Der Ton schwingt weiter
26.12.2020 (2. Weihnachtstag), Hebräer 1, 1-4
26.12.2020 (2. Weihnachtstag), Hebräer 1, 1-4
Liebe Schwestern und Brüder,
„was haben die Christen nur mit dieser Kleinfamilie im Stall?!“
So könnte jemand fragen, der die Tradition des Abendlandes nicht kennt und erlebt, wie ein ganzer Kulturkreis ein riesiges Fest darum veranstaltet, dass irgendwann in einem kleinen Dorf in der Nähe von Jerusalem ein junges Paar unter widrigen Umständen ein Kind bekam. Welch ein Tamtam um solch eine alltägliche Geschichte. Als gäbe es keine anderen Themen, die die bedenken wäre. Als gäbe es keinen globalen Fragen und Herausforderungen.
Da richten wir den Fokus auf diese eine Geschichte. Auf dieser Holzbibel, die ich im Morgenkreis in der Kindertagesstätte verwende, steht die Geburtsgeschichte von Jesus in der Mitte, an der Schnittstelle zwischen alten und neuem Testament, zwischen den Geschichte vor Jesus und denen nach ihm. Drum herum ist viel mehr.
Der für den zweiten Weihnachtstag vorgeschlagene Bibeltext spricht von Christus, aber er richtet den Fokus nicht auf die Geschichte im Stall, sondern nimmt den großen globalen Rahmen in den Blick, den ganz großen Rahmen.
2. … geredet durch den Sohn
2 Aber jetzt, am Ende dieser Tage, hat er durch den Sohn zu uns gesprochen. Gott will uns etwas sagen durch die nackte Tatsache, dass dieser Jesus auf die Welt kommt. Das spricht schon Bände. In dieser Geburt und ihren Umständen werden alte Bibelworte wach:
Jes 7: 14: Der Herr selbst wird euch ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Jes 11: 6f: Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben, … ein Säugling wird spielen am Loch der Otter … das Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein.
dass Gott dieses Kind geboren werden lässt, spricht Bände. Darüber, wie verletzlich Gottes Güte ist. Darüber, wie Gott seinem Wort auf Erden Geltung verschaffen will. Darüber, was Gott unser Macht versteht und wie er sich einen Mensch nach seinem Sinne vorstellt.
Diese Geburt spricht Bände für den, der den größeren Rahmen hört und sieht. Eigentlich ist ja nicht viel zu sehen. Hat der Kirchenvater Ambrosius nicht recht, wenn er sagt: „Du siehst mit den Augen, dass er in den Windeln liegt, dass er aber Gottes Sohn ist, das siehst Du nicht.“ (Bausteine Xmas 12 B/2002)
Es gibt ja zu den meisten Dingen eine vordergründige Betrachtung und den Blick hinter die Kulissen. Der Mensch sieht, was vor Augen ist. Der Mensch sieht eine arme Familie in einer Notunterkunft, mit einem gesunden Neugeboren, der auf die übliche Weise versorgt wird. Die Hirten aber sahen den Gottessohn, gewickelt und in einer Krippe liegen. Die Engel hatten es ihnen offenbart.
Ist es nicht so: Jenseits der sichtbaren Welt gibt es eine noch eine andere Wirklichkeit, Die Dinge sind nicht nur, was wir sehen, sie haben eine Bedeutung, einen Ursprung, ein Geschichte, ein Ziel. Diese andere Wirklichkeit ahnen die Menschen, suchen danach. Und sie erkennen etwas von diesem Anderen, wenn der Andere, Gott, uns etwas davon preisgibt und mitteilt.
Die Menschen, die das Kind in der Krippe fanden und später dem erwachsenen Jesus begegneten, spürten, dass hier mehr war. Dieses versuchten sie in Worte zu fassen, in Worte und Bilder ihrer Zeit. Der Schreiber des Hebräerbriefes verwendet Bilder und Begriffe, die seine Leser kannten, Bilder der spätjüdischen Weisheitsliteratur. Wir leben nicht in seiner Zeit und müssen deshalb versuchen, das was er meint, in unsere Sprache zu übersetzen.
Er sendet seinen Sohn, steht da. Der Schreiber des Hebräerbriefes meint damit: Dieser Jesus steht in einer engen Beziehung zu Gott, Gott bekennt sich zu ihm, in ihm in Gott gegenwärtig, ist anwesend unter den Menschen. Weiter erklärt er, dass Jesus Abglanz und Ebenbild des Ewigen ist. Das heißt: Dieser Sohn ist ganz der Vater. In ihm ist für jedermann und jede Frau das Angesicht Gottes zu erkennen. Wer Jesus begegnet, begegnet Gott. So deutlich hat Gott sich noch nie zu erkennen gegeben. So hat er noch nie zu uns geredet, wie er zu uns durch den Sohn geredet hat.
Dort im Stall von Bethlehem – und am Kreuz in Golgotha – kriegt das Vertrauen ein Gesicht, das von Anfang der Sinn des Ganzen war. Alles wurde geschaffen mit dieser Absicht. Alles. Der Schreiber des Hebräerbriefes schreibt wörtlich: Durch ihn sind die Weltzeiten geschaffen. Da geht es also nicht nur im diese kleine Erde, sondern um die Weite des Kosmos, um Milchstraßen und schwarze Löcher und was da noch alles seit dem großen Knall durch das All schwebt. Das kosmische Rauschen findet seine Harmonie im Gesang der Engel über dem Stall von Bethlehem. So viel mehr ist zu hören und zu sehen in jener beschaulichen Krippenszene, die momentan immer im Mittelpunkt steht. Nicht immer hört man diesen größeren Klang.
Der Ton schwingt weiter
Vorgestern habe ich in der Christnacht einen Gong angeschlagen. Wir Mitarbeitende im Kirchensaal haben dem verklingenden Gong lauschen können. Als ich später die Aufnahme angehört habe, war das enttäuschend. Man hört kaum etwas, schon gar nicht den verklingenden warmen Ton. Ich hatte schon überlegt, es heute noch einmal mit einem anderen Mikro zu versuchen.
Aber ich habe es gelassen. Denn sollte das Sprachmikrophon ihn noch aufgezeichnet haben, dann wäre vermutlich der Computer, der die Töne aus dem Saal für das Internet sozusagen versandfertig macht, damit überfordert gewesen. Und was dann wieder die Lautsprecher Ihres Handys oder Laptops daraus gemacht hätten … Darum habe ich es nicht noch einmal versucht. Aber Sie können mir glauben, der Ton war da.
So geht es uns mit der Familie im Stall zu Bethlehem. Uns Menschen fehlt oft das Instrumentarium, den großen kosmischen Rahmen zu sehen, in dem dieses Geschehen steht. Aber so nach und nach entwickelt man im Glauben Ohren für den großen Klang.
Darum feiern wir Christen in diesen Tagen dieses scheinbar kleine Geschehen im Stall von Bethlehem. Der Ton, der dort angeschlagen wird, schwingt weiter durch die Zeiten, er stimmt Menschen versöhnlich, er schenkt Geduld und er lässt hinaussehen über das, was uns im Moment ängstet und beengt.
Amen
Christoph Huss