Wo heute der August-Heissler-Weg verläuft, stand früher die Veilseiche. Vielleicht hat Philipp Veil sie an seinem Lieblingsplatz selbst gepflanzt. Von dem Standpunkt aus sah man den entstehenden Ortskern mit dem Gasthof und daneben durch einen Torbogen verbunden das Veilhaus.
Gemälde um 1811
Der Kaufmann Philipp Heinrich Veil (1748 – 1828).
Das zweite Haus am Platz war seins: das Veilhaus, Zinzendorfplatz 7a. Man nennt ihn einen Gründer; Königsfeld hat ihm eine Straße gewidmet. Als er im September 1808 nach Königsfeld zog – zunächst in den Gasthof, sein Haus war noch nicht fertig – war er allerdings schon 60 Jahre alt, ein erfahrener und leidgeprüfter Mann.
Schwere Jahre lagen hinter ihm. Seine erste Frau, die junge Erbin des Gasthofes, der seinem Geschäft im heimatlichen Schorndorf gegenüber lag, zeigte bald Anzeichen einer Depression, die sich im Laufe der Jahre verschlimmerte. Die Schilderung in seinem Lebenslauf ist anrührend. „Alle Versuche zu ihrer Belehrung und Aufheiterung blieben fruchtlos, und unsere Lage zwischen Furcht und Hoffnung wurde immer peinlicher (= schmerzlicher).“ Die Geburt der Kinder brachte nur eine kurze Freude, schon bald stellte sich die „trübe Gemütsstimmung“ wieder ein. Die Schwiegereltern Veils nahmen ihre Tochter gegen seinen Willen, aber mit staatlicher Billigung, zu sich. Nach dem Tod der Schwiegermutter erhielt Veil sie wieder in seine „Pflege und Beratung“. Dreizehn schwere Jahr folgten, bis er sich 1802 genötigt sah, sie in einem Irrenhaus in Ludwigsburg unterzubringen. Dort starb sie 1804 im Alter von 54 Jahren.
Ins neue Haus in Königsfeld zog Veil mit seiner zweiten Frau Susanna Louise Keller. Hier war die lang ersehnte Siedlung der Herrnhuter in Württemberg im Entstehen. Hier wollte Veil nun auch selbst wohnen. Er schreibt: „Die liebe Brüdergemeine hatte ich früher als ein aufgestecktes Licht und als ein Kleinod in der Hand des Weltheilandes kennen und schätzen gelernt, mich viel aus ihren Schriften erbaut, im Glauben gestärkt und mich so innig mit ihr im Geist verbunden gefühlt, dass ich in derselben meine Wallfahrt zu beschließen wünschte.“
Zeitlebens hatte Veil die Nähe von Gleichgesinnten gesucht. Trotz eines christlichen Elternhauses fand er diese in seiner Umgebung in Schorndorf nicht. Darum wollte er einen Beruf ergreifen, in dem er herum kam und „Kinder Gottes aufsuchen“ könnte. Er wurde Kaufmann. Doch nicht einmal in Tübingen mit seinem regen geistlichen Leben, wo er die Lehrjahre verbrachte, fand er „das gewünschte wahre Christentum“. Von einer Auswanderung nach Amerika konnte ihn die Familie nur mit Mühe abbringen. Sein Großvater ebnete ihm schließlich den Weg in ein christliches Handelshaus, das in Verbindung mit der Herrnhuter Brüdergemeine stand. Hier fand er seine geistliche Heimat. Das muss um 1770 gewesen sein.
Woher kamen die Verbindungen der Württemberger zu Herrnhut? Schon 1729 gab es erste Kontakte, 1730 verbrachte Friedrich Christoph Oetinger, später einer der prägenden schwäbischen Theologen, einige Monate in Herrnhut und trug die Losungen von Haus zu Haus. Zurück in Tübingen entstanden durch seine begeisterten Berichte Freundeskreise. Herrnhuter bereisten daraufhin Württemberg, mit Billigung der Stuttgarter Kirchenleitung, da sie die vielen sektiererischen Grüppchen zur Kirche zurück zu bringen suchten. Die Gemeinschaft der Kinder Gottes zu stärken war das Anliegen Zinzendorfs bei dieser Arbeit in der Diaspora. Die Kontakte zu Württemberg waren so gut, dass Zinzendorf im Advent 1734 in Tübingen die Gelegenheit wahrnahm, in den geistlichen Stand zu treten und damit einen Kindertraum zu verwirklichen. Der eigens angestellte Diasporaarbeiter Karl Lange stellte 1739/40 die Herrnhuter Arbeit auf feste Beine. Stützpunkte entstanden, Reisebezirke wurden aufgeteilt, mit dem Stuttgarter Bruderrat wurde ein Leitungsorgan geschaffen, das die Kontakte zwischen Mitarbeitern, der württembergischen Kirchenleitung und Herrnhut pflegte.
Das Verhältnis Herrnhuts zu Württemberg blieb nicht ohne Trübungen, Unterschiede zwischen Oetinger und Zinzendorf traten zutage, Bengels Schrift über die Brüdergemeine 1751 verschloss viele Türen. Mit Schuld daran war die überschwängliche, schwärmerische Periode der Brüdergemeine von 1743 – 1750, deren Äußerungen vielerorts Kopfschütteln hervorriefen. Elf Jahre lang ruhte die Diasporaarbeit in Schwaben. Es brauchte Zeit, um das verlorene Vertrauen wieder zu gewinnen. Dazu trugen in Württemberg die verbliebenen Freundeskreise bei, wie etwa der Stuttgarter Kreis um die Familie Roser, die aus Barby Losungsbücher bezog und verteilte.In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurde die Brüdergemeine für Württemberg ein Bundesgenosse im Streit gegen den Rationalismus. Führende Theologen wie Ludwig Hofacker standen mit ihr in Kontakt, Berichte aus der Mission und Schriften von Zinzendorf und seinem Nachfolger Spangenberg wurden herumgeschickt, man traf sich zu Predigerkonferenzen nach Herrnhuter Vorbild.
Es ist von daher nicht verwunderlich, dass Philip Veil in Württemberg auf die Herrnhuter stieß. In dieser Zeit wurde auch der alte Wunsch nach einer Herrnhuter Siedlung in der Nähe wieder lebendig. Veil half, ihn zu erfüllen. 1804 war er zusammen mit dem Diasporaarbeiter Lorenz Nagel auf den Hörnlishof im Schwarzwald gestoßen und hatte den Altvogt Matthias Lehmann aus Mönchweiler, wie er ein Freund der Brüdergemeine, bei dem Erwerb des Hofes unterstützt.
Einmal in Königfeld ansässig, waren seine Erfahrungen und Beziehungen als Kaufmann von großem Nutzen für die neue Gemeinde. Mit Pfarrer Tschirpe arbeitete er die rechtlichen Grundlagen des Gemeinwesens aus, war bei Verhandlungen mit Behörden dabei und half dem Gemeinladen auf die Sprünge. Zu Recht wird er als einer der Gründer Königsfelds bezeichnet.
Hat Veil in Königsfeld das wahre Christentum gefunden, das er gesucht hatte? Fand er die Brüdergemeine, die ihm immer ein „aufgestecktes Licht“ war und in der er seine „Wallfahrt zu beschließen wünschte“? Der Lebenslauf verrät Ernüchterung und eine überraschende – und auch heute noch wertvolle – Erkenntnis: erst als er am ersehnten Ort war, habe er erkannt, dass die Gemeinde „ein Krankenhaus sei und ihre sämtlichen Einwohner täglich und stündlich des himmlischen Arztes bedürfen, dass aller Mängel ungeachtet der Heiland sein Regiment in derselben führt und mit allen ihren Mitgliedern seinen seligen Zweck erreicht …“.
Christoph Huss (Dachreiter 2016-2)