Hoch hinaus – Der Turmbau zu Babel
23.05.2021 · Pfingsten
1. Mose 11, 1-9
23.05.2021 · Pfingsten
1. Mose 11, 1-9
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
wer von Euch, von Ihnen, erinnert sich an die Zeiten, in denen er oder sie mit Holzbausteinen Türme gebaut hat? Ich habe es noch gut vor Augen. Wir hatten mehrere Holzkästen mit Bauklötzen zu Hause und haben unter anderem immer wieder versucht, einen Turm zu bauen. Er sollte groß werden – größer als wir selbst. Am Anfang ging alles ganz gut. Die Steine wurden immer versetzt übereinander gestapelt, damit das Bauwerk nicht sofort zusammenstürzte. Und dann kam der Moment, dass das Bauwerk über Knie, Bauch und Schulter zum Kopf reichte. Nun war es sehr schwer, noch Steine obendrauf zu setzen. Ein Stuhl erfüllte eine Zeitlang den Zweck, höherzukommen und dann reichte auch er nicht mehr aus. Eine Leiter musste her und gemeinsam mit meinen Geschwistern wurde sie herbeigeschleppt. Nun bildeten wir eine Kette. Der erste holte die Bausteine aus der Kiste, der nächste reichte sie weiter und der letzte – oben auf der Leiter – setzte sie vorsichtig oben drauf. Das passierte mit kurzen Absprachen richtig gut. Wir verstanden uns eben als Geschwister. Nur leider hielt der Turm nicht und die Steine prasselten auf den Boden nieder. Wir mussten aufpassen, dass keiner von uns getroffen wurde.
Im Predigttext für heute geht es auch um einen Turmbau. Einen ganz großen Traum, den sich die Menschen erfüllen wollten. Ich lese aus 1. Mose 11, 1-9, der Turmbau zu Babel.
11 1 Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache –mit ein und denselben Wörtern. 2 Sie brachen von Osten her auf und kamen zu einer Ebene im Land Schinar. Dort ließen sie sich nieder. 3 Sie sagten zueinander: „Kommt! Lasst uns Lehmziegel formen und brennen!“ Die Lehmziegel wollten sie als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. 4 Dann sagten sie: „Los! Lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen! Seine Spitze soll in den Himmel ragen. Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“
5 Da kam der Herr vom Himmel herab. Er wollte sich die Stadt und den Turm ansehen, die die Menschen bauten. 6 Der Herr sagte: „Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Und das ist erst der Anfang! In Zukunft wird man sie nicht mehr aufhalten können. Sie werden tun, was sie wollen. 7 Auf! Lasst uns hinabsteigen und ihre Sprache durcheinanderbringen! Dann wird keiner mehr den anderen verstehen.“ 8 Der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde. Da mussten sie es aufgeben, die Stadt weiterzubauen. 9 Deswegen nennt man sie Babel, das heißt: Durcheinander. Denn dort hat der Herr die Sprache der Menschen durcheinandergebracht. Und von dort hat sie der Herr über die ganze Erde zerstreut.
Die Menschen haben Großes geplant. Eine Stadt und ein großer Turm sollten es werden. Und nicht nur so ein kleines wackliges Ding. Nein, der Turm sollte bis in den Himmel ragen. Er sollte auffallen und von allen bewundert werden. Die Bauleute wollten sich mit diesem gigantischen Werk verewigen, sie wollten sich ein Denkmal setzen und so in aller Munde bleiben.
Also legten sie los und begannen ihr Vorhaben hochmotiviert umzusetzen. Sie überlegten sich, woraus sie die Bausteine formen wollten und woraus der Mörtel bestehen soll. Dieser Turm soll ja nicht umstürzen oder gar in sich zusammenfallen. Sie waren so mit ihrem Vorhaben beschäftigt, dass sie eins völlig aus den Augen verloren hatten – Gott. Gott aber schaute sich den Elan der Menschen an und überlegte, wohin das führen wird, wenn er dem ganzen Vorhaben nicht Einhalt gebietet. Und er verwirrte sie, in dem er ihre Sprache durcheinanderbrachte und sie über die Erde verteilte.
Eines haben die Bauleute von damals geschafft, das muss man ihnen lassen. Immer, wenn in der Welt ein großes imposantes und monumentales Bauwerk geschaffen wird, mit dem sich ein Architekt oder ein Land brüstet, da ist der Vergleich mit dem Turmbau zu Babel nicht weit entfernt. Dieses Vorhaben von damals ist noch heute in aller Munde.
Aber es gibt sie nicht nur, die Türme unserer Zeit. Es gibt auch die Trümmer – verursacht von Menschen. Denken wir an das Ereignis vor zwanzig Jahren. Da wurde das World-Trade-Center, die Twin-Towers in New York Ziel eines menschenverachtenden Angriffs und stürzten in sich zusammen. Sie begruben ca. 3000 Menschen unter sich. Unbegreiflich, wozu Menschen fähig sind.
Wie ist das nun bei uns? Kennen wir nicht auch Situationen, in denen wir große Projekte im Kopf haben, die großartig sind und die wir hervorragend finden? Sofort möchten wir sie in die Realität umsetzen. Das ist ja im Prinzip auch nichts Falsches, nur müssen wir uns fragen, aus welcher Motivation heraus wir das tun. Wollen wir damit die Achtung und Anerkennung von anderen haben oder machen wir es um der Sache willen? Und fragen wir nach Gottes Plan für unser Tun?
Welche Türme bauen wir? Ist unsere Zeit nicht beherrscht von einem noch höher, noch schneller und noch weiter? Aber warum? Vielleicht weil wir uns nicht mehr verstehen. Und das wiederum hat zur Folge, dass wir gar nicht mehr aufeinander hören. Unsere Zeit ist bestimmt von Schnelligkeit und Effizienz. Unsere Aufgaben wollen wir möglichst immer schneller erledigen und wir merken gar nicht, dass uns immer mehr aufgetragen wird. Wir sind gehetzt und haben kaum noch Zeit, die Sorgen unserer Mitmenschen wahrzunehmen. Dabei merken wir gar nicht, dass wir Gott mehr und mehr aus den Augen verlieren. Und da kommt das STOPP.
Gott sieht uns getriebene Menschen und sieht, wie wir ins Unheil rennen. Er verhindert das Schlimmste in dem er uns aus diesem Wahnsinn des höher, schneller und weiter herausholt. Er gibt dem Leben eine andere, eine neue Richtung.
Und wie macht er das? In dem er die Menschen bestraft? Nein, er lenkt sie auf eine ganz andere Weise. Damals verwirrte er ihre Sprache und er zerstreute sie auf der Erde. Plötzlich ist alles anders. Der eine versteht den anderen nicht mehr. Und alles steht Kopf.
Was hat nun diese Geschichte mit Pfingsten zu tun? Pfingsten beginnt dort, wo wir unsere Türme, die wir oft aus Angst errichten – nicht mehr bauen müssen. Denn der Geist Gottes befreit uns von Angst und gibt Aufbruch. Aufbruch bedeutet immer, das Alte hinter sich zu lassen und sich auf etwas Neues einzulassen. Jesus hat damals erkannt, dass er seine Jünger nicht allein zurücklassen kann. Zu unsicher und gehetzt, ängstlich und traurig waren sie damals, als Jesus sie verließ – eingesperrt wie in einen Turm. Da versprach er ihnen den Tröster, den Heiligen Geist.
Dieser Tröster ist in unserer Welt und hat schon unzählige Menschen erreicht und ihnen beigestanden. Er hat mit seinem sanften Wehen Menschen auf seine Art und Weise verwandelt, und er will das auch mit uns tun.
Der Geist Gottes kommt brennend auf uns herab, um in uns zu wohnen. Und wo der Geist Gottes weht, da ist Aufbruch und Veränderung. Da zerbröseln die alten Turmmauern um uns herum und geben uns Freiheit. Wenn wir ihm in uns Raum geben, dann breitet sich ein Feuer in uns aus, das auch andere anstecken kann. Da können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher, da beginnt eine neue Kraft in uns zu wirken. Und diese Kraft lässt uns aufeinander zugehen. Da sind keine trennenden Mauern mehr. Plötzlich erkennen wir in einem für uns vorher fremden Menschen unsere Schwester und unseren Bruder. Und wo die Sprache eine Barriere zwischen uns zu sein scheint, da können wir sie überwinden über die Verständigung mit Herz, Zeichen und Gesten.
So verschieden wir auch alle sind, die wir heute diesen Gottesdienst sehen und hören, so eins sind wir doch im Glauben an Jesus Christus. Er selbst vereint uns als Christinnen und Christen. Gerade ist der 3. Ökumenische Kirchentag zu Ende gegangen. Das Titellied lautete: Schaut hin, denkt nach, geht los mit offenen Augen. Schaut hin, denkt nach, geht los mit offenen Armen.
Lasst uns offen sein für Gottes Geist, der auch in dir und mir wohnen will und uns mit neuem Schwung aufeinander zu und zu Gott führt.
Amen
Gabriele von Dressler