Gebet ist Begegnung
17.05.2020 (Rogate), Matthäus 6, 5-13
17.05.2020 (Rogate), Matthäus 6, 5-13
Lesung: Lukas 11, 5-13
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Liebe Schwestern und Brüder,
Beten ist eine Grundform der religiösen Kommunikation.
Wer an ein höheres Wesen glaubt, versucht mit ihm in Kontakt zu treten.
Oder sich wenigstens gut mit ihm zu stellen – durch Riten und mit Worten, also durch Gebet.
Kann man Beten lernen? Kann man beim Beten etwas falsch machen?
Es scheint so zu sein. Denn jede Religion gibt ihren Gläubigen Regeln oder Tipps für das Gebet.
Ich habe mal im Computer das Thema „Regeln für das Gebet“ eingegeben. Da kamen zunächst viele muslimische Seiten. Dort war genau beschrieben, welcher Text zu welcher Körperhaltung gesprochen werden muss. Und was zu tun ist, wenn man sich mal vertan hat.
Dann kam eine katholische Seite: „Zehn Tipps für ein gutes Gebet.“
Dann noch eine des Evangeliumsrundfunks, dabei ging es um Tipps für Gebetsgemeinschaften, damit Gebetsgemeinschaften keine „Leidensgemeinschaften“ werden, wie es dort heißt.
Schon Jesus wird von seinen Anhängern gefragt, wie sie beten sollen.
Eine seiner Antworten haben wir Lesung aus dem Lukas-Evangelium gehört.
Eine andere wird uns im Predigttext aus dem Matthäusevangelium vorbelegt.
Der Evangelist hat die Hinweise von Jesus zum Glaubensleben in der sogenannten „Bergpredigt“ gesammelt.
Das gibt es einen Abschnitt zum Fasten, einen zum Almosengeben, vieles mehr und auch einen zum Gebet.
Was überrascht, ist die scharfe Abgrenzung, die Jesus darin vornimmt. Man merkt: mancher Hinweis kommt aus einer bestimmten Situation, richtet sich an bestimmte Menschen. Es ist gar nicht so einfach, sie zu verallgemeinern.
Ich lese Matthäus 6, 5-13:
5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. 7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
Macht es nicht so wie die anderen, sagt Jesus in Abgrenzung gegen das, was er und seine Jünger in ihrer Umwelt erleben. Er wird seine Gründe gehabt haben, dies so zu sagen.
Ich finde es allerdings schade, wenn die Gebetspraxis der anderen als Heuchelei oder Plappern abgetan wird. Ich würde es mir nicht anmaßen wollen, die Motive anderer bei ihren Gebeten zu beurteilen. Weiß ich, was andere wirklich bewegt, auch wenn sie Gebetsformen verwenden, die nicht die meinen sind? Gerade, was das Gebet betrifft,
beeindruckt mich oft die Innerlichkeit, die Ernsthaftigkeit, die Treue von spirituellen Menschen aus anderen Religionen – und ich würde mich solche Hingabe bei den eigenen Glaubensgenossen wünschen.
Das Problem heute ist wohl nicht, dass Menschen „falsch“ beten. Schade ist, dass viele Menschen gar nicht beten.
Wo gibt es das noch, dass Kinder von ihren Eltern oder Großeltern lernen, dass man mit Gott reden kann, dass er hört und wie er spricht?
So erzählte mir ein Gemeindeglied in einer früheren Gemeinde, wie er beten gelernt hat:
während der Flucht lag er mit der Großmutter unter der Decke, hat miterlebt, wie sie gebetet hat und welche Kraft sie darin erfahren hat. Ich frage mich, ob seine Kinder auch noch das Beten gelernt haben?
Ich meine, die Herausforderungen sind heute andere. Heute bleibt zu viel im Kämmerlein verborgen. Es wird zuviel nicht weitergeben. Aber das wäre eine andere Predigt. Schauen wir noch einmal auf die Worte Jesu.
Lehre uns beten, bitten die Jünger Jesus. Es sind zwei Dinge, die Jesus deutlich macht.
Gebet ist keine Show, sondern Zwiesprache mit Gott.
Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, …
Wissen Sie, was das Kämmerlein ist, von dem Jesus hier spricht? Das hier verwendete Wort meint die Vorratskammer (Ταμειον – Vorratskammer oder Schatzkammer, der einzige verschließbare Raum in einem palästinensichen Bauernhaus. Das Verb dahinter bedeutet: bewahren, abmessen). Das war der einzige Raum in einem palästinischen Bauernhaus, den man verschließen konnte. Er hatte auch keine Fenster. Niemand stört, niemand guckt zu.
Jesus will hier den Kontrast deutlich machen: Gebet ist Zwiesprache mit dem himmlischen Vater und sonst nichts. Jeder Nebengedanke stört:
All diese Nebengedanken lenken ab. Ich weiß nicht, ob sie solche Nebengedanken kennen? … Besonders, wenn man vor anderen oder mit anderen betet, stellen sie sich schnell ein.
Das ist wie in einem Gespräch mit einen anderen Menschen.
Man schaut sich an, wenn man miteinander spricht.
Wenn jemand immer wegschaut, ist man irritiert.
Findet sie mich langweilig? Hört er gar nicht zu? Ist sie in Gedanken woanders?
Gebet ist ein Gespräch mit Gott. Jeder Blick woanders hin lenkt ab. Darum machen Menschen gerne die Augen zu. Dann ist eher bei sich und bei Gott.
Vor Ablenkung ist man sicherer, wenn man in der fensterlosen, abgeschlossenen Speisekammer betet.
Jesus ist da sehr plastisch. Zum Glück haben unsere Häuser heute noch etwas mehr Zimmer, wo man für sich sein kann.
Gebet ist Zwiesprache mit Gott. Es ist nicht Show für andere.
Es ist auch nicht Show vor Gott. Wir haben ihm nichts zu beweisen.
Jesus hat alle Leistungsgedanken gegenüber Gott weggeräumt.
Er hat alles geleistet. Wir sind versöhnt. Wir sind Gottes geliebte Kinder. Wegen Jesus.
So können wir ihn ansprechen mit der vertrauensvollen Anrede „Vater“.
Zu dieser Zwiesprache braucht es nicht viele Worte.
Das ist das zweite, was Jesus deutlich macht.
7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
Was für eine Befreiung! Es kommt nicht auf die Worte an. Wohlgeformte Sätze erreichen Gott nicht besser, viele Worte machen nicht mehr Eindruck auf ihn.
Es weiß nämlich längst Bescheid. Dann hat es wohl auch nicht mehr Gewicht, ob jemand mit großer Inbrunst betet oder wenn es ganz viele sind? Das wäre doch die logische Folgerung.
Man könnte einwenden, Jesus sagt doch etwas später (Mt 18,20):
Wenn zwei unter euch einig werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. 20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Klar, es ist etwas besonderes, wenn man mit anderen Menschen zusammen beten kann.
Aber meinen wir wirklich, Gott ließe sich von der Menge mehr beeindrucken als von dem einzelnen, der seine Bitte unbeholfen vorträgt?
Das Prinzip „Viel hilft viel“ ist beim Gebet doch wohl eher nicht angebracht. Ich glaube, das ist zu menschlich gedacht. Gott ist nicht einer, den man beeindrucken muss.
Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
Wozu überhaupt beten, wenn Gott schon alles weiß?
Gegenfrage: Haben wir einander nichts mehr sagen, wenn wir alle Informationen ausgetauscht haben? Ist Gebet etwa eine Art Informationsaustausch oder wie das Vorlegen eines Wunschzettels?
Gott will mit seinen Kindern in Kontakt sein. Und wir wollen es ja auch.
Gott sucht unser Herz, Gott will uns hören.
Erinnern Sie sich an die Geschichte mit dem blinden Bartimäus. Jesus fragt ihn: Was willst Du, dass ich tue? Hätte Jesus sich nicht auch denken können, dass der Blinde gerne das Augenlicht haben möchte. Aber wie viel mehr ist es, wenn er die Frage stellt und der Mann kann klar formulieren: „Herr, dass ich sehen kann.“
Gespräch ist viel mehr als die Übermittlung von Informationen.
Es ist Zwiesprache, Begegnung. Auch das Gebet, das Gespräch mit Gott.
Es ist Begegnung.
Beten kann auch Schweigen sein. Keine Worte. Nur da sein voreinander.
Im Gebet, ob mit oder ohne Worte, findet ein Austausch statt.
Unsere Sache wird Gottes Sache und Gottes Sache wird unsere Sache.
Das wird deutlich, wenn Jesus den Jüngern ein Beispielgebet mitgibt, das Vater Unser.
9 Darum sollt ihr so beten:
Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt.
10 Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel
so auf Erden.
Das Beispielgebet fängt damit an, dass der Beter sich vor Gott stellt und Gottes Sache zu seiner macht. Erst dann kommen Bitten um die täglichen Bedürfnisse.
Der Beter wechselt dafür in die Wir-Form. Der Kreis weitet sich. Das gehört zum Gebet.
11 Unser tägliches Brot gib uns heute.
12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Das Gebet endet wieder in der Anbetung.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
…
Mit dem Amen sollte man sich immer etwas Zeit lassen.
Es könnte sein, dass Gott noch etwas zu sagen hat, wenn wir ausgesprochen haben.
…
Amen
Christoph Huss
Bild: zvg.