Liebevoll leben in drei Dimensionen
15.10.2017 (18. Sonntag nach Trinitatis), Markus 12, 28 – 34
15.10.2017 (18. Sonntag nach Trinitatis), Markus 12, 28 – 34
Liebe Gemeinde, liebe Gäste,
„Hauptsache gesund“, sagt man gerne bei einem Geburtstag.
„Gesund und vital“ – unter diesem Motto steht das Gesundheitsforum, das um 12 Uhr hier eröffnet wird. Dieser Tag mit seinen vielfältigen Veranstaltungen möchte motivieren, etwas für die eigene Gesundheit zu tun und vielfältigen Möglichkeiten der Heilung und der Vorsorge wahrzunehmen.
In anderen Jahren haben wir diesen dritten Sonntag im Oktober als „Männersonntag“ begangen, die Männergruppe hat dann den Gottesdienst mit gestaltet. Männer gelten als Vorsorgemuffel.
Der später hier auftretende Referent ist auch im Vorstand der deutschen Gesellschaft für präventive Männermedizin, auf deren Website zu lesen ist:
„Männer sehen sich zwar gern als das starke Geschlecht. Sie sind aber, zumindest biologisch gesehen, Frauen gegenüber im Nachteil und sterben im Schnitt sechs Jahre früher. Und das hat nicht nur genetische Gründe. Denn Fakt ist: Viele Männer tragen durch ihren nachteiligen Lebensstil selber dazu bei.“
Der heutige Gesundheitstag will Männer und Frauen bewegen, motivieren, ihre Möglichkeiten zu nutzen, um vital zu bleiben. Das ist gut so.
Also: Hauptsache gesund?
Klar, die Gesundheit ist viel wert. Schon eine Erkältung kann ganz schön nerven. Auch ich freue mich immer, wenn der Arzt sagt, dass meine Fitness für mein Alter okay ist.
Hauptsache gesund?
Mich beeindrucken Menschen, die trotz einer miserablen Gesundheit ihr Leben als erfüllt und sinnvoll erleben, die glücklich sind trotz vieler Einschränkungen.
Kommende Woche spricht in Unterkirnach der Schauspieler Samuel Koch, vom Hals ab gelähmt seit dem Unfall bei „Wetten, dass …“. Beeindruckend, wie er mit seinen Einschränkungen umgeht.
Letzte Woche war ich bei dem Geburtstag eines 90-jährigen, der in den letzten Jahrzehnten nie so richtig gesund war. Seine positive Einstellung zum Leben – wie er jedem Tag etwas Dankenswertes abgewinnt: davon kann man sich echt eine Scheibe abschneiden.
Hauptsache gesund?
Was ist die Hauptsache im Leben? Was bewährt sich auch noch, wenn das Leben an seine Grenzen kommt? Denn Krankheit, Altwerden und Sterben gehören zu unserem Leben. Was wir in unserem Leben zur Hauptsache machen, sollte auch dann noch etwas wert sein.
Was ist die Hauptsache? Eine Frage, die sich schon viele gestellt haben. Auch Jesus wurde diese Frage immer wieder gestellt. Im heutigen Evangelium klingt seine Antwort so. Ich lese Mk 12, 28 – 34:
28 Ein Schriftgelehrter fragte Jesus: »Welches Gebot ist das wichtigste von allen?«
29 Jesus antwortete: »Das wichtigste Gebot ist dieses: ›Höre, Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein.
30 Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Willen und mit deiner ganzen Kraft.‹
31 Das zweite ist: ›Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.‹ Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden.«
32 Da antwortete ihm der Schriftgelehrte: »Ja, Lehrer, du sagst die Wahrheit: ›Einer ist Gott, und es gibt keinen anderen Gott außer ihm.
33 Ihn zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzem Verstand und mit ganzer Kraft und seinen Mitmenschen zu lieben wie sich selbst‹, das ist viel wichtiger als alle Brandopfer und anderen Opfer.«
Gott lieben – und den Nächsten lieben wie dich selbst. Wir nennen diese Zusammenstellung von Jesus das „Doppelgebot der Liebe“.
Lieben ist nicht ein romantisches Gefühl, wie wir es heute meist verstehen, sondern es heißt:
und
Der Nächste ist der, der mir gerade über den Weg läuft.
Ihn lieben wie mich selbst. Sich selbst darf man auch nicht vergessen. Jesus hat das zwar nicht so gemeint, aber wie haben eingesehen, dass das auch dazugehört: sich selbst lieben
So gesehen ist es ein Dreifachgebot der Liebe. Gott lieben – den Nächsten – und mich.
Ich habe zur Veranschaulichung etwas mitgebracht. (Apothekerwaage hinstellen) Das ist eine Apothekerwaage. Die Königsfelder Apotheke hatte noch eine im Keller und hat sie mir freundlicherweise ausgeliehen.
(Figuren reinstellen ohne Steine, Einzelner hängt in Luft)
Es gibt Menschen, die achten zu wenig auf sich. Sie zehren sich auf für andere. Manche kommen dann irgendwann an eine Grenze und müssen lernen, auch auf sich zu achten.
Andere lassen nicht die eigene Liebe, sondern den eigenen Frust an anderen aus. Sie meckern an anderen herum, weil sie mit sich selbst nicht im Reinen sind. Auch sie müssen lernen, auf sich selbst zu achten. Ihnen ist zu wünschen, dass sie Frieden machen können mit sich selbst. Da hätte dann auch ihre Umwelt etwas davon.
Es gibt aber auch die, die viel zu sehr auf sich selbst achten. (beide Steine und Stoffkugel zu Einzelfigur) „Ich erst“, sagt der Egozentriker. Sie wissen sich durchzusetzen. Das Leben ist für sie eine Castingshow und die Welt ein Laufsteg. Das meiste von dem, was sie machen, geschieht, um gut da zu stehen und nach vorne zu kommen. Sie beziehen alles auf sich. Der Egozentriker ist eine Last für seine Umwelt und manchmal eine Gefahr für sein Land.
Beide Extreme sind ungesund. Es gilt, ein Gleichgewicht zu finden, eine Balance. Aber wie? Was trägt das Ganze und bringt es zum Ausgleich? (Stoffkugel auf die Waage)
Liebe – freundlich gesinnt sein, gut sei für andere, ist nicht etwas, was wir aus uns hervorbringen, was wir produzieren müssten. Liebe umgibt uns. Wir erfahren sie von den Menschen vor uns und um uns. Vieles in unserem Leben verdanken wir Anderen.
Und wir erfahren die Liebe von Gott. Seine Gegenwart umgibt uns wie die Luft, die wir atmen. Aus ihm kommt das Leben. Er lässt uns Lebensworte hören. Er gibt sich selbst in die Welt hinein in Jesus Christus. Er gibt sich, damit wir leben. Selbst wenn wir sterben.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht: Die Form der Apothekerwaage erinnert mich an die Form des Kreuzes, das Zeichen der sich gebenden Liebe Gottes und des Sieges über den Tod. Wie Arme tragen die Seitenteile der Waage die beiden Schalen mit uns selbst und den anderen. So trägt Gottes Liebe unser aller Leben und hält es in Balance.
Durch Gottes Liebe fallen am Ende weder unser Versagen noch unsere Leistung ins Gewicht. Was unserem Leben und dem unseres Nächsten Gewicht gibt, was es bestehen lässt, ist Gottes Zuwendung, seine Gnade. Männer finden so eine Zusage etwas schwierig, heißt es im Vorbereitungsheft zum heutigen Männersonntag.
Da schreibt ein Matthias Bunzel, 49, IT-Projektleiter:
„Meine Wahrnehmung ist, dass viele Männer sich über ihre Arbeit, über ihre Leistung und das, was sie als Gegenwert für ihre Leistung bekommen, dass sie sich darüber definieren.“
Und Yuval Lapide, 55, jüdischer Religionswissenschafter:
„Gnade bedeutet „empfangen, in sich aufnehmen“, und das ist ein typisch weibliche Eigenschaft. Das ist nicht typisch männlich: gebend, kämpfend, voranpreschend. Sondern ein leises, dein demütiges, ein ergreifendes Aufnehmen einer wunderbaren Eingebung und Zuwendung, die von Gott kommt.“
Auch für Männer wäre eine gute Balance von Geben und Nehmen, von Einsatzfreude und … Offenheit für das Zu-fallende wohl das gesündeste.
Es ist ja auch gar nicht so, dass Gott nur der Barmherzige und Schenkende wäre. Er fordert auch. Er fordert uns heraus, er will gehört werden.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Willen und mit deiner ganzen Kraft. .. und deinen Mitmenschen wie dich selbst.“
Die Zuwendung Gottes, der wohlwollende Blick auf mich selbst und der wertschätzende Umgang mit dem Nächsten, diese drei Dimensionen der Liebe bilden ein Ganzes.
Im Bild der Waage sieht sehr statisch aus, aber eigentlich ist es ein Strom, bei dem sich eins aus dem anderen speist und ein Leben in Fülle möglich macht, bei allen Begrenzungen, die das Leben mit sich bringt.
Der Schauspieler Samuel Koch sagte vor einiger Zeit in einem Interview[1], „er habe als Christ lernen müssen, den Blick von sich weg zu lenken und zu erkennen, dass Gesundheit nicht das Wichtigste im Leben sei. Sein nach wie vor vorhandener Bewegungsdrang helfe ihm aber, stabil zu bleiben, damit sich sein Gesundheitszustand nicht verschlechtere.“
Die Gesundheit nicht zu vernachlässigen ist wichtig – die Hauptsache aber ist, in den drei Dimensionen der Liebe zu leben.
Darin liegt die Fülle des Lebens.
A m e n
Chr. Huss, Königsfeld
[1] https://www.abendblatt.de/vermischtes/article121456433/Samuel-Koch-Ich-brauche-den-Glauben-mehr-denn-je.html
Foto: Huss