Erntedank: Karten aufdecken
30.09.2018, 1. Timotheus 4, 1-5
30.09.2018, 1. Timotheus 4, 1-5
Liebe Schwestern und Brüder!
Am Erntedanktag dringen viele verschiedene Bilder und Botschaften auf uns ein.
Wie die Karten eines Kartenspiels flattern sie uns auf den Tisch. Da ist Dank und Freude über die Erntegaben. Da sind Bedenken und Appelle verschiedenster Art, die sich mit einen solchen Tag der Schöpfung verbinden. Da sind Brot und Trauben, Brot des Lebens und Kelch des Heils, die uns verletztlichen Menschen eine heilsame Nahrung geben.
Dies alles zusammen ist verwirrend. Wir wissen nicht, wie wir aus den verschienenen Karten eine sinnvolle Serie hingekommen sollen, was wir denken und fühlen sollen, wir wir dies alles, was auf uns ein stürmt, zusammenbringen sollen.
Wir werden in dieser Predigt verschiedene Karten aufdecken. Ich hoffe, dass sich am Ende wenigstens einiges davon zusammenbringen lässt.
Möge uns auch der für den Erntedanktag vorgeschlagene Predigt dabei helfen.
Textlesung: 1. Timotheus 4, 1-5 (Basis-Bibel)
1 Der Heilige Geist sagt klar und deutlich: In den letzten Tagen werden sich manche vom Glauben abwenden. Sie werden auf Geister hören, die sie in die Irre führen,
…
2 Dazu werden sie verführt von scheinheiligen Lügnern,
…
3 Sie verbieten die Ehe und fordern, bestimmte Dinge nicht zu essen. Dabei hat Gott sie doch für die Glaubenden geschaffen, die die Wahrheit erkannt haben. Die sollen sie verzehren und dafür Dank sagen.
4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen. Wir müssen es nur mit Dankbarkeit von ihm entgegennehmen.
5 Durch Gottes Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas Heiligem.
1. Alles gut
Alles, was Gott geschaffen hat ist gut. So heißt es im Brief. Wieviel Gutes sehen wir hier vor uns!
Die Äpfel sind dieses Jahr wieder in den eigenen Gärten gewachsen. Wunderbar, nicht gespritzt, keine Lastwagen musste sie durch die Gegend fahren. Wir sehen die Kürbisse und Zwiebeln und denken dankbar an die Geschwister, deren Sohn einen Biohof in der Nähe hat und die die Gaben hierher bringen.
Ich sehe die Kartoffeln und denke an den alten Mann, dessen Zimmer ein altes Bild schmückt:
von einem Bauer hinter dem Pflug mit Pferden. Er hatte als junger Mann selbst noch den Pflug hinter den Pferden geführt.
Ich denke mit Anerkennenung an jene, die mit ihrer Hände Arbeit dazu beitragen,
dass Getreide und Früchte wachsen.
Ich denke mit Bewunderung an den Bäcker, der jede Nacht in der Backstube steht. Ich vergesse auch die Frau nicht, die tagtäglich beim Treff an der Kasse sitzt und ihrer Stimme einen freundlichen Ton gibt. Sie hat einen ganz ähnlichen Namen wie der Mann, der momentan auf der Baustelle um unsere Kirche immer im Graben steht und Rohre legt für das Wasser und den Strom.
So denke ich dankbar an all die Menschen, die dazu beitragen, dass wir Nahrungsmittel kaufen und kochen und sauberes Wasser trinken können.
Danke!
Das Staunen über die Schöpfung führt uns zur Dankbarkeit.
Wolfgang Huber schreibt dazu:
Das Staunen über die Schöpfung und unser Leben in ihrer Mitte gibt unserem Gottvertrauen eine innere Gewissheit. Der Schöpfungsglaube verhilft der Dankbarkeit zur Sprache. Er dankt für das Leben, das mir geschenkt ist, und für die Welt, in der ich leben darf. In dieser Dankbarkeit nimmt das Vertrauen, dass Gott es mit mir selbst und mit der Welt gut meint, konkret Gestalt an. Das eigene Leben und die Welt aus der Perspektive der Güte zu betrachten, die Gott in sie legt und die er bewahren will, ist Sinn des Schöpfungsglaubens.
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen. Wir müssen es nur mit Dankbarkeit von ihm entgegennehmen.
Alles gut also.
Oder doch alles schlecht?
2. Alles schlecht
Am Beginn des Predigttextes wendet sich der Schreiber gegen Menschen, die lauter Gefahren und Schlechtes sehen in der Schöpfung. Sie verbieten die Ehe und fordern, bestimmte Dinge nicht zu essen. Sie vertraten wohl die Ansicht, dass sich der Mensch von allen gefährlichen Dingen fernzuhalten hatte. Sexualität ist gefährlich, also lieber gar nicht heiraten. Das Fleisch aus bestimmten Quellen ist unrein, also Finger davon. Es verdirbt den Menschen.
Auch heute heißt es oft: Nicht essen. Die größten Aufdrucke auf den Verpackungen weisen drauf hin, was nicht drin ist in der Verpackung. Ohne Zucker. Ohne Gluten. Ohne Fleisch. Ohne Milchprodukte. Ohne Eier. Ist also doch alles schlecht?
Und dann sehen wir noch den ganzen Abfall, der sich nach jeder Mahlzeit im Mülleimer befindet. Hier vorne steht noch der Stuhl, den Schüler der Zinzendorfschulen im Rahmen des Projektes „Reduce“ gestaltet haben. Alles Abfall, gefunden in Königsfeld.
Bei dem Vortrag letzten Dienstag machte der Referent eine Änderung unser Wachstums- und Wegwerfgesellschaft dringend. Wir sind nachlässig geworden in den letzten Jahren. Ein Beispiel: Wir sammeln zwar fleißig Altpapier, aber die Verwendung von Recyclingpapier ist zurückgegangen in den letzten Jahrzehnten. Auch ich habe nicht mehr so drauf geschaut. Warum eigentlich?
Heinrich Bedford-Strohm schreibt:
Wenn wir auf dieser Basis den gegenwärtigen Ressourcenverbrauch hochrechnen würden, bräuchten wir im Jahr 2030 eine weitere Erde. Die haben wir aber nicht. Also müssen wir unsere Wirtschaft so umbauen, dass langfristig alle Menschen auf dieser Erde in Würde leben können und wir trotzdem unsere Erde nicht zerstören. Die Kirchen müssen daher gegenwärtig alle Anstrengungen der Politik unterstützen, um die Energiewende voranzutreiben und unsere Wirtschaft auf ökologisch verträgliche regenerative Energiequellen umzustellen. Meine Vision für unser Land ist ein neues ökologisches Wirtschaftswunder, durch das wir der Welt zeigen können, dass gutes Leben und Achtung gegenüber der Natur sich nicht ausschließen, sondern einander bedingen!
Exkurs: Gott macht keinen Müll
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen.
Nichts verworfen: im Lateinischen heißt das Wort verwerfen „deponere“. Nichts für die Deponie. Gott macht keinen Müll. Das gibt zu denken. Kein Leben ist für den Müll, kein ungeborenes, keines mit Handikap, keine krankes, kein altes Leben. Kein Leben in der Natur ist für den Müll. Das zwingt uns zu bedachtem und verantwortlichem Umgang mit den Mitgeschöpfen.
Ein Text von Patriarch Bartholomäus: Die Früchte der Welt
Uns wurde aufgetragen, die Früchte der Welt zu kosten, nicht sie zu verschwenden; wir erhielten den Auftrag, für die Welt zu sorgen, nicht sie zu verschleudern. Als Christus die Menschen mit einigen Broten und Fischen auf einem Hügel in Palästina speiste, wies er seine Jünger an: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt!“ (Joh. 6,12). Diese Anweisung sollte in einer Zeit des verschwenderischen Konsums als Vorbild dienen, in der man allein mit dem Abfall der Wohlstandsgesellschaften ganze Bevölkerungen ernähren könnte.
4 Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts hat er verworfen. Wir müssen es nur mit Dankbarkeit von ihm entgegennehmen.
5 Durch Gottes Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas Heiligem.
3. Danken verändert
Das Leben und seine Gaben verändern sich, wenn wir danken.
Die Nudeln auf dem Teller verändern sich. Ohne Danken sind bloße Kohlenhydrate.
Mit Danken werden sie Botschafter:
Das alles passiert mit den Nudeln auf unserem Teller. Eine Auslegerin beschreibt das so:
Im Dank binden wir uns zurück an den Geber, haben ein Gegenüber und merken: Es geht durch unsre Hände, Kochtöpfe und Mägen – kommt aber her von Gott. Es ist Gott, der uns die Hände füllt. Wir sind Empfangende, Beschenkte. Nahrung und Wasser, diese Lebensnotwendigkeiten sind nicht einfach nur so – beziehungslos – in der Welt, um von uns achtlos oder auf raffinierte Weise verbraucht oder gar weggeworfen zu werden. In der Rückbindung im Dank an Gott liegt der Schlüssel zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Schöpfungsgaben. Im Dank stellen wir uns unserer Verantwortung, sorgsam mit Frucht und Tier, mit der Ernte und all ihren Erzeugnissen umzugehen.
(Landesbauernpfarrerin Gabriele Walcher-Quast, Waldenburg-Hohebuch in www.calwer-verlag-stiftung.com)
„Schmeckt das Essen anders, wenn wir vorher beten?“, fragt die fünfjährige Anna nach dem Tischgebet. Ich würde vermuten, die Nudeln schmecken anders, weil sie Teil eines großes Beziehungsgeflechts werden. Wir nehmen die Gaben mit Dankbarkeit entgegen.
„Mit Dankbarkeit“ heißt im Griechischen: Meta eucharistias.
Sonderbar, dass mit diesem Wort nun noch eine weitere Karte auf unseren Tisch fällt. Das Abendmahl wird Eucharistie genannt, die Danksagung. In den Dank dieses Tages sind nicht nur die irdischen Gaben eingeschlossen, sondern auch die himmlischen Gaben, das Brot des Lebens, des Lebens, das über dieses Leben hinaus reicht, der Kelch des Heils.
Dass das Leben heil wird, ist vielleicht gar keine Möglichkeit dieses Lebens. Manches bleibt halb, abgebrochen, schmerzhaft, ärgerlich. Den Kelch des Heils nehmen wir in der Zuversicht, dass mit Jesus noch mehr möglich ist, als wir hier schmecken und sehen.
Es ist nicht alles gut.
Manches kann man nicht gut nennen oder machen; Man kann es nur aushalten und damit umgehen. Es ist auch nicht alles schlecht. Das Danken und die Beziehungen, die im Danken entstehen, verändert vieles.
Die vielen Fragen, das Durcheinander der Karten, die heute auf unseren Tisch gefallen sind, sollen uns nicht unglücklich machen.
Jesus sagt: Selig sind die Friedfertigen. Glücklich sind die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Freuen dürfen sich alle, die barmherzig sind.
Es ist die Gemeinschaft mit den Vielen und dem Einen, die uns glücklich macht.
Amen
Christoph Huss, Königsfeld