Andere Maßstäbe
23.08.2020, Lukas 18, 9-14
23.08.2020, Lukas 18, 9-14
Liebe Gemeinde,
sicher kennen Sie das auch. Es gibt Menschen, die flößen einen Respekt ein. Zum Beispiel, wenn Menschen irgendeine Art von Uniform tragen. Ein Polizist z. B. Er trägt seine Uniform und wenn ich ihn auf der Straße sehen, geht mein Blick auf den Tachostand: Bin ich etwa zu schnell gefahren? Habe ich ein Verkehrsschild übersehen? Nach einer kurzen Schrecksekunde bin ich mir keiner Schuld bewusst und der Polizist beachtet mich auch gar nicht. Oh, da bin ich ungeschoren davon gekommen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die scheinen sich nicht um ihr Äußeres zu kümmern. Sie tragen viele Tage den gleichen Pullover, den ich schon längst ausgewechselt hätte. Wie kann man nur so herumlaufen- geht es mir durch den Kopf. Ich beurteile Menschen schnell nach ihrem Äußeren. Und der Mensch in Uniform auf der einen Seite – der andere mit dem immer gleichen Pullover auf der anderen Seite – sie lassen mich schnell urteilen. In unserem Predigttext heute geht es um zwei sehr unterschiedliche Menschen. Einem Pharisäer auf der einen und einem Zöllner auf der anderen Seite. Hören wir den Text.
Lukas 18, 9-14, Der Pharisäer und der Zöllner
9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Der Schriftsteller Eugen Roth hat in einem Kurzgedicht Salto genau den Predigttext in einer kurzen Form beschrieben:
Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!
Wie schnell ertappen wir uns dabei, uns über andere zu erheben. Eine Be- und Verurteilung anderer fällt uns viel leichter, als dass wir selbst an uns arbeiten.
Da ist zunächst die Rede von zwei Menschen, die auf dem Weg zum Tempel sind, um zu beten. Namen werden uns nicht genannt, wohl aber ihre Berufsbezeichnungen: ein Pharisäer und ein Zöllner.
Wer ist dieser Pharisäer? Ein Pharisäer war ein besonders frommer Mann, der sich genau an die jüdischen Gesetze hielt und darüber hinaus noch strenger damit umging. Während die Juden einmal in der Woche fasteten, fastete der Pharisäer zweimal. Er schaute auch genau darauf, dass sich auch die anderen an die Gesetze hielten. Er trug einen weiten Rock, den er mit einer Quaste, einem Gürtel um seinen Bauch band. Und je breiter der Gürtel, desto wichtiger die Person dahinter. Pharisäer waren gottesfürchtige Menschen, sie wollten aber auch von allen gesehen und angesehen werden.
Mit ihm ging ein Zöllner. Zöllner waren verachtet, weil sie die Menschen betrogen, sie nahmen ihnen mehr Geld ab als nötig und behielten davon einen großen Teil für sich. Im Neuen Testament ist der Zöllner die am häufigsten genannte Berufsgruppe. Mit dem Gesetz nahmen sie es nicht so genau. Die Menschen mieden den Kontakt zu den Zöllnern. Also zwei ungleiche Menschen waren gemeinsam auf dem Weg ins Haus Gottes, um zu beten.
Der Pharisäer stellte sich selbstgerecht hin und betete: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin, wie die anderen Leute …“ Das ist ausgesprochen überheblich. Er dankt Gott nicht für dafür, was er von ihm empfangen hat, was er ihm verdankt- nein, er stellt sich gleich zu Beginn des Gebets auf eine höhere Stufe als die anderen. Sein Gebet ist eine Selbstbespiegelung seiner Frömmigkeit. Er selbst sieht sich als fromm und gerecht und verurteilt die sündigen Menschen. Sein Gebet zeigt zuerst, wer er ist und im weiteren Verlauf zählt er auf, was er alles tut. Er fastet und gibt den zehnten Teil von allem für andere. Wenn das nicht vorbildlich ist. Wenn jeder und jede von uns so handeln würden, dann wäre die Armut in unserer heutigen Welt ein ganzes Stück weniger. Dann wären die Güter dieser Erde viel besser verteilt. Dann würde es vielen Menschen, die jetzt unterhalb der Armutsgrenze leben, viel besser gehen. Er tut wirklich Gutes – es ist ihm aber wichtig, dass er es nicht nur macht – das wäre ja wirklich gut – nein, alle sollen es hören, wie sehr er sich an die Vorschriften hält und darüber hinaus, wie ernst er es damit meint. Es ist nicht zu überhören.
Und auf der anderen Seite des Tempels der Zöllner. Er schaut nach unten, weil er sich seiner Schuld bewusst ist, schlägt seine Hand auf die Brust und betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Er verliert nicht viele Worte. Obwohl er reich ist, weiß er, dass sein Leben auf Betrug und List aufgebaut ist. Er stellt sich an den Rand, ist sich seiner Sünde und Schuld bewusst und spricht dies aus tiefstem Herzen aus. Ohne Umschweife kommt er zum Eigentlichen und bittet Gott um seine Gnade. Er kommt gar nicht erst auf den Gedanken aufzuzählen, was er in seinem Leben auch Gutes getan hat- da hat er sicher auch manches zu sagen. Er weiß, dass alle Menschen ihn verachten, er sucht aber die Nähe Gottes und seine Gnade.
Und Jesus? Jesus sagt: Dieser ging gerechtfertigt hinab. Jesus steht auf der Seite des Zöllners, des sündigen Menschen.
Dieses Gleichnis erzählt Jesus seinen Jüngern und will ihnen und uns damit ein Beispiel geben, wie wir beten und auch, wie wir leben sollen.
Ich denke, dass wir uns zwischen dem Pharisäer, der sich ganz treu an die Gesetze hält und ständig darauf bedacht ist, noch strenger danach zu leben und dem Zöllner, der bewusst Menschen hintergeht und seinen Vorteil daraus geschlagen hat, stehen.
Jesus urteilt nicht nur nach den Werken und nach Ansehen. Ihm ist es wichtig, dass wir uns mit allem, was unser Leben ausmacht, an ihn wenden. Das wir im Gebet nicht auf das verweisen, was wir sind und was wir tun, sondern, dass wir dafür danken, was wir von ihm empfangen haben, wofür uns Jesus Gaben mit gegeben hat.
Gott, ist ein Gott der Gnade und Barmherzigkeit.
Übrigens, ganz am Ende des Gebetes kommt es zu einer Überraschung. Bei Gott gelten andere Maßstäbe als bei uns Menschen. Der Zöllner, der sich seiner Schuld bewusst war und sie vor Gott brachte, ging gerechtfertigt nach Hause. Das Paradebeispiel des umkehrenden Zöllners ist Zachäus, der nach der Begegnung mit Jesus seine Schulden aus vollstem Herzen zurückzahlt – aus Liebe. Umkehr und Buße heißt im Griechischen Metanoia. Der Zöllner spürt diese Metanoia – die Umkehr tief in sich. Für den Pharisäer ändert sich nichts.
Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.
Amen
Gabriele von Dressler