Zuwarten oder einschreiten
31.12.2021 (Jahresschluss),
Mt 13, 24-30
31.12.2021 (Jahresschluss),
Mt 13, 24-30
Liebe Schwestern und Brüder!
Stellen wir uns vor, das zu Ende gehende Jahr läge wie ein Acker vor uns.
Wir haben uns bemüht in den letzten zwölf Monaten, Gutes und Nützliches in diesen Acker zu sähen. Jede von uns hat versucht, den Kopf oben zu behalten und sich nicht unter kriegen zu lassen von Einschränkungen und Unwägbarkeiten.
Wir haben uns bemüht, das Beste aus unserer Situation in der Pandemie zu machen. Schüler und Lehrerinnen haben versucht, möglichst viel normale Schule zu machen. In der Gemeinde haben wir uns bemüht, einen klaren Kopf zu behalten und das an Gottesdienst und Gemeindeleben zu gestalten, was möglich war. So waren alle bemüht, Gutes zu sähen auf den Acker des Jahres 2021.
Nun sehen wir den Acker. Wir sehen, dass alles Mögliche darauf wächst. Was werden wir am Ende ernten? Wird sich wieder ein normales soziales Leben entwickeln. Werden am Ende diejenigen wieder den Weg in die Kirche finden, die sich jetzt zurückhalten? Werden Veranstaltungen, die jetzt nicht möglich waren, wiedererstehen oder fehlen uns dann die Leute dafür? Werden am Ende Impfgegner und Impfbefürworter in Familien, Betrieben und Gesellschaften wieder miteinander reden können, während man im Moment Gespräche lieber umgeht, weil sie zu Nichts führen?
Es ist nicht nur Gutes gewachsen in diesem Jahr, es gab auch besorgniserregende Entwicklungen. Wie kam das und wo muss man mal mit der Faust auf den Tisch hauen? Der Bibeltext für diesen letzten Tag des Jahres steht bei Matthäus 13, die Verse 24-30. Jesus wird von einigen seiner Anhänger gedrängt, doch etwas zu unternehmen gegen die Unentschiedenen und Halbherzigen. Es muss doch mal klargestellt werden, wer dazu gehört zu Jünger- und Freundesschar, wer zu uns gehört und wer nicht.
Jesus erzählt daraufhin folgendes Gleichnis:
24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte.
25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
26 Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut.
27 Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?
28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten?
29 Er sprach: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet.
30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.
Das Unkraut, von dem hier die Rede ist, ist der sogenannte Taumel-Lolch. Die junge Pflanze ist von der des Weizen schwer zu unterscheiden. Erst wenn die Körner kommen, erkennt man die schwarzen Körner des giftigen Lolchs. Die wollte man am Ende natürlich mit in der Scheune haben.
In Palästina gab es unterschiedliche Praktiken, mit dem Problem umzugehen. In manchen Gegenden jätete man den Lolch, solange die Pflanzen jung waren. Sogar mehrmals. In anderen ließ man beides stehen und trennte erst bei der Ernte. Denn wenn die Pflanzen so groß waren, dass man sie an den Körnern gut zu unterscheiden waren, waren die Wurzeln von Weizen und Lolch schon soweit miteinander verwachsen, dass man den Lolch nicht hätte ausreißen hätte können, ohne auch die Wurzeln des Weizens mit raus zu ziehen. Die unterschiedlichen Praktiken hingen wohl mit den Weizensorten und mit der Bodenbeschaffenheit zusammen.
Mit Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen geht Jesus auf die Ungeduld der Fragesteller ein. Sie erkennen Ungutes in ihrem Umkreis, sie sehen Halbherzigkeit und Unmoral in der Umgebung und finden, Jesus solle mal klare Kante zeigen.
Wir ahnen natürlich schon das erste Problem: Wer beurteilt, wer mit seiner oder ihrer Überzeugung und Lebenshaltung richtig liegt und wer falsch? Wer kann zuverlässig unterscheiden zwischen Weizen und Taumellolch, zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse?
Gott lässt regnen über Gute und Böse, sagt die Bibel. Jesus sagt: lasst es miteinander wachsen. Es ist noch Zeit …
Entschieden wird in der Ernte. Das ist ein feststehendes Bild für das Gericht Gottes. Nur Gott kann letztgültig sagen, was getaugt hat und was nicht. Urteilt also nicht vorschnell.
Jesus wendet sich eine ungute Ungeduld. Es gibt Dinge, die haben und brauchen noch Zeit. In den Anfangsjahren in Herrnhut gab es mal eine Phase, in der Zinzendorf sich keinen Rat wusste, wie er mit den Radikalen in der Gemeinde umgehen sollte, die die Gemeinde spalteten. Zinzendorf hat gewartet. Und das war gut, denn die Sache hat sich im Laufe der Monate von selbst geklärt. Das war eine ganz wichtige Erkenntnis für die Brüdergemeine. Es gibt eine Zeit zu Handeln und eine Zeit zu Warten.
In mehreren Liedern kommt dies vor:
BG 750: 1 Gottes Führung fordert Stille, / da man innehält und lauscht, / denn wie leicht wird Gottes Wille / mit der eignen Wahl vertauscht.
5 Göttliche und innre Dinge / lassen es erst recht nicht zu, / dass man sie mit Sturm erzwinge, / sondern weisen uns zur Ruh.
Natürlich ist dieses Zuwarten nicht immer die richtige Haltung. Es gibt Situationen, da muss gehandelt werden, da muss ein klarer Schlussstrich gezogen werden. Etwa bei dem Verdacht von Missbrauch hat die Kirche viel zu oft Dinge auf die lange Bank geschoben und unter den Teppich gekehrt. Wo Menschen zu Schaden kommen, ist Zuwarten keine hilfreiche Haltung.
Es gibt eine ungute Ungeduld und ein ungutes Zuwarten. Die Schwierigkeit ist, zu unterscheiden, was dran ist. Das ist in der Gesellschaft so, in der Gemeinde und im Privatleben. Wir müssen damit leben, dass das nicht immer klar ist. Wir müssen um den richtigen Weg ringen, uns streiten, nach Lösungen suchen und am Ende irgendeinen Weg beschreiten, in der Hoffnung, dass Gottes dabei leitet.
Oder BG 550: 2 Die Liebe wird uns leiten, / den Weg bereiten / und mit den Augen deuten / auf mancherlei, / ob’s etwa Zeit zu streiten, / ob’s Rasttag sei. /
Jesus macht mit seinen Gleichnis klar: wir leben in einer Welt, die noch nicht am Ziel ist. Sie ist unvollkommen. Auch Kirche ist unvollkommen. Wir sind unvollkommen, sind verletzlich, wie Jesus verletzlich war.
Nicht immer ist klar, was Weizen und was Unkraut ist. Wir sollten aber nicht nur das Unkraut sehen, wenn wir den Acker des Jahres 2021 betrachten. Es gibt auch den Weizen, das Gute, das gewachsen ist, die Herausforderungen, die gemeistert wurden. In der Gemeinde ist trotz der Pandemie ein Jungschargruppe entstanden. Durch die Paketaktion in der Adventszeit sind neue Kontakte zu Mitgliedern im Bereich entstanden. In der Gesellschaft gab es viel Erfindungsreichtum und Innovation, in der Politik hat der Kampf gegen den Klimawandel neuen Schub bekommen, dem Virus sind wir dank der Impfung nicht mehr wehrlos ausgeliefert. Diese guten Nachrichten sollten wir neben den besorgniserregenden nicht vergessen.
Das gilt auch im Blick auf das eigene Leben. Sehen wir nicht nur auf das Unkraut, sondern auch auf den Weizen. Und vertrauen wir Gott, dass am Ende vergeht, was nichts getaugt hat und das brauchbare von Nutzen war. Überlassen wir ihm das Urteil und bergen wir uns in seiner Gnade, die er uns in Jesus offenbart hat.
Amen
Christoph Huss
Stichpunkte aus einem Kommentar von Bernhard Junginger in Südkurier 28. 12. 21, S. 2. „Was uns Zuversicht gibt.“ Ähnlich schon zuvor Stefan Lutz in Südkurier 24. 12. 21, S. 2: „Die Lage ist besser als die Stimmung“ Er findet: Mehr Zuversicht schadet nicht. Der Kommentar hat ein Grundproblem offengelegt, das zu unnötig viel Frust führt. Wir alle wüssten, „welche Anstrengungen wir miteinander unternommen haben, um die Pandemie in den Griff zu bekommen – aber wir können nicht ermessen, was diese Bemühungen an Schlimmerem verhindert haben. Ein möglicher Erfolg aller Bemühungen wird also gar nicht sichtbar.“ Das führe dazu, so der Kommentator, dass viele Menschen den Eindruck haben, dass sich die Anstrengung gar nicht gelohnt habe.