Fürchtet Euch nicht!
500 Jahre Reformation, 31.10.2017 (Reformationstag), Matthäus 10,26-33
500 Jahre Reformation, 31.10.2017 (Reformationstag), Matthäus 10,26-33
Liebe Gemeinde – Jüngere und Ältere, Schwestern und Brüder aus der ganzen Regio!
Ein Jahr, in dem wir mal gemeinsam und mal jede für sich, den Impulsen der Reformation vor einem halben Jahrtausend nachgespürt haben, findet heute seinen Abschluss. Heute ist es 500 Jahre her, dass Martin Luther seine 95 Thesen öffentlich machte.
Was hat diese Erneuerungsbewegung nicht alles verändert! In der Kirche, aber auch darüber hinaus. Welchen immensen Einfluss hatte sie auf unsere Gesellschaft, unsere Sprache, unsere Architektur, unsere Kultur, auf die Musik, die Bildung, auf unser Familienbild.
Und da werde ich dann gleich ein wenig traurig und kleinlaut.
Welche Rolle spielt der christliche Glaube heute noch? Die kulturelle Leistung der Kirche mag ja noch gesehen werden, aber für wie viel Menschen ist der Glaube noch Lebenselixier und fester Halt?
Damit wir nun nicht kleinlaut werden und ins Jammern verfallen, gibt uns der heutige Predigttext eine klare Orientierung, wo wir stehen und wo es hingeht. Das Kapitel, dem er entnommen ist, trägt den Titel „Aussendungsrede“. Hören wir aus Matthäus 10 die Verse 27 – 33
Jesus sagt dort zu seinen Jüngern:
27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.
28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
29 Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.
30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt.
31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.
32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.
Das war damals vor 2000 Jahren anders: da konnte es einem an den Kragen gehen, wenn man von Jesus Christus,
Jesus als dem Mensch gewordenen Gott, sprach. Das hatte schon seinen Grund, wenn Jesus sagte: Fürchtet Euch nicht, bekennt euch.
Es war auch vor 500 Jahren noch gefährlich, wenn die Reformatoren den Regierenden in Kirche und Staat die Bibel vor die Nase gehalten haben und an den Grundfesten des damaligen Machtgefüges rüttelten. Da drohte Bann und Enteignung, und der Feuertod eines Jan Hus war erst 100 Jahre her.
Fürchtet Euch nicht, sagt Jesus.
Aber sie haben sich den Zuspruch von Jesus zu Herzen genommen. Die Jünger damals und die Reformatoren vor 500 Jahren. Luther hat die Furcht vor Menschen hinter sich gelassen und hat Kaiser und Kardinälen erklärt, dass er die Bibel über alles stellt und deshalb seine Thesen nicht widerrufen kann.
Jesus sagt: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.[1]
Fürchtet nicht die Menschen, fürchtet Gott, in dessen Hand euer ganzes Leben, auch das unsichtbare, auch das innere, auch das ewige liegt. Über den Kern unserer Person, darüber wer wir sind, hat kein Mensch Macht.
Nun rutschen vielleicht schon einige von Ihnen unruhig auf Ihrem Platz hin und her. Das kann man doch nicht so sagen. „Gottesfurcht!“
Nun, vielleicht muss man es wieder öfter sagen, aber auch, dass damit etwas ganz anderer gemeint ist als Angstmache. „Die Furcht vor dem Menschen ist eine Form von Angst, die Gottesfurcht eine Form der Liebe“[2], schreibt Christiane Kohler-Weiß in einer Predigt zum heutigen Tag. Und weiter: „… beides ist so weit voneinander entfernt wie der Erde vom Himmel … Gottesfurcht bedeutet Dankbarkeit, Hochachtung, Respekt, Ehrfurcht, Achtsamkeit, Vertrauen – aber keinesfalls Angst.“
Es geht schlicht darum, Gott ernst zu nehmen. Von ihm kommt unser Sein, in seiner Hand ist unser Leben und er erwartet etwas von uns. Gott lässt sich nicht spotten.
Ich erschrecke immer wieder, wenn Menschen, auch im öffentlichen Leben, Fluchworte gebrauchen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Mir ist unbegreiflich, wie leichtfertig Menschen den Namen Gottes in den Mund nehmen und auf der anderen Seite jeden Gedanken an Gott wegschieben und dass wir einmal Rechenschaft vor unserem Schöpfer ablegen müssen.
Angst haben aber brauchen wir vor Gott nicht.
29 Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.
30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt.
31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.
Wir sind Gott kostbar, sehr kostbar. Darum gibt er alles für uns. Er gibt uns Jesus Christus. Er gibt uns seine Liebe. In vielfältiger Weise. Wer ihm vertraut und ihm nicht bewusst denn Rücken kehrt, dem schenkt er seine ganze Barmherzigkeit.
Gottesfurcht, Gottesliebe, Gottvertrauen, sie gehören zusammen.
Wir sind in seiner Hand und keiner wird uns aus seiner Hand reißen. Das wussten Hus und Luther und die anderen Reformatorinnen und Reformatoren. Darum konnten sie so furchtlos auftreten.
„Der Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge…“
Das war eine Einsicht mit Sprengkraft. Freilich immer gebunden an die Liebe Gottes und die Liebe zu den Menschen, die dann wieder jeden zu einem „dienstbaren Knecht“ macht.
Um diese Freiheit müssen wir täglich kämpfen, uns durchkämpfen von der Menschenfurcht zu Gottesfurcht und -vertrauen.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem Buch „Nachfolge“ (S. 190): „Wer die Menschen noch fürchtet, der fürchtet Gott nicht. Wer Gott fürchtet, der fürchtet die Menschen nicht mehr.“
Ich für meinen Teil habe da noch ein paar Lektionen zu lernen. Ich werde wohl nie ein Luther werden, aber etwas weniger Angst vor dem, was Menschen denken und sagen könnten, kann schon nicht schaden.
In meinem Büro steht ein 60 cm hoher Holzturm von einem Königsfelder Künstler[3], mit Treppen und Rundbögen. Im letzten Jahr ist dort der kleine Playmobil-Luther eingezogen. Mal stand er im Erdgeschoss, mal einen Stock höher. Gestern früh habe ich ihn ganz oben drauf, auf die Dachterrasse gestellt.
Jesus sagt ja in unserem Predigtext: Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.
Das ging damals bei Jesus sicher gut, bei der Bauweise in der Gegend, von den Flachdächern zu den Menschen zu reden.
Wollen wir das noch, es von den Dächern reden?
Nicht nur von Moral und Ethik, von den kulturellen Errungenschaften der Reformation, von Umwelt, von Weltpolitik und Nächstenliebe.
Das ist alles nicht verkehrt. Aber wollen wir auch reden von dem anderen.
Noch einmal Christiane Kohler-Weiß: „Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wieder mutig davon zu reden, was man nicht sehen und nicht kaufen kann: von der Seele, dem ewigen Leben und dem Himmel. Dafür braucht es Kirchen, denn davon redet sonst niemand.“
Die Welt braucht diejenigen, die davon reden. Es ist nicht mehr gefährlich, wenigstens nicht hier in Europa.
Freilich, es ist nicht einfach. Viele gehen uninteressiert weiter. Manche lächeln. Aber wollen wir uns davor fürchten?
Natürlich sind auch die Gaben unterschiedlich. Manch einer redet leichter mit den Händen. Und natürlich gibt es falsche Momente.
Vielleicht sollten wir nicht von Dächern reden, nicht von oben herab. Sondern unten. In der Haustür oder gleich ganz auf der Straße.
Ich habe eine Idee. Ich hole den kleinen Luther wieder runter von der Dachterrasse und stelle ihn jetzt am Ende des Jahres vor den Turm. Dort auf die Straße gehören die hin, die reden wollen von dem, was ihnen Gott ins Ohr sagt.
A m e n
Chr. Huss, Königsfeld
[1] Die überwiegende Zahl der Ausleger ist sich einig, dass hier Gott gemeint ist und nicht der Teufel, wie manche meinen.
[2] KR Dr. Christiane Kohler-Weiß in Calwer Predigten (www.calwer-verlag-stiftung.com)
[3] Werner Rinderknecht
Foto: Huss