Begegnung am Ostermorgen
04.04.2021 (Ostersonntag),
Joh 20: 11-18
04.04.2021 (Ostersonntag),
Joh 20: 11-18
Liebe Schwestern und Brüder!
Vor einigen Jahren haben Archäologen in Tunesien in Nordafrika einen sehr alten Grabstein gefunden, vielleicht 1600, 1700 Jahre als. Man konnte sogar noch die eingemeißelte Inschrift entziffern: „Hier ruht Dion, ein frommer Mann, der lebte 80 Jahre und pflanzte 4000 Bäume.“ Das ist schön. Offensichtlich hat man sich gerne an diese Lebensleistung erinnert.
Man kann auf Grabsteinen manches erfahren. Auf unserem Gottesacker sind es oft die Geburtsorte, die etwas von einer Lebensgeschichte erahnen lassen.
Oder die Bibelverse, die dabei stehen.
Es ist gut, solche Orte der Erinnerung zu haben. Der Abschied von einem lieben Menschen ist immer schwer. Da nehmen viele dankbar die Formen und Gewohnheiten einer Gesellschaft für die Trauerfeier und die Bestattung auf. Andere suchen gerade das Individuelle.
Im vergangenen Jahr der Pandemie war oft das Abschiednehmen von Menschen erschwert. Kranke konnten nur mühsam im Krankenhaus gesucht werden. Trauergesellschaften durften nur klein sein, Umarmungen außen dem eigenen Haushalt nicht erwünscht. Manche haben diese Intimität als entlastend empfunden, andere die Unterstützung der größeren Gemeinschaft vermisst.
Unser Predigttext führt uns zu einer Frau, die gerne Abschied nehmen möchte, aber nichts ist, wie es sein sollte. Er steht in Johannes 20. Der für diesen Ostersonntag eigentlich vorgeschlagene Predigttext aus 2. Mose 14 wurde schon 2019 verwendet im Zusammenhang mit dem Ostertuch von Gabriele King.
Vielleicht erinnern Sie sich an die große „Feuersäule“, die hinter dem Liturgustisch aufgehängt war. Man kann Bilder noch in unserer Website bei den Predigten von 2019 finden. Heute kommt nun also der Predigttext von 2019 dran.
Textlesung
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.
Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du?
Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria!
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an!
Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.
Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen:
Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Maria in Trauer
Wenn Maria aus dem Ort Magdala wenigstens Abschied nehmen könnte, wie es üblich ist!
Er war doch alles schon schlimm genug. Gerade erst hatte ihr Leben eine hoffnungsvolle Wendung bekommen. Jesus hatte sie gesund gemacht, sie, wie die Bibel sagt, von sieben Teufeln befreit. Sie war aufgenommen worden in den Kreis der Anhänger Jesu. Sie nannte ihn: Rabbuni, mein Meister.
Von da an war Maria in der Nähe von Jesus geblieben.
Maria Magdalena – ihre Verehrung für Jesus hat viele Menschen inspiriert,
zu gleicher Verehrung oder zu wilden Spekulationen. Sie war bei Jesus beblieben. Auch unter dem Kreuz stand sie, war noch in der Nähe als man den Leichnam begrub.
Das war vorgestern.
Nun kommt sie als erste ans Grab, am Morgen nach dem Ruhetag. Wo soll sie auch sonst hin. Der Tote ist das einzige, was ihr bleibt.
Doch was muss sie sehen. Der Stein von dem Grab ist weggerollt. Der Leichnam ist verschwunden. Vor zwei Tagen hat man ihn schnell in das Grab gelegt, vor dem Ruhetag. Nun hat ihn wohl jemand woanders hingebracht. Auch das noch.
Sie klagt ihr Leid dem Gärtner. Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Das macht die Trauer noch schwerer, wenn man nicht einmal einen Platz hat,
an dem man trauern kann. Wenn zum Verlust die Ungewissheit kommt,
wo der Tote geblieben ist, wird es doppelt schwer.
Wohin dann mit der Trauer?
Menschen erlebten das im Krieg, wenn jemand einfach nicht wieder kam,
vermisst blieb.
Ich habe kürzlich die Feldpostbriefe gelesen, die mein Großvater an seine Frau starb, bevor er 1915 in Lothringen fiel. Ein Grab zum Trauern gab es nie.
Menschen erleben das auch heute in Bürgerkriegen und Diktaturen, wenn Angehörige einfach verschwinden.
Diesen doppelten Verlust erlebt auch Maria Magdalena.
Die Engel, die an den beiden Enden des Grabes sitzen, können ihr nicht helfen.
Sie haben nur Fragen, keine Antworten.
Obwohl: dass Engel zur Stelle sind, könnte nachdenklich machen.
Wie am Anfang des Lebens von Jesus, tauchen sie auch jetzt auffallend häufig auf.
Wenn sie da sind, ist Gott nah. Dann berühren sich Himmel und Erde.
Aber die Verwirrung, das Maria ergriffen hat, können sie nicht lösen.
Kein Rabbuni mehr. Er wurde verraten, wurde gefangen genommen und gequält. Er ist tot. Nun ist selbst der Leichnam verschwunden.
Begegnung
In tiefer Verzweiflung wendet Maria sich zum Gehen. Am Rand es Weges steht ein Mann. Sie kennt ihn nicht. Sie erkennt Jesus nicht.
Da geht es ihr wie den Anderen, denen Jesus in diesen Tagen begegnete.
Das ist erstaunlich. Menschen suchen Jesus, auch heute. Aber sie erkennen ihn erst, wenn er sich zu erkennen gibt, wenn er sie anspricht.
Anscheinend muss beides zusammenkommen, das Suchen der Menschen
und dass der Herr sich zeigt, dass er jemand anspricht.
Maria denkt, der Mann ist der Gärtner. Vielleicht hat er ja den Leichnam woanders hingelegt, weil er ihn störte, dort wo es lag. Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
Maria braucht ihn nicht zu holen. Er ist schon da. Jesus redet sie an: Maria.
Der Klang ihres Namens in seinem Mund öffnet ihr die Augen. Sie dreht sich zu ihm hin. Es ist Jesus! „Rabbuni, mein Meister“, ruft sie aus!
Es bewahrheitet sich in diesem Moment, was Jesus einmal sagte: Meine Schafe hören meine Stimme. Dies bleibt, wenn alles vergeht, in diesem und in dem zukünftigen Leben: diejenigen, die zu ihm gehören und an seine Stimme gewöhnt sind, werden seine Stimme erkennen, wenn er sie anspricht.
Nicht wie früher
Maria Magdalena hat Jesus wieder. Sie hat ihn gesucht und hat ihn gefunden. Es kann wieder werden wie früher. Oder?
Rühre mich nicht an, wehrt Jesus sie ab. Halt mich nicht fest. Es kann nicht werden wie früher. Das Rad der Geschichte wird nicht einfach zurückgedreht.
Im Gegenteil: Das Ruder ist herumgeworfen. Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Jesus ist nicht mehr der Alte. Maria, halt das Alte nicht fest. Rechne damit, dass Gott alles neu macht.
Dies soll Maria verstehen und weitersagen. Sie begreift, dass es nie mehr wird wie früher, nicht mehr das alte Lied. Ein neues Lied wird es werden. Sie hat ihren Meister doch gefunden. Aber auf eine ganz neue Weise.
Maria Magdalena, ist die erste Zeugin der Osterbotschaft; die Alte Kirche nennt sie ehrfurchtsvoll „Apostelin der Apostel“. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
Was hat er gesagt? Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Da ist nicht nur die Rede von einem Abschied, sondern auch von einer neuen Verbundenheit. Mein Vater ist auch euer Vater, er ist euch nahe, er hört euch,
ihr seid nicht allein. In ihm sind wir zusammen.
Es war die Begegnung, die Maria verändert hat. Maria – Rabbuni. Auferstehungsglaube ist kein Dogma. Es ist eine Begegnung, die unser Leben verändert.
Grund zu Trauer und Zweifel gibt es reichlich. Auch in diesen irritierenden Zeiten. Aber lebendiger als alle Zweifel ist, was Maria Magdalena uns erzählt:
das Jesus den Tod besiegt hat und uns täglich begegnen kann.
Schön, dass wir nach allem, was im letzten Jahr nicht möglich war, heute früh in Königsfeld den Ostermorgen wenigstens mit 100 Leuten draußen begehen und noch einmal die Namen lesen konnten, derer, die im letzten Jahr heimgegangen sind.
Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.
Amen
Christoph Huss, Königsfeld
Lukas 8,2
Mk 15,47
Joh 10