28.12.2025, 1. Sonntag nach dem Christfest
Lukas 2, 22-40
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Liebe Schwestern und Brüder, das heutige Evangelium führt uns in den Tempel von Jerusalem. Es ist keine laute Szene. Keine Engel singen mehr, keine Hirten eilen herbei, kein Stern leuchtet am Himmel. Stattdessen sehen wir schlichte Treue: Eltern, die das Gesetz erfüllen, einen alten Mann, der wartet, und eine alte Frau, die betet. Und mitten in all dieser stillen Frömmigkeit – ist das Kind.
Der alte Mann, Simeon, wird beschrieben als gerecht und fromm, Er wartet auf den Trost Israels. Über Simon erzählt Lukas etwas außergewöhnliches: „Vom Geist geleitet, kam er in den Tempel.“ Und wenige Verse später begegnen wir Hanna: „eine Prophetin, die den Tempel nicht verließ und Gott mit Fasten und Beten Tag und Nach diente“. Weder Simeon noch Hanna suchen Aufmerksamkeit. Keiner von beiden tut spektakuläre Dinge. Und doch werden beide als Menschen beschrieben, deren Leben vom Geist Gottes geprägt und geführt ist. Heute lade ich Sie ein, darüber nachzudenken, was es bedeutet, vom Geist geleitet zu sein.
Wenn Lukas sagt, dass Simeon „vom Geist geleitet“ war, erwarten wir vielleicht etwas Dramatisches. Doch wohin führt ihn der Geist? Er geht in den Tempel. Lebte er heute, ginge er in die Kirche. Eine Kirche wie unsere. Ziemlich unspektakulär. Er geht an einen vertrauten Ort, zu einer vertrauten Zeit, um zu tun, was gläubige Menschen wie wir tun. Und doch wird gerade dieses Alltägliche zum Ort der Offenbarung.
Vom Geist geleitet zu sein bedeutet nicht immer, Ungewöhnliches zu tun. Oft heißt es, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, mit offenem Herzen und wachem Blick. Hoffentlich wie wir heute. Der Geist führt Simeon nicht aus dem Leben heraus – er führt ihn tiefer hinein. In ein Leben, das von Treue geprägt ist
Hannas Geschichte vertieft diesen Gedanken. Lukas berichtet von ihrem Alter, ihrer Witwenschaft, ihrer Beständigkeit. Sie lebt nicht von einzelnen inspirierenden Momenten. Ihr Leben ist geprägt von Gebet, Fasten und Gottesdienst. Hanna folgt nicht spontanen Eingebungen. Sie lebt eine lange Treue. Wie Simeon. Unspektakulär. Möglicherweise fiel sie den anderen Tempelbesucher gar nicht auf. Hanna wird eine Prophetin genannt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Propheten nicht unbedingt Hellseher waren. Sie waren Gottes Zeugen. Sie suchten ihn und seine Wahrheit. Als Frau, hätte Hanna gar nichts im Tempel zu sagen. Zu erzählen. Ihr Zeugnis war eher schweigsam. Sie betete, fastete und besuchte den Gottesdienst.
Das Wirken des Geistes zeigt sich hier nicht in plötzlicher Eingebung, sondern in stiller, lebenslanger Formung. Über viele Jahre hinweg wird ihr Leben zu einem Raum, in dem Gottes Gegenwart erkannt werden konnte. Und als das Kind erscheint, weiß sie es. Sie zögert nicht. Denn sie ist vorbereitet. Vom Heiligen Geist vorbereitet. Sie beginnt, von ihm zu reden zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warten. Der Geist führt sie nicht nur zur Erkenntnis Christi, sondern auch zum Zeugnis. Und die alte Frau, die bisher eher schweigsam war, beginnt – Kraft des Heiligen Geistes – zu reden.
Simeon und Hanna tun beide dasselbe Erstaunliche: Sie erkennen das Heil dort, wo andere nur ein Kind sehen. Das ist eines der deutlichsten Zeichen geistlicher Führung: die Fähigkeit, Gottes Handeln in unscheinbaren, verborgenen Gestalten zu erkennen. Der Geist schult das Herz, Christus zu erkennen. Vom Geist geleitet zu sein bedeutet nicht, alle Antworten zu haben. Es bedeutet, Augen zu haben für das Wesentliche.
Auffällig ist auch das Tempo dieser Erzählung. Simeon hat gewartet. Hanna hat gewartet. Die Führung des Geistes entfaltet sich über Zeit. Und das passt gar nicht zum Tempo unserer Zeiten. Oft verbinden wir geistliche Führung mit Schnelligkeit – mit klaren, sofortigen Entscheidungen. Doch hier führt der Geist durch Geduld.
Nein, liebe Schwestern und Brüder, warten steht nicht im Gegensatz zur Führung des Geistes. Sehr oft ist es genau der Ort, an dem der Geist am tiefsten wirkt. Der Geist lehrt uns, zu warten, ohne zu verzweifeln, zu vertrauen, ohne zu klammern, offen zu bleiben, ohne zu erzwingen.
Simeon antwortet mit Frieden: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Hanna antwortet mit Dank und Zeugnis. Der Geist führt sie nicht in Angst oder Verwirrung, sondern in Frieden, Dankbarkeit und Bekenntnis. Und dann geht der Augenblick vorüber. Der Alltag kehrt zurück. Aber nichts mehr ist wie zuvor.
Liebe Gemeinde, vom Geist geleitet zu sein ist kein Vorrecht weniger Auserwählter. Es ist eine Gabe für alle, die bereit sind, aufmerksam zu leben – zu warten, zu beten, da zu sein und zu vertrauen.
Der Geist führt uns:
- in alltägliche Orte, die heilig werden,
- in treue Lebenswege, die sich über Jahre Gestalt annehmen,
- zur Erkenntnis Christi, wo wir ihn nicht erwarten,
- und in einen Frieden, der nicht von Umständen abhängt.
Mögen wir wie Simeon vom Geist bewegt sein. Mögen wir wie Hanna treu bleiben, um Christus zu erkennen, wenn er kommt. Und mögen wir lernen: Vom Geist geleitet zu sein heißt weniger, außergewöhnlich zu sein –
und mehr, offen zu sein.
Amen.
Gerald MacDonald
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