Predigt: Wir kommen zur Gnade wie die Jungfrau zum Kind
Predigt 19.12.2021 (4. Advent)
Lukas 1, 26 – 33
Predigt 19.12.2021 (4. Advent)
Lukas 1, 26 – 33
Liebe Schwestern und Brüder,
was hat die Bibel nur immer mit diesen Geburten! Immer wieder ist in der Bibel von Kindern die Rede, die unverhofft, doch noch, wider Erwarten geboren werden, der Isaak der Sara, der Samuel der Hanna, der Johannes der Elisabeth und dem Zacharias. Und natürlich: das bekannteste Fest der Christen rankt sich um eine Geburt, die Geburt von Jesus. Und immer liegt in diesen Geburten ein Neuanfang, eine Hoffnung für die Zukunft.
Die Schweizer Theologin Ina Prätorius, hat ein Geburtstheologie entwickelt. Sie hat vorgeschlagen, sich in einem „geburtlichen“ Denken zu üben und im Licht des Weihnachtsgeheimnisses zu einem „geburtlichen“ Lebensstil zu finden.
Zwei Aspekte spielen für Ina Prätorius bei einem „geburtlichen“ Denken eine Rolle: Jedes Kind ist ein ganz neuer Mensch, ein Individuum. Und es ist zugleich ganz eingebunden in das Leben vor ihm und um ihn, ist angewiesen, abhängig, dass andere ihm ins Leben helfen.
Ina Prätorius schlägt vor, jeden Tag in dem Bewusstsein zu beginnen, dass es ein ganz neuer Tag ist, voller Möglichkeiten, etwas Neues zu beginnen und zugleich sich hineinzustellen in das große Beziehungsgewebe, ohne dass wir nicht leben könnten und diese Angewiesenheit anzunehmen.
Auf der einen Seite das Leben mit der Angewiesenheit und auf der anderen Seite die Lust auf Neues, das könnte ein „geburtliches“ Denken ausmachen.
Das ganze Kapitel 1 im Lukas-Evangelium dient dazu, darzustellen, wie Jesus eingebunden ist in das Leben vor ihm und um ihn. So auch in unserem Abschnitt. Joseph kommt aus dem Haus David. Nur dort kann der Messias herkommen. Der Engel sagt es Maria: Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben.
Jesus eingebunden in den Stammbaum der Könige Israels. Bei allem, was hier gesagt wird, klingen alte Verheißungen an.
Und auf der anderen Seite ist alles ganz neu und anders. Nach Nazareth kommt der Engel, in Galiläa, falscher Ort! Zu einer Jungfrau. Was hat er dort zu suchen! Er grüßt die Frau. Wie unüblich – ein förmlicher Gruß wird damals Männern entboten im Haus. Sei gegrüßt, du Begnadete. Im Griechischen steckt noch ein Wortspiel drin: chaire kecharitomenä In beiden Worten steckt das Wort charis: Gunst, Gnade, Dank. Die Gunst und Gnade liegt in diesem Besuch des Engels. Und seine Botschaft ist: Die Gunst und Gnade Gottes liegt auf Dir.
Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden.
31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben.
Jesus – Jeschua = Gott rettet
Die Weise, wie Jesus rettet, ist nicht die erwartete. Es tritt nicht als König auf. Sein Weg ist ein anderer. Er rettet am Kreuz, überwindet im Leben und im Tod die Kluft zwischen Gott und Mensch, geht durch die Tiefe in ein neues Leben, bahnt diesen Weg für alle, die ihm Vertrauen.
Wir können ihm vertrauen. Maria macht es vor. Manche sprechen bei Maria von Gehorsam. Ich spreche lieber von Vertrauen. Wir können nicht leben ohne Vertrauen, können nicht leben ohne Vertrauen in die Menschen vor uns und um uns.
Wir erleben gerade, wie fatal es ist, wenn Menschen nicht vertrauen gelernt haben. Wenn Menschen grundsätzlich erst einmal misstrauisch sind. Wenn sie sich erst einmal abgrenzen. Dann geraten sie in Parallelwelten, bauen sich ihre eigene Wahrheit zusammen und verlieren den Kontakt zur Realität.
Wir können vertrauen. Anderen Menschen. Und Gott. Er hat Jesus, seinen Sohn, auf die Erde gesandt. Er hat uns ihm seine Liebe erwiesen. Wir sind seine geliebten Kinder und er unser Vater. Er schaut gnädig auf uns. Wie er gnädig auf Maria geschaut hat.
Wie kommen wir zur Gnade? Wie die Jungfrau zum Kinde! Ebenso unbegreiflich. Ebenso unverdient.
Es gibt viel Schwieriges in dieser Welt. Und es wird gerade nicht leichter. Aber wir können vertrauen, dass Gott uns gnädig ansieht, dass auch wir Begnadete sind. Der 4. Adventssonntag will uns durch diese Botschaft einladen zur Freunde.
Freut euch immerzu, weil ihr zum Herrn gehört. Ich sage es noch einmal: Freut euch!
So der Wochenspruch aus dem Philipperbrief.
Wir kommen zur Gnade wie die Jungfrau zum Kind.
Ebenso unbegreiflich. Ebenso unverdient.
Amen
Christoph Huss
Ina Praetorius, Immer wieder Anfang, Texte zum geburtlichen Denken, Ostfildern 2011
chaire kecharitomenä < charis = Gunstbezeugung, Gnade, Dank; chairo = sich freuen, als Anrede: sei gegrüßt