Die Freiheit zum Aufräumen
28.02.2021 (Reminiscere),
Predigttext: Jesaja 5, 1-7
Lesung: Römer 5, 1-11 Basis-Bibel
28.02.2021 (Reminiscere),
Predigttext: Jesaja 5, 1-7
Lesung: Römer 5, 1-11 Basis-Bibel
Einleitung
Liebe Schwestern und Brüder,
das war eine schöne Woche mit dem warmen Wetter draußen. Da konnte man sich auf der Strasse zu einem Gespräch stehenbleiben und man konnte den Garten aufräumen. Auf einem Teil unserer Wiese hinter dem Kirchensaal lagen zentimeterhoch die Schuppen von den Zapfen der beiden großen Nordmannstannen, mit jede Menge Tannennadeln und Birkenblättern. Die Frühlingskrokusse und Schneeglöckchen kamen kaum durch. Da konnte ich mich letzte Woche bei dem schönen Wetter an die Arbeit machen. An die 20 Schubkarren habe ich den Hausmeistern auf ihren Anhänger gekippt. Nun kann man wieder die Wiese sehen.
Aufräumen im Garten ist gut, damit das Grün und die Blumen sich entfalten können.
Ein paar unaufgeräumte Ecken bleiben; die braucht es auch. Ich bin mal gespannt, ob auf der Insektenwiese, die wir beim Gemeindefest vor zwei Jahren eingesät haben, etwas wiederkommt von den Blumen. Denn das ist natürlich schade, wenn man sich umsonst Mühe gibt.
1. Das Weinbergslied
Von solcher vergeblicher Mühe handelt der heutige Predigttext. Es ist das Weinbergslied in Jesaja 5, 1-7 ein bekanntes Stück alter orientalischer Dichtung. Man könnte sich vorstellen, dass der Prophet sich am Rande eines Festes aufgestellt hat und das Lied vortrug. Es könnte das Weinlesefest gewesen sein. Versetzen wir uns in die Hörer hinein.
Es ist was los in der Stadt. Fröhliche Ausgelassenheit herrscht. Es geht uns gut, denn die Wirtschaft boomt und man kann sich etwas leisten. Schau: am Straßenrand steht ein junger Mann. Er möchte offensichtlich die Passanten mit einem Lied zu erfreuen. Er singt ein Lied von einem Weinberg. Hören wir die ersten beiden Verse:
1 Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.
O, dass könnte sogar ein Liebeslied werden, vielleicht meint er mit dem Weinberg in Wirklichkeit eine Geliebte. Denn Weinberge sind ein beliebter Ort für heimliche Treffen von Liebespaaren und die Trauben sind eine beliebte Metapher für die Rundungen einer Frau. Im Hohelied kann man das immer wieder lesen.
Hören wir weiter:
2 Und er grub den Weinberg um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; … aber er brachte schlechte.
O schade, das wird anscheinend ein trauriges Lied. Er erzählt eine traurige Geschichte von einem, der anscheinend keine so gute Ernte hatte. Aber das kann passieren. Man müht sich, kultiviert den Boden, pflanzt und macht und doch bleibt die Mühe vergeblich. Es wachsen keine guten Trauben. Nun ruft der Sänger auf zu einem Urteil, das die Zuhörer zwischen seinem Freund und dessen Weinberg sprechen sollen. Das ist wieder lustig:
3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!
4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
Die Leute machen sich beim Zuhören so ihre Gedanken. Ein Urteilsspruch zwischen einem Weinberg und dessen Besitzer? Oder geht es doch um einen Mann und eine Frau. Das Lied von den vergeblich gesuchten Trauben handelte vielleicht eigentlich von einer beschmähten Liebe. Wie wird es wohl weitergehen?
5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.
6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
O, nun ist das Lied nicht mehr lustig. Es klingt eher hart und verbittert. Der Besitzer des Weinberges muss sehr enttäuscht sein. Geht es nun um einen Weinberg oder um eine enttäuschte Liebe?
Nun legt der Sänger in der letzten Strophe offen, wovon er spricht:
7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.
Also kein Liebeslied, keine harmlose Ballade, sondern …: Gott klagt sein Volk an. Das Lied handelt von Gottes enttäuschter Liebe. Der junge Sänger entpuppt sich ist ein Mann Gottes, ein Prophet.
Das ist ein böses Erwachen für die Umstehenden. Der anklagende Finger zeigt auf sie selbst. Der Prophet fragt: was ist aus Gottes Fürsorge für Euch geworden. Er hat Euch das Leben geschenkt, euch Raum zum Leben gegeben, hat Euch aus der Sklaverei befreit und in ein fruchtbares Land geführt. Er war Euch nahe, mit seinem Segen, mit seinen weisenden Worten. Es geht euch gut.
Und nun: Rechtsbruch statt Rechtsspruch, Schlechtigkeit statt Gerechtigkeit. Diesen Vorwurf fanden die Leute damals wohl nicht lustig.
2. Der anklagende Finger
Wo zeigt der anklagende Finger heute hin? Das Weinbergslied hat eine unheilvolle Wirkungsgeschichte hinter sich. Ich zeige Ihnen ein Bild von 1569 von Lucas Cranachs. Er war ein enger Freund von Martin Luther. Der Gemälde heißt „Luther im Weinberg“. Auf dem Weinberg des Herrn, der durch einen Graben geteilt ist, wüten links die Katholiken wie die Narren: Sie werfen die abgehauenen Weinstöcke ins Feuer, schütten Steine in den Brunnen und ruinieren den Boden durch allerlei andere Tollheiten. Auf der protestantischen Seite dagegen harkt der in der Bildmitte platzierte Reformator das Unkraut, während seine Anhänger brav jäten, gießen, zupfen, pfropfen und binden – auf dass der Garten gedeihe und blühe. Der anklagende Finger weist nach diesem reformatorischen Gemälde also zu den Katholiken.
Ähnlich unheilvolle Deutungen gab es zwischen Christen und Juden. Im neuen Testament gibt es einen ähnlichen Abschnitt, das Weinbergsgleichnis, bei dem die Pächter den Erbe des Weinbergs umbringen.
Für viele Generationen war klar: Die Juden haben den Heiland umgebracht, nun werden sie gestraft. Die Christen erben den Weinberg und das Heil Gottes. Eine falsche und unheilvolle Deutung, wie wir heute wissen.
Wir Menschen mögen es einfach nicht, wenn der anklagende Finger auf uns zeigt. Schnell suchen wir einen, dem die Schuld zugeschoben werden kann. Es gibt doch sicher einen, der mehr Dreck am Stecken hat. Das „Geschrei über Schlechtigkeit“, wer erliegt nicht Versuchung, in dieses Geschrei einzustimmen? Man kann sich heute etwa empören über Impfdrängler und Maskenbetrüger.
(Man hat versucht, das hebräische Wortspiel poetisch nachzuahmen: Mischpat – Rechtspruch, Mischpach – Rechtsbruch, Zedaqah – Gerechtigkeit, Za’aqah – Geschrei über Schlechtigkeit. Das Wort Za’aqah bedeutet: Schreien, Lärmen. Es kann sowohl das Hilferufen der Notleidenden, als auch das Empörungsgeschrei der Rechtschaffenen gemeint sein.)
Es ist sicher eine Aufgabe, Unrecht bei anderen aufzudecken. Aber die Absicht des Weinbergliedes ist doch wohl nicht, bei anderen das Unrecht und das Geschrei über Schlechtigkeit zu suchen, sondern bei uns selbst zu schauen. Das ist alte Geschichte mit dem Splitter im Auge des anderen und dem Balken im eigenen.
Ich weiß nicht, ob sie sich an einer Fastenaktion beteiligen. In der Fastenaktion für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit ging es letzte Woche um das Wasser. Weltweit wird sauberes Wasser knapper. Man sollte schätzen, wie viel Wasser etwa verbraucht wird, bis ein Kilo Tomaten bei uns in der Küche liegen.
Ein großer Teil der importierten Tomaten wird mithilfe künstlicher Bewässerungssysteme im wasserarmen Süden Spaniens angebaut. Geschätzt 200 l Wasser werden verbraucht für ein Kilo Tomaten. Noch erschreckender ist das bei einem Liter Milch. Berechnet man den Wasserbedarf für die Futterpflanzen, für die Kuh selbst, für den landwirtschaftlichen Betrieb und die Weiterverarbeitung der Milch, kommt man auf 1.000 l Wasser für einen Liter Milch.
Bbei allem, was wir konsumieren, sind wir mehr oder weniger Teil eines Systems, das Raubbau betreibt an der Natur, das Ressourcen verbraucht, die anderen Ländern und künftigen Generationen fehlen. Als Bewohner eines reichen Landes entkommen wir dem nicht.
An der Stelle könnten wir nun aufgeben, die Flinte ins Korn werfen und sagen, es bringt sowie nichts, ich hör mir das nicht länger an. Wir können das machen, aber wir müssen und sollten es nicht. Wie aber entkommen wir der Lähmung und der Resignation?
3. Der Freiraum
Das Weinbergslied beginnt mit der Beschreibung des Bemühens des Weingärtners. Gott als der Weinbesitzer bemüht sich immer wieder und immer noch, zu graben und zu entsteinen und gute Reben zu pflanzen. Der heutige Wochenspruch weist uns auf ein solches Bemühen.
„Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Römer 5,8)
Damit wir unter unserer Schuld und Ohnmacht nicht erdrückt werden und resignieren, erweist Gott uns seine Liebe in Jesus. Der nimmt die Schuld auf sich. … Und nun sind wir frei, zu atmen und … die Spielräume zu nutzen, sie wir sehr wohl haben. Dieses Pandemiejahr hat gezeigt, wie viel auch anders geht. Auch im Bezug auf den Verbrauch der Ressourcen dieser Welt geht vieles anders. Wir können es ausprobieren. Und müssen es auch.
So trennen uns am Ende keine Schuld und kein Zeigefinger von Gottes liebevollem Bemühen. Stattdessen sind wir hineingenommen in den Schmerz über Unrecht und Geschrei und in das Bemühen, es anders, besser zu machen. Gottes Liebe ist wie der Sonnenschein, der uns hinauslockt, um einander zu begegnen, um Unrat zu beseitigen und Wachsen und Blühen zu fördern.
Amen
Christoph Huss