Predigt am 12.11.2023, drittletzter Sonntag im Kirchenjahr
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Gnade sei mit euch und Friede durch unseren Herrn Jesus Christus Amen.
Liebe Gemeinde!
„Die ganze Schöpfung wartet doch sehnsüchtig darauf, dass Gott die Herrlichkeit seiner Kinder offenbart.“ So steht es in der Predigttext für heute. Die Kreatur, die Schöpfung, die Tiere auf dem Feld oder im Wald, die Vögel unter dem Himmel, die Fische im Meer, und eigentlich ja auch die Pflanzen, stellt Paulus mit seinen Worten nahezu auf die gleiche Stufe wie uns Menschen.
In gewisser Weise hat er damit auch Recht, nur fällt es uns etwas leichter, wenn wir es anders herum sehen: auch wir sind Gottes Geschöpfe, auch wir unterliegen einem Gesetz, das alle Geschöpfe betrifft: dem Gesetz der Vergänglichkeit. Paulus spricht sogar von der Knechtschaft der Vergänglichkeit. Das wir vergänglich sind, ist uns Menschen ja eine große Last. Und ob uns tatsächlich so viel von den anderen Geschöpfen – wenigstens den Tieren – unterscheidet, scheint manchmal schon zweifelhaft.
Johann Wolfgang von Goethe. Das war ein schlaues Haus. Für seine Frömmigkeit war er eher nicht bekannt. Aber zu der Frage, was es heiß, Mensch zu sein, hat er ziemlich viel gesagt. Zum Beispiel: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.
Also, der Mensch sei edel, hilfreich und gut. Andere Lebewesen seien es aber eher nicht. Natürlich würden wir sagen, „nicht immer“. Und so ist es. Denn es gibt die Kleinigkeit der Sünde, die uns Menschen davon abhalten immer edel, hilfreich und gut zu sein. Die Wörter hilfreich und gut verstehen wir auf Anhieb. Was bedeutet aber edel? Oder was meinte Goethe, wenn er schreibt, dass der Mensch edel sei? Es geht ihm nicht um das Aussehen oder Ausstrahlung. So wie bei einem Edelstein.
Goethe meinte mehr als bloß das Erscheinungsbild. Für ihn ging es um eine innere Haltung, um den Edelmut – auch ein altmodisches Wort, das man kaum noch hört. Ich liebe aber alte Wörter. Edelmut ist so etwas wie Großzügigkeit und Wohltätigkeit. Menschen, die im Wohlstand leben, behalten diesen Wohlstand nicht für sich, sondern teilen ihn mit bedürftigen Menschen. Man ist auch bereit, Opfer zu bringen. Das ist Edelmut. Dazu passen auch die anderen Attribute, die Goethe dem Menschen beimisst: hilfreich und gut. Bei diesen Charakterzügen muss man auch gar nicht wohlhabend sein. Auch arme Menschen können anderen helfen, und gut sein können ja alle.
Das also unterscheidet uns von allen anderen Wesen, die wir kennen – von der Kreatur, wie Paulus sie nennt. Nur, das ist nicht automatisch der Fall. Interessanterweise verstand Goethe das auch. Blauäugig war er nicht. Er war ein guter Beobachter. Deswegen formuliert er seine Aussage über die Beschaffenheit des Menschen als eine Forderung, oder nur als Wunsch. Er sagt nicht, dass der Mensch edel, hilfreich und gut ist, sondern dass er es sei. Er weiß also sehr wohl, dass wir Menschen immer wieder unsere Bestimmung verfehlen.
Das war sicher auch Paulus bewusst. Vielleicht stellt er deswegen den Mensch und andere Kreaturen der Schöpfung gewissermaßen auf eine Stufe. Denn so viel besser als die anderen Kreaturen der Schöpfung sind wir häufig doch nicht. Wir sind zwar zu Besserem fähig, aber das Gesetz des Dschungels, dass der Stärkere sich durchsetzt, ist uns gerade heute nicht fremd. Siehe die Ukraine, Israel und Palästina. Dazu kommt, dass uns die Vergänglichkeit genauso wie den übrigen Geschöpfen im Nacken sitzt. Mit dem Unterschied, dass unsere Vergänglichkeit uns Menschen sehr bewusst ist. Wir nehmen unsere Vergänglichkeit intensiv war und sind bereit alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu entkommen oder mindestens so weit in die Zukunft wie möglich, zu verschieben. Sterben will keiner.
Wir klammern Alter und Tod nur allzu gerne aus unserem Leben aus. Wir vergöttern das Jung-Sein. Das Leben soll nicht enden, dafür hat es zu viel zu bieten. Wir planen in eine Zukunft, die noch gar nicht existiert und für den ein oder anderen vielleicht auch nie existieren wird. Wir tun dies, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass der Tod uns fest im Griff hat, dass er uns eine deutliche Grenze setzt.
Deswegen ist unsere Hoffnung auf das Diesseits gerichtet. Wir wollen in diesem Leben vollkommen werden. Die Lebenserwartung steigt stetig. Wir achten auf unsere Ernährung, wir rennen bei jedem Juckreiz zum Arzt. Und vier versuchen unsere Umwelt so zu gestalten, dass es uns gut geht. Wir wollen so lange wie möglich, am liebsten bis zum letzten Atemzug, gesundbleiben und dann Tod umfallen. Und vom eigenen Tod möglichst nichts mitkriegen.
Aber was ist, wenn das nicht klappt? Was, wenn sich schon früh eine Krankheit einstellt, die das Leben schwer macht, die vielleicht sogar dazu führt, dass man jahrelang auf fremde Hilfe angewiesen ist? Die meisten wünschen sich solch einen Zustand nicht, und dafür haben wir auch eine Lösung gefunden: die Patientenverfügung. Die Patientenverfügung will ich übrigens gar nicht schlecht reden. Sie ist eine gute Sache. Irgendwann sollten wir als Gemeinde ein kleines Treff abhalten, wo wir über die Patientenverfügung informieren.
Dennoch, wir werden alle irgendwann sterben.
Mehr als 70, 80, evtl. 90 und ganz ganz selten 100 Jahre schaffen wir nicht. Und die meisten von uns, werden nicht in irgendwelchen Geschichtsbüchern auftauchen. Das bedeutet, dass 50 oder sagen wir spätestens 100 Jahre nach unserem Tod sich niemand mehr erinnern wird an das, was unser Leben ausgemacht, was es geprägt und geformt hat. Auch unsere Gräber sind dann längst schon verschwunden bzw. werden nicht mehr von Menschen, die uns kannten und liebten, besucht werden.
Sie denken vielleicht, Bruder MacDonald ist ja sehr pessimistisch heute. Warum so negativ?
Liebe Gemeinde, so sieht es aus, wenn wir unser Leben ganz vom Diesseits, von unser Vergänglichkeit, vom Tod bestimmen lassen. Es ist nicht schön. Aber: unser lieber Paulus spricht auch von einer Hoffnung – aber keiner, die in irgendeiner Weise mit dem Diesseits zu tun hätte. Seine Hoffnung richtet sich auf die Gabe Gottes, dass wir seine Kinder sind durch Jesus Christus. Seine wirkliche Kinder!
Und wenn wir seine Kinder sind, dann ist mehr da als als nur das Diesseits. Denn Gott ist der Erhabene, der Ewige, der keinen Anfang und kein Ende kennt, der selbst der Anfang des Universums ist und das Ende, der alles in sich birgt, selbst die Zeit. Heiliger Strohsack! Wir sind seine Kinder? Kinder des Schöpfergotts? Das relativiert unser Leben im Diesseits gewaltig. Denn es geht doch weiter!
Die Offenbarung des Johannes spricht vom Buch des Lebens, in dem die Namen jedes dieser Kinder Gottes eingetragen ist. Und noch mehr: dort ist festgehalten, was unser Leben ausmacht, wodurch es geprägt und geformt wurde. Dort sind unsere Taten verzeichnet, gute wie böse. Ja, auch die bösen Tagen stehen drin. Wenn man nur das Buch in die Hand kriegen könnte und einen Radiergummi hätte!
Ja, alles steht drin. Das Gute wie das Böse. Aber wir wissen, wir sind durch das Blut unseres Herrn Jesus Christus gerettet, wir sind frei geworden von aller Schuld, die wir auf uns geladen haben, und wir dürfen auf die Liebe Gottes vertrauen, in der wir geborgen sind, auch und gerade über den Tod hinaus.
Und nun kommen wir zu der Kernaussage des Predigttextes: Die Hoffnung. Es ist die Hoffnung, die wir in uns tragen, dass die Herrlichkeit Gottes an uns und damit auch durch uns offenbar wird. Stellen wir uns vor: In einem Ort leben Menschen, so wie wir. Es gibt Reiche und Arme, Angesehene und Unscheinbare. Es gibt Kranke und Sterbende genauso wie Gesunde.
In diesem Ort gibt es einen Bahnhof, der seit Jahren stillgelegt ist. Kein Zug hat dort mehr angehalten, die ganze Strecke ist tot, die Schienen sind überwuchert von Pflanzen, sogar Bäume haben sich schon darauf angesiedelt. Und da kommt plötzlich einer her und sagt: ich habe gehört, dass ein Zug an unserem Bahnhof halten soll. Er wird alle mitnehmen, die auf ihn warten – und er fährt an einen wunderbaren Ort, an dem es kein Leid mehr gibt, keine Tränen, keinen Neid, keine Trauer, keine Angst. Und so weiter.
Die meisten, die diese Nachricht hören, werden sie nicht glauben und einfach weitergehen. Manche werden anfangen zu argumentieren: wie soll das gehen? Da stehen schon Bäume auf den Schienen! Da kann doch kein Zug mehr fahren! Und so weiter. (Die menschliche Vernunft)
Einige aber werden sich aufmachen zum Bahnhof. Sie werden sehen, dass nichts auf der Anzeigetafel, die ja auch längst zerstört ist, angezeigt wird. Die Uhr steht schon lange still. Die Bänke, auf die man sich früher gesessen hat, wenn man auf einen Zug wartete, sind längst kaputt. Die Schienen sind verrostet, die Scheiben am Bahnhofsgebäude eingeschlagen. Nichts rührt sich. Es hat etwas Gespenstisches. Etwas Unheimliches. Und doch bleiben diese wenigen Menschen, denn sie vertrauen dem, was sie gehört haben. Sie sprechen es sich immer wieder zu: der Zug wird kommen. Denn es ist uns gesagt. Und so warten sie, manchmal auch weinen sie, weil sich so lange schon nichts verändert hat. Aber sie bleiben, denn sie stärken sich gegenseitig, machen sich Mut, trösten einander.
Liebe Gemeinde: Das ist Glaube, das ist die Hoffnung, von der Paulus redet. Ein Hoffnung, die völlig gegen das Offensichtliche Bestand hat und trägt.
Die meisten Menschen glauben nur das, was sie sehen können, oder „wissenschaftlich“ zu beweisen ist. Da verwechseln sie etwas. Ein solcher Glaube ist ja kein Glaube, sondern Wissen. Glaube ist etwas anderes. Im Hebräerbrief steht es so: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ (Hebr. 11, 1) Es gibt keinen Beweis für das, was wir glauben. Eher im Gegenteil: alles spricht dagegen. Glaube hält für wahr, was nicht gesehen werden kann. Nicht in diesem Leben, nicht in dieser Welt.
Glaube verbindet Vergangenheit und Zukunft über die Gegenwart hinweg. Das, woran wir glauben wird eines Tages offenbar werden. Es begründet sich in dem, was andere Menschen vor uns erfahren haben, und auch in dem, was wir selbst erfahren haben. Gott wird kommen. Mit ihm wird seine Herrlichkeit an uns offenbar werden. Das ist also die Hoffnung, von der Paulus redet. Es braucht Geduld, um die Erfüllung dieser Hoffnung erleben zu können.
Geduld, die von den Worten unseres Herrn genährt wird, die wir am Ende unserer Bibel finden: „Ja, ich komme bald.“ Und wir antworten: „Amen, ja, komm, Herr Jesus!“ (Offb. 22, 20)
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gerald MacDonald
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