner-Huss
Foto: zvg.