Bei Gott trohnt der Friede
15.05.2022 (Kantate),
Lukas 19, 37-40
15.05.2022 (Kantate),
Lukas 19, 37-40
Liebe Gemeinde,
bei einem Kirchenleitungsbesuch geht es darum, zu schaun, wie es einer Gemeinde geht. Und so haben wir gestern viel gehört und gesehen von dem, was hier los ist in der evangelischen Gesamtgemeinde Königsfeld: Von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, von Kindergarten und Pflegeheim, Jugendarbeit und Chören und so weiter. Vielen Dank dafür!
Natürlich sprechen wir bei solchen Besuchen auch über das, was Sorgen macht: Häufig – und auch in Königsfeld – ist das die Sorge darüber, dass eine Gemeinde älter und kleiner wird. Die Sorge, ob sich genügend Mitarbeitende finden für die Aufgaben. Ob genügend Geld da ist, die Gebäude zu erhalten und die Löhne zu zahlen. Und wir denken bei solchen Besuchen auch darüber nach, wie die Kirchen als Institution die einzelne Gemeinde unterstützen können.
Unter dem Strich, liebe Schwestern und Brüder, geht es immer auch ein Stück darum, ob es überhaupt wichtig ist, dass diese Gemeinde lebt, ob es wichtig ist, dass sie da ist an diesem speziellen Ort. Konkret also: Wozu ist die evangelische Gesamtgemeinde Königsfeld da? Womöglich mischen sich in die Erwartungen an den Besuch einer Kirchenleitung daher auch ängstliche Fragen: Fragen nach Umbau und Abbau, nach befürchteter Reduktion von Finanzen und Personal. Im heutigen Evangelium finde ich eine Antwort auf die Frage: „Wozu gibt es christliche Gemeinden?“
Ich lese noch einmal die kurze Szene, sie ist ja von Palmarum her bekannt.
Viele schlossen sich Jesus auf dem Weg nach Jerusalem hinein – und dann: Als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. Lukas 19, 37-40
Hier also habe ich die Antwort auf die Frage entdeckt, warum es Gemeinden wie Königsfeld geben soll. Wo steckt sie?
Schaun wir uns die Szene an: Die Anhänger Jesu dort am Ölberg sind eine bunt zusammengesetzte Gemeinde. Da ist die „Kerngemeinde“ aus den zwölf Jüngern. Nach Lukas gehörten von Anfang an auch Frauen dazu.
Dann sind alle möglichen weiteren Leute dabei: ein paar Zöllner vielleicht, Prostituierte, Fischer, Handwerker und Tagelöhner, sogar Pharisäer. Sie alle hatten wohl zunächst gerüchtweise von Jesus gehört. Dann hatten sie ihn erlebt, seine Predigten gehört. Sie diskutierten vielleicht seine Gleichnisse. Manche waren dabei gewesen, als Jesus Kranke heilte, als er Menschen von Dämonen befreite: Seine „große Taten“ werden erwähnt.
Was diese bunte Gemeinde verbindet, ist die Überzeugung: Dieser Jesus von Nazareth kommt im Namen der HERRn, im Namen Gottes selbst. Jesus ist von Gott gesandt, womöglich der Messias, der Retter. Durch ihn wird Gott das Volk von den Römern befreien, durch ihn wird er uns persönlich frei und froh machen.
Liebe Brüder und Schwestern!
Genau das ist es doch auch, was uns hier heute Morgen verbindet. Unsere Lebensläufe sind verschieden, wir unterscheiden uns nach Alter, Geschlecht, Lebensgewohnheiten, nach Kirchenzugehörigkeit, Kultur. Unsere Ansichten, auch unsere politischen Überzeugungen sind zum Teil gegensätzlich. Aber eins verbindet uns. Dass wir Anhänger von Jesus sind. Dass wir glauben, dass Gott ihn gesandt hat. Dass uns wichtig ist, wie er gelebt hat, was er verkündigt hat, wofür er gestorben ist. Dass wir ihm – in der klassischen Terminologie – „nachfolgen“ wollen. Dass wir auf Jesus setzen, für unser eigenes Leben, für diese Gemeinde – für unsere ganze Welt.
Und auch wenn der Beruf „König“ aus der Mode gekommen ist – noch immer singen wir: „Jesus Christus herrscht als König“, noch immer beten wir sein Gebet, das mit den Worten endet: „Dein ist das Reich, (wörtlich: die Königsherrschaft), und die Kraft und die Herrlichkeit.“ Und meinen damit Gott, aber eben auch Jesus, seinen Sohn. Nur, dass heute niemand an uns herantritt und uns auffordert, mit dem Singen aufzuhören. Damals war es so; einige Pharisäer in der Gruppe fanden die Hochrufe auf Jesus blasphemisch.
Für sie war Jesus ein interessanter Prediger. Deswegen liefen sie mit in der Menge. Aber wirklich der, den Gott gesandt hat, der Messias, der Christus? „Jesus“, forderten sie, „sag den andern, dass sie dich nicht so übertrieben loben sollen.“
Heute stoppt uns keiner mehr. Oder doch?
Hier angekommen, fiel mir plötzlich auf: Es steckt in dieser Episode aus Jesu letzten Tagen auch aktuell Zündstoff. Sie kann nämlich eine Steilvorlage für eine pazifistisches Loblied auf Jesus sein. Und ehrlich, ich erschrak: Glattes Eis! Denn Pazifismus, auch der christliche, scheint heute passé, unangebracht. Schaun wir noch einmal hin, was Lukas erzählt: Jesus reitet in die Stadt. Nicht auf dem Schlachtross, sondern auf einem Esel.
Viele loben ihn in den höchsten Tönen. Aber nicht alle: Ein paar geistliche Lehrer sorgen sich: um Gottes Ehre oder aus Neid. Oder sie fürchten die Römer, weil Jesus als Revolutionär empfangen wird.
Wir wissen, wie es weiterging: Die Menge hörte tatsächlich bald mit den Hosianna-Rufen auf. Die Leute waren enttäuscht. Denn Jesus führte den erwarteten Befreiungsschlag gegen die römischen Fremdherrscher nicht. Jahrzehnte später, im Jahre 70, werden die Steine Jerusalems schreien, wird Jerusalem zerstört werden. Weil der sanftmütige Jesus als Messias nicht akzeptabel war? Weil das Volk lieber Barabbas wollte, den Mann der gewaltsamen Revolte?
Schwere Fragen – und sie sind haben Jahrhunderte lang antisemitische Gewalt gerechtfertigt.
Liebe Schwestern und Brüder, so leicht wie früher fällt es mir in diesen Tagen nicht, Linien von damals zu heute zu ziehen. Und doch, denke ich: Das Loblied auf Jesus Christus, auf diesen gewaltlosen König von Gott, ist heute so wichtig wie eh und je. Aber da stolpere ich beim Lesen unseres Predigttextes schon wieder: Warum singen die Menschen hier: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn!
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Erinnert ihr euch?!
Die Engel auf dem Feld bei Bethlehem sangen vom Frieden auf Erden: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erde.“ Hatte etwa Lukas die Hoffnung auf irdischen Frieden inzwischen verloren? Hatte ihm etwa die Zerstörung von Jerusalem diese Friedenshoffnung zerstört? Als Lukas sein Evangelium schrieb, lag die schreckliche Katastrophe für das jüdische Volk wohl schon ein paar Jahrzehnte zurück.
Doch wie ist das mit uns? In den Katastrophen unserer Tage verschlägt es uns ja regelmäßig die Sprache. Ebenso regelmäßig kommen wir Christen zu unterschiedlichen Antworten auf die brennenden Fragen. Ob die Krisen nun Klimaerwärmung, Corona-Epidemie oder Krieg heißen. Das Evangelium heute mahnt uns, dennoch nicht zu schweigen. Wir haben Wichtiges weiterzugeben, öffentlich zu machen: Das Loblied auf Jesus, der im Namen Gottes kommt.
Das heißt doch: Wir sollen auch heute nicht vergessen, den sanftmütigen König zu loben, der die Friedensstifter seligpreist und die Feinde lieben lehrt. Jesu Bergpredigt war nicht nur eine Botschaft für friedliche Zeiten. Wenn wir damit aufhören, werden wir vielleicht zwischenzeitlich einen Sieg erringen, aber auf Dauer werden die Steine schreien. Und da erscheint mir die Zeile vom Frieden im Himmel plötzlich in einem anderen Licht: Könnte es sein, dass Lukas schon damals vom „Frieden, der höher ist als unsere Vernunft“ (Phil 4,7) singt?
Von Ideen für den Frieden, die vom Himmel kommen müssen? Frieden im Himmel heißt ja nicht, dass Gott sich mit seinen Engeln verträgt. Frieden im Himmel bedeutet, dass bei Gott, in der ultimativen Machtzentrale also, der Frieden thront – und nicht die Gewalt, nicht der Kampf um die Vorherrschaft.
Wenn wir als Christen etwas beizutragen haben im großen Konzert der Menschheit, dann dies: dass Frieden möglich ist. Dass Versöhnung möglich ist. Durch den König mit der Dornenkrone. Und ja, ich weiß nicht mehr als Lukas damals wusste, wie sich diese Macht der Liebe in unserer Welt durchsetzen wird.
Ich denke, heute gleichen wir alle – immer mal wieder – den Pharisäern, die sagen: Ach, hört doch auf mit diesem naiven Lobgesang! Geradezu blasphemisch kann es einem vorkommen, dieses Lied vom Frieden angesichts der Kriegstoten nicht nur in der Ukraine.
Und doch, und damit bin ich zurück am Anfang. Ich glaube, dass christliche Gemeinden genau deswegen wichtig sind – ganz konkret auch die Gesamtgemeinde Königsfeld: Denn gerade die Gesamtgemeinde kann ja ein kleines, aber deutliches Zeugnis dafür sein, dass Frieden durch Jesus Christus möglich ist, gutes Miteinander zwischen Verschiedenen möglich ist, trotz aller Unterschiede, trotz Reibungen.
Dass wir auch in Krisenzeiten und Konflikten nicht aufhören, Jesus Christus zu loben. Dass auch dann das Lied erklingt vom Gott in der Krippe, vom König auf dem Esel, vom Messias am Kreuz. Wir werden deswegen in den strittigen Fragen unserer Zeit nicht alle einer Meinung sein. Wir brauchen aber auch keine Angst zu haben, miteinander zu ringen, ja zu streiten über das, was dran ist. Denn der Streit ist nie das Letzte.
Auf dem himmlischen Thron sitzt der Friede. Wenn wir ihn, Jesus, hochleben lassen mit Wort und Gesang und Musik hier im Kirchensaal … und in der Kirche in Neuhausen. Wenn wir ihn in die Debatten unserer Tage einbringen. Wenn wir durch unsere Art, wie wir mit unseren Freunden, und auch unseren Feinden umgehen, wenn wir Versöhnung leben, dann … Dann macht das einen Riesenunterschied. Dann bleibt diese Gesamtgemeinde wichtig.
Für ihre Mitglieder aus beiden evangelischen Gemeinden, für diesen Ort mit seinen vielfältigen Einwohnern, für die SchülerInnen und LehrerInnen in Grund- und Zinzendorfschulen, für alle, die im Christoph-Blumhardt-Haus leben und arbeiten, für die Gäste in den Kliniken etc. Gemeinden, in denen das Lob auf Jesus Christus gesungen wird und auf den Frieden, der höher als alle Vernunft ist, solche Gemeinden sind eminent wichtig, auch für unsere großen oder kleinen Kirchen als Ganze.
Danke, dass wir an diesem Wochenende etwas davon miterleben konnten, wie ihr in Königsfeld Gott, Jesus durch euer Gemeindeleben lobt. Wir sind froh, wenn wir euch darin unterstützen können. Gott selbst, bin ich gewiss, wird euren gemeindlichen Lobgesang auch weiterhin segnen. Amen
Benigna Carstens