Predigt 08.01.2023, 1. Sonntag nach Epiphanias
Johannes 1, 29-34
Diese Predigt zum Ausdrucken
Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er offenbar werde für Israel, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte es und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
Liebe Gemeinde,
diese Woche haben wir das »Erscheinungsfest« gefeiert, denn Epiphanias heißt Erscheinung. Nicht, weil da die Heiligen Drei Könige oder die drei Weisen erschienen wären, sondern es geht um die Erscheinung Christi, unseren Retter. In der frühen Kirche hat man die »Weihnachten« gefeiert, bevor dann die Feier der Geburt Christi einen eigenen Tag bekam.
Mit dem heutigen Sonntag beginnt also die Epiphaniaszeit, die bis zum Beginn der Passionszeit reicht. In dieser Zeit sollten wir bedenken, was es heißt, dass uns der Retter erschienen ist, dass er sich uns gezeigt hat. Die Erscheinung Christi, die mit der Geburt Jesu anfing, ist auch sein Kommen zu den Menschen in seinem Volk Israel und darüber hinaus. Zu uns. Ja, liebe Gemeinde, zu uns ist Christus gekommen, wir haben von ihm gehört, wir haben seine Botschaft vernommen, und nun gehören wir zu ihm – Gott sei Dank!
Aber wie kann das eigentlich geschehen? Wie kommt Christus zu uns, und wie erkennen wir ihn als unseren Retter? Das sieht man ihm ja nicht einfach von außen an; und nicht jeder, der sich präsentiert und sagt: »Ich bin dein Freund, dein Helfer«, meint es auch gut. Da kann man sich täuschen oder getäuscht werden. Und viele Menschen sind gegenüber den Heilsversprechungen, die ihnen überall gemacht werden, mit Recht misstrauisch. Wie also erscheint Christus, woran können wir ihn erkennen?
Der heutige Predigttext erzählt dazu eine merkwürdige Geschichte des Anfangs. Es erzählt wie Jesus – als Erwachsener – zum ersten Mal zu Johannes dem Täufer kam, und wie dieser ihn erkannte. Die Geschichte steht im Johannesevangelium, in dem vieles anders und in tieferem Licht erzählt wird als in den anderen Evangelien. Im Johannesevangelium ist Johannes der Täufer nicht nur der Bußprediger in unbequemen Klamotten. Nein, hier ist er Zeuge und der erste Glaubende. Und so ist er der Wegbereiter auch für uns. Er präsentiert Jesus als das Lamm Gottes – obwohl da die Passion noch weit weg ist. Und dann erzählt er »seine Geschichte«.
Ich kannte ihn nicht, sagt er. Wobei das griechische Wort genauso gut mit „erkennen“ übersetzt werden kann. Dieser Jesus war dem Täufer unbekannt, bzw. er erkannte ihn nicht als der Retter. Er erkannte ihn nicht als der, der er eigentlich war. Selbst wenn sie Cousins waren, hatte Johannes Jesus bisher nicht als der Retter Israels erkannt. Er war bloß sein Cousin. Für Johannes den Täufer, den Propheten am Jordan, war Jesus der Retter unbekannt. Und doch hatte Johannes einen Auftrag von Gott. Er sollte Israel den verheißenen und erwarteten Retter bekanntmachen.
Aber wie sollte er ihn erkennen? Dieser Jesus trat erst unscheinbar auf, nicht mit einem Namensschild, auf dem stand: »Ich bin es«, oder mit einer besonderen Aura. Nein, sein Kommen war unscheinbar und verborgen – wie in der Geschichte vom Kind in der Krippe – so tritt Jesus auf. Aber Gott hatte dem Propheten Johannes ein Erkennungszeichen mitgeteilt: »Wenn du siehst, dass auf einen der Geist herabkommt, wie eine Taube und auf ihm bleibt, der ist es.« Und so kam es: Als Jesus zum Täufer kommt, um sich, wie viele andere auch, dem Ritus der Bußtaufe zu unterziehen, da sieht Johannes den Geist Gottes wie eine Taube auf ihn herabkommen und auf ihm bleiben.
Das ist ein sehr schönes Bild. Einen Geist sieht man bekanntlich nicht, auch nicht den Geist Gottes. Dass der Geist Gottes auf Jesus wie eine Taube sich niederlässt sagt einiges aus. „Wie eine Taube“ ist ein Bild für Sanftheit und Zerbrechlichkeit. Es ist kein Bild von Macht und Gewalt. So ist der Geist auf Jesus herabgekommen, und so bleibt er auf ihm. Und der Täufer sieht es – wohl eher vor seinen inneren Augen.
Also, das Erkennungszeichen, das ihm genannt worden war, hat sich für ihn ereignet. Er erkennt und wird gewiss: Dieser muss es sein. Diesen kann ich bezeugen und bekanntmachen. Hier ist – genau wie bei der Geburt Jesus – nicht von einem großen öffentlichen Ereignis die Rede. Und die beiden Männer reden kein Wort miteinander. Jesus geht weiter. Er entfernt sich. Und Johannes ist sich gewiss: Dieser ist es, dieser ist das Lamm Gottes, Gottes Auserwählter. Und am nächsten Tag gibt er diese Erkenntnis zweien seiner Schüler weiter, und die verlassen ihn und laufen Jesus nach. Diese Tatsache, liebe Gemeinde, nämlich die Tatsache, dass Johannes‘ Jünger ihn verlassen und Jesus nachlaufen verdient eine eigene Predigt. Wer will seine Anhänger an einen anderen verlieren? Wer gibt sie freiwillig her? Nur jemand, der erkennt (wieder das Verb erkennen), dass der andere besser, größer, verdienstvoller ist, als sich selbst. So beginnt der Glaube, so beginnt die Kirche nach dem Johannesevangelium. Ein paar Anhänger Johannes des Täufers laufen Jesus nach und werden seine Anhänger.
Und nun die Frage: Wie ist eigentlich Jesus uns »erschienen«, Wie erschien er mir? Wie erschien er Dir? Wie kann er uns erscheinen und uns zur Gewissheit bringen, dass er derjenige ist: Unser Retter, unser Helfer, unser Heiland? Wir sind nicht Propheten wie Johannes, mit denen Gott irgendwie direkt kommuniziert. Mindestens bin ich es nicht. Wir können Jesus auch nicht mehr physisch begegnen, denn wir leben zweitausend Jahre nach ihm. Und wenn er uns begegnete, würde er wohl kaum unseren Erwartungen entsprechen.
Wir sind auf andere Wege angewiesen, Jesus zu begegnen: auf die Geschichten, die von ihm erzählen, auf Menschen, die uns den Glauben nahegebracht haben, und auf den Geist, der uns diese Geschichten und vor allem Jesus selbst nahebringt. Und die Tatsache, dass wir hier im Gottesdienst sitzen, dass wir von diesem Jesus und von seinem Wort etwas erwarten, zeigt, dass sich da etwas ereignet hat. In jeden von uns.
Wie ist uns Jesus nahegebracht worden? Durch eine Großmutter, die biblische Geschichten las und vorlas? Durch gute Erfahrungen in der Gemeinde oder in der Jugend? Durch Erfahrungen von Hilfe und Trost in einer schweren Zeit?
Bei vielen sind es die kleinen Ereignisse, die zu einer immer wachsenden Erkenntnis von Jesus führen. Und hinter alledem ist der Heilige Geist, der uns in unserer Taufe zugesagt wurde und der in uns wohnt und wirkt. Es ist der Heilige Geist, der uns Jesus nahebringt. Aber was ist das für ein Geist? Hier in unserer Geschichte erscheint er nicht mit großer Wucht, wie man es vom Gottes Geist erwarten könnte. Nein, es sind die sanften Bewegungen eines Flügelschlags wie eine Taube, die hier das Zeichen sind, dass Gott seinen Sohn gesandt hat zum Retter, zuerst in Israel und dann der ganzen Welt.
Das ist nicht wie wir uns das Kommen vom Gottes Geist vorstellen würden. Wir lassen uns von Großem beeindrucken, von Macht und Reichtum, von großer Inszenierung und außergewöhnlichen Erfolgen. Wie in einem Hollywood-Film oder in den Illustrierten. Die Reichsten sind unsere Idole. Wir jubeln den Siegern zu und hoffen, dass etwas von ihrem Erfolg auf uns abfällt. Aber wir sind am Ende oft die Betrogenen, weil diese Helden nur für sich kämpfen und nicht an ihre Gefolgschaft denken, wenn die ihnen nicht mehr nützt. So sind die messianischen Figuren, die Prominente dieser Welt, die Stars, die Führer und Lichtgestalten. Der Geist, der auf Jesus ruht, der Geist, der von ihm zeugt, ist völlig anders.
Es ist ein Geist der sanften Töne, ein Geist des Lebens, der Leben spendet und Leben fördert, ein Geist des Zuhörens und Zusprechens. Er ist nicht ein Geist der Machtausübung, der Angst erzeugt und Menschen von sich abhängig macht, sondern ein Geist der Freiheit, der Freiheit schenkt und zur Liebe befähigt. Wo Menschen das erfahren – in der Kirche und vielleicht auch außerhalb –, da ist der Geist des Messias, der Geist Jesu Christi am Werk. Denn Jesus ist das Lamm Gottes, wie es im Zeugnis Johannes des Täufers heißt. Und damit haben wir noch einmal ein Kontrastbild zu den Mächtigen, den Stars und den Heilsgestalten unserer Welt. Diese fordern Opfer und machen ihre Gegner und Konkurrenten klein. Jesus Christus wird selbst zum Opfer, er trägt selbst die Last dieser Welt weg, damit wir leben können.
Als das Lamm Gottes ist Jesus Christus das Kontrastprogramm zu den Herrschenden der Welt, das Kontrastprogramm zu den Ideologen, die Gefolgschaft fordern, auch zu denen, die Religion in diesem Sinne missbrauchen. Das Lamm gibt sich selbst für andere preis. Als Lamm wird Christus freiwillig schwach und wehrlos, gibt sich selbst für uns hin. Er tritt an unsere Stelle und nimmt auf sich die Lasten und Belastungen dieser Welt, und trägt sie weg. Als Lamm dient er, anstatt sich dienen zu lassen. Gerade so stellt er die Mächte dieser Welt in Frage, die Opfer und Gefolgschaft fordern, gerade so eröffnet er uns einen neuen Raum zum Leben.
Das ist der Messias, der von Gott Rettung bringt aus den Bedrängnissen und Leiden dieser Welt. Dieser Messias ist heilsam anders – heilsam anders als unsere Erwartungen und Erfahrungen. Sanftmütig und demütig, so dass unser Leben bei ihm und durch ihn zur Ruhe finden kann. Das hat Jesus in seinem Wirken gezeigt und zuletzt in seinem Weg ans Kreuz. Da begegnet er anders als Pilatus und Herodes – oder wie auch immer die Mächtigen heißen – als der wahre König, der vom Kreuz aus, sein Reich aufrichtet und uns leitet, wenn wir seine Stimme hören.
Wie erscheint Jesus? Wie erscheint er uns? Wie können wir ihn wahrnehmen? Wo immer wir diese Stimme des wahren Königs hören, erreicht uns ein Ruf der Freiheit, ein Hauch von Leichtigkeit und Sanftmut, ein Ton der Zartheit und Behutsamkeit. Da kann Vergebung sich ausbreiten und Leben wachsen. Da können wir am Ende auch sagen: Das Leben ist erschienen – nicht nur damals, an Weihnachten oder bei Johannes am Jordan, sondern auch bei und unter uns.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
Gerald MacDonald
KONTAKT
Ev. Kirchengemeinde
Zinzendorfplatz 3
78126 Königsfeld im Schwarzwald
Telefon: 07725 9382-0
E-Mail: gemeindebuero@koenigsfeld.org