Predigt am 10.11.2025
Lukas 6
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Liebe Schwestern und Brüder,
der Predigttext für heute aus Lukas 6, gehört zu den schwierigsten Worten, die Jesus je gesprochen hat:
„Aber euch, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen. Segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Diese Worte fordern uns heraus. Sie rufen nicht zu halben Sachen oder höflicher Nettigkeit auf. Sie fordern eine Lebensweise, die unmöglich erscheint – besonders dann, wenn wir verletzt, verängstigt oder wütend sind. Und das sind wir ja immer, wenn wir im Angesicht eines Feindes sind.
Wir müssen aber merken: Jesus fordert uns nicht auf, Zuneigung für unsere Feinde zu empfinden, sondern in Liebe zu handeln – zu segnen, wenn wir verflucht werden, zu geben, ohne etwas zurückzuerwarten, Barmherzigkeit statt Vergeltung zu wählen. Das ist keine Schwäche. Es ist die stärkste Kraft der Welt: die Kraft der Liebe Gottes, die durch uns wirkt.
Vor etwas mehr als 85 Jahren, am 9. und 10. November 1938, wurde in der Reichspogromnacht nicht nur das Glas jüdischer Geschäfte und Synagogen zerbrochen, sondern auch die moralische Unversehrtheit einer Gesellschaft, aufgegeben. Denn das christliche Deutschland hat an dem Tag das Gebot Jesu, den Nächsten zu lieben, aufgegeben. Es hat eine bestimmte Gruppe von Mitbürgern und Mitbürgerinnen als Feinde bezeichnet und verfolgt. Fenster wurden eingeschlagen, Thorarollen wurden verbrannt, Tausende wurden verschleppt und in Lager gebracht, und die Straßen hallten vom Hass wider – während die meisten Christen schwiegen. Manche machten sogar mit. Andere schauten weg. Nur wenige protestierten.
Die Kirche darf nie vergessen: Schweigen angesichts von Hass ist selbst eine Form des Hasses. Wenn ein Mensch, geschaffen im Ebenbild Gottes, verachtet wird, wird Christus selbst verachtet. Das Gebot „Liebt eure Feinde“ schließt ein, niemals selbst zum Feind der Menschenwürde eines anderen zu werden.
Wir erinnern uns an die Reichspogromnacht nicht nur, um die „Schuld“ der Vergangenheit zu bekennen, sondern um die Gefahren der Gegenwart zu erkennen: wie leicht Angst zu Hass wird, wie schnell Hass zu Gewalt wird und wie rasch Gewalt zur Normalität wird – wenn die Liebe Christi nicht eingreift.
Wir leben erneut in einer Welt, die von Polarisierung, Krieg, Antisemitismus, Rassismus und der Entmenschlichung von Fremden und Schutzlosen geprägt ist. Wir erleben wieder zunehmenden Hass gegen Juden, Muslime, Christen und all jene, die nicht in die Kategorien anderer passen.
Das Evangelium stellt uns heute die Frage:
Wer ist mein Feind? Und wie werde ich ihn behandeln?
Christus sagt nicht: „Liebt die, die euch sympathisch sind.“
Er sagt nicht: „Tut gut denen, die es verdienen.“
Er sagt nicht: „Segnet die, die euch mögen.“
Er sagt: Liebt eure Feinde. Tut Gutes. Gebt. Vergebt. Seid barmherzig.
Liebe Schwestern und Brüder, das ist nicht natürlich. Aber es ist möglich, weil Christus uns zuerst geliebt hat, als wir noch Gottes Feinde waren.
Jesus sagt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Das ist keine moralische Leistung unsererseits, sondern empfangene und weitergegebene Gnade von Gott.
Wir vergeben, weil uns vergeben wurde.
Wir zeigen Mitgefühl, weil uns Mitgefühl geschenkt wurde.
Wir geben, weil alles, was wir haben, Gnade ist.
Das Kreuz ist nicht nur der Ort, an dem wir erlöst wurden – es ist das Muster des christlichen Lebens. Wir sollten leben wie Jesus gelebt hat. Sogar am Kreuz: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Menschen, die Jesus an das Kreuz genagelt haben, waren nicht seine Freunde. Sie waren seine Feinde. Hoch Zehn. Aber selbst in der Lage konnte Jesus sie vergeben. Er konnte sie lieben. Wir vergelten Böses nicht mit Bösem, weil Christus das Böse bereits in seinem Leib getragen und mit Liebe beantwortet hat.
Es beginnt in unserem Alltag, indem wir
- darauf verzichten, verächtlich über andere zu sprechen, selbst wenn wir ihnen widersprechen.
- In dem wir die Wahrheit sagen ohne Härte und Mut zeigen ohne Hass
- Indem wir Antisemitismus, Rassismus und jede Ideologie zurückzuweisen, die einen Menschen erniedrigt
- Indem wir nicht nur für unsere Freunde, sondern auch für die beten, die uns verletzt oder verängstigt haben
- Indem wir großzügig geben, ohne Berechnung
- Indem wir uns daran erinnern, dass jeder Fremde, jeder Geflüchtete, jeder Nachbar, jeder „Feind“ in Gottes Ebenbild erschaffen wurde.
Liebe Brüder und Schwestern, Das ist nicht bloß sentimental. Es ist kreuzförmig.
Als Nachfolger Christi wissen wir: Wir lieben nicht perfekt. Wir scheitern. Wir fallen zurück in Bitterkeit oder Angst. Doch Christus lässt uns nicht los. Er sagt immer wieder: „Gebt, so wird euch gegeben werden.“ Er füllt unsere leeren Hände mit überströmender Barmherzigkeit – „ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß.“
Je mehr Gnade wir empfangen, desto mehr haben wir zu geben.
Die Reichspogromnacht zeigt, was geschieht, wenn Hass eine Gesellschaft beherrscht.
Das Evangelium zeigt, was geschieht, wenn Christus ein Volk leitet: Feinde können zu Nächsten werden, Nächste zu Geschwistern, und Barmherzigkeit kann den Kreislauf der Vergeltung durchbrechen.
Lasst uns mutig lieben.
Lasst uns freigiebig vergeben.
Lasst uns den Hass verweigern.
Lasst uns – durch Gottes Gnade – ein Volk der Barmherzigkeit sein in einer Welt aus zerbrochenem Glas.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.
Gerald MacDonald
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