Anruf
Abendmahlsansprache 6. März 2022
Invokavit, Unitätsgedenktag
Abendmahlsansprache 6. März 2022
Invokavit, Unitätsgedenktag
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
sicher kennen Sie das auch: Es ist morgens und mir kommt der Gedanke, ich möchte gern eine gute Freundin anrufen. Ich wähle die Nummer, und am anderen Ende kommen die bekannten Töne: besetzt. Sofort fahren die Gedanken Achterbahn in meinem Kopf. Wieso ist diese Nummer jetzt besetzt? Warum ist sie nicht erreichbar? Wer ruft sie an? Ich habe ihr so viel zu erzählen und jetzt das! Enttäuscht lege ich den Hörer auf die Ladestation.
Ja, so etwas passiert mir immer wieder. Ganz anders klingt da heute der Name des Sonntags. Invokavit – „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören.“ Psalm 91,15
Wenn ich Gott anrufe, dann hört er mich. Dann antwortet am anderen Ende keine Stimme, „dieser Anschluss ist leider besetzt oder vorübergehend nicht erreichbar.“ Gott ist für mich da und er freut sich darüber, wenn ich mit ihm spreche. Ja, er hat schon auf mich und meinen Anruf gewartet. Und er hat Zeit für mich und meine Sorgen. Und gerade sind die Sorgen bei mir groß.
Und ich rede mit ihm: „Herr, ich bin immer noch sprachlos über den Krieg, der in Europa tobt. Die Bilder von den vielen Frauen mit ihren Kindern, die unterwegs sind in ein hoffentlich sicheres Nachbarland, die gehen mir sehr nah. Herr, ich rufe zu dir: Stopp den Krieg und beende das viele Leid. Und zeig mir, wo und wie ich helfen kann.
Und Herr, ich mache mir große Sorgen, dass der Krieg sich ausweitet. Bitte lenke du ein und gib Frieden, den die Welt nicht geben kann.
Herr, ich denke auch an alle anderen Länder, in denen die Menschen im Krieg leben. Sei du auch ihnen nah und hilf. Amen“
Es ist gut, dass wir so zu Gott beten können. Er weiß, wie es um unser Herz bestellt ist und wenn wir alles vor ihm aussprechen, dann merken wir, wie die Last leichter wird, weil wir sie abgeladen haben.
Mit Gott reden, ihn anrufen, das können wir zu jeder Zeit. In der Not-Zeit und in der Hoch-Zeit. Seine Nummer ist nie besetzt oder gar ohne Anschluss.
Wir denken heute an die ersten Brüder, die sich schon vor über 500 Jahren sicher waren, dass Gott ihnen zuhört. Mit Männern um Bruder Gregor schlossen sie sich 1457 zur Gemeinschaft der Brüder und Schwestern vom Gesetz Christi, zur Brüder-Unität zusammen. Das war vor 565 Jahren.
Diese Anfänge waren bescheiden und klein in dem kleinen Ort Kunvald im heutigen Tschechien. Dort kamen Männer und Frauen zusammen, die mit der bestehenden Kirche unzufrieden waren. Sie wollten nach dem Gesetz der Bergpredigt leben, bescheiden und verbunden durch einen lebendigen Glauben. Sie wollten die Bibel in ihrer Sprache lesen können und selbst verstehen, was Jesus den Menschen gesagt und vorgelebt hat. Sie wollten das Abendmahl mit Brot und Wein feiern, so wie es Jesus getan hat, und sie wollten dem Lamm nachfolgen.
Die alte Brüder-Unität hat das Zeichen des triumphierenden Lammes bewusst zu ihrem Symbol gewählt und später zum amtlichen Bischofssiegel gemacht. Das Lamm ist ein Symbol für ein einigendes Band der weltweiten Brüder-Unität geworden. Schon das Siegel der alten Brüder-Unität trägt die lateinische Umschrift: Vicit agnus noster, eum sequamur – Unser Lamm hat gesiegt, lasst uns ihm folgen.
Jesus Christus ist zu uns in die Welt gekommen und hat den Tod besiegt. Ihm wollen wir nachfolgen. Ihn können wir anrufen, wenn wir sprachlos sind, angesichts der schlimmen Dinge, die in der Welt passieren. Und wir werden dazu auch immer wieder aufgerufen von den Menschen in der Ukraine. Unsere Sprachlosigkeit und unser Entsetzen dürfen wir vor unseren HERRN bringen. Er ist für uns da. Er leidet mit uns, und er schenkt uns die Hoffnung und Zuversicht, dass das Leid einmal zu Ende sein wird.
An diesem Wochenende hat auch die Synode der Brüder-Unität begonnen, die in diesem Jahr digital stattfindet. Schwestern und Brüder kommen in diesen Tagen virtuell zusammen, um Gott zu loben und wichtige Themen in der Brüdergemeine zu besprechen. Auch für diese Zusammenkunft bitten wir den Herrn, dass er selbst als Ältester bei allen Gesprächen und Entscheidungen mit dabei ist.
Gebet: Herr, du hast uns auch heute an deinen Tisch geladen. In Brot und Wein gibst du dich für uns und schenkst uns deine Nähe. Herr, wir danken dir, dass du uns hörst und kennst. Wir danken dir für die Gemeinschaft mit dir, die wir jetzt im Abendmahl feiern. Vergib uns alle unsere Schuld in Gedanken, Worten und Werken. Vergib uns, wo wir nicht auf Dich gehört haben. Nimm alles, was uns von dir trennt und mach unsere Herzen frei. Amen
Gabriele von Dressler