Das Leben läuft nicht in geregelten Bahnen.
24.01.2021 (3. Sonntag nach Epiphanias),
Rut 1, 1-9
24.01.2021 (3. Sonntag nach Epiphanias),
Rut 1, 1-9
Wann hört es endlich auf? Die Einschränkungen, die Isolation, das ständige Umentscheiden? Die Pandemie hält uns jetzt schon fast ein Jahr im Griff. Man ist in der Gefahr, sich gegenseitig aus dem Blick zu verlieren. Im Sommer war das noch einfacher, Kontakt zu halten, als man sich auf der Straße oder auf dem Platz traf. Manche haben ein Gefühl der Lähmung, der Ohnmacht.
Menschen sagen, wir brauchen endlich einen Plan. Sagt uns, wie es in einem Monat und in drei weitergeht. Es ist frustrierend und ermüdend, immer nur kurze Zeit im Voraus zu sehen und dann ist wieder alles anders als vermutet. Wer für einen Bereich verantwortlich ist, sei es ein Land, ein Altenheim, eine Gemeinde, eine Familie, muss ständig neu entscheiden. Man muss sich abstimmen mit Menschen, die nicht immer derselben Meinung sind. Das ermüdet, das merken wir alle. Da wird man schon eher mal gereizt.
Die Impfung macht Hoffnung. Wir wussten eigentlich, dass die Produktion erst langsam in Gang kommen wird. Und doch macht sich Ungeduld breit. Ja, wenn man wüsste: Dann sind wir am Ziel und dann ist alles vorbei. Aber wer weiß das schon genau.
Heute lernen wir im Predigttext eine Frau aus der Zeit der Richter kennen, bevor es in Israel Könige gab. Dieser Abschnitt wurde neu in die Leseordnung der Evangelischen Kirche aufgenommen. Das Buch Rut erklärt, wie Rut, obwohl sie eine Ausländerin war, zu einer Stammmutter in Israel wurde, zu einer Vorfahrin des Messias.
Erzählt wird die Geschichte von Noomi, der Schwiegermutter von Rut. Das Leben von Noomi verläuft nicht nach Plan und Routine. Immer wieder kommt es anders, als sie denkt. Sie verliert Perspektive um Perspektive. Sie muss Entscheidungen treffen, ohne zu wissen, ob sie gut sind. Zwischendrin ist ganz verbittert und bittet die Leute, sie nicht mehr Noomi (= meine Freude), sondern Mara (= die Bittere) zu nennen.
Ich lese Rut 1, 1- 19.
Ich lese sie nach der Basis-Bibel. Mit dieser Lesung weihe ich diese Bibel ein, die ich letzte Woche in der Buchhandlung abholen konnte. Die Basis-Bibel mit altem und neuem Testament. Bisher gab es nur das Neue Testament. Letzten Donnerstag ist sie offiziell erschienen. Ich schätze diese Übersetzung in einfacher und klarer Sprache Und nehme sie gerne als Lesebibel im Gottesdienst.
1 Es war zu der Zeit, als Richter in Israel regierten. Wieder einmal herrschte Hunger im Land. Da verließ ein Mann die Stadt Betlehem in Juda. Er wollte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen eine Zeit lang im Land Moab leben.
2 Der Mann hieß Elimelech und seine Frau hieß Noomi. Seine beiden Söhne hießen Machlon und Kiljon. Sie gehörten zur Großfamilie der Efratiter, die aus Betlehem im Land Juda kam. Sie gingen nach Moab und ließen sich dort nieder.
3 Da starb Noomis Mann Elimelech,und sie blieb mit ihren zwei Söhnen zurück.
4 Die beiden heirateten Moabiterinnen. Eine hieß Orpa und die andere Rut.Ungefähr zehn Jahre lang wohnten sie in Moab.
5 Dann starben auch die beiden SöhneMachlon und Kiljon.Noomi blieb allein zurück, ohne Söhne und Mann.
6 Noomi machte sich auf und zog aus Moab weg, zusammen mit ihren Schwiegertöchtern. Sie hatte dort nämlich erfahren, dass der Herr sich um sein Volk kümmerte und ihm Brot gab.
7 So verließ sie den Ort, an dem sie gelebt hatte. Die beiden Schwiegertöchter begleiteten sie auf dem Weg zurück ins Land Juda.
8 Unterwegs sagte Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: »Kehrt um! Geht zu euren Müttern zurück! Der Herr soll euch genauso lieben, wie ihr die Verstorbenen und auch mich geliebt habt.
9 Er soll dafür sorgen, dass ihr ein neues Zuhause findet bei neuen Ehemännern. «Noomi küsste die beiden. Aber sie weinten laut
10 und baten Noomi:»Lass uns mit dir zu deinem Volk zurückkehren!«
11 Doch Noomi erwiderte: »Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Ich kann keine Söhne mehr zu Welt bringen, die euch heiraten würden.
12 Kehrt um, meine Töchter! Geht! Ich bin einfach zu alt für eine neue Ehe. Selbst wenn ich es nicht wäre –wenn ich noch heute Nacht mit einem Mann schlafen und danach Söhne zur Welt bringen würde:
13 Wollt ihr wirklich warten, bis sie groß sind? Wollt ihr euch so lange einschließen und mit keinem Mann verheiratet sein? Nein, meine Töchter! Mein Schicksal ist zu bitter für euch! Die Hand des Herrn hat mich getroffen.
«14 Da weinten die beiden noch lauter. Orpa küsste ihre Schwiegermutter zum Abschied. Aber Rut blieb bei Noomi.
15 Noomi sagte zu Rut: »Schau! Deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Mach es wie sie: Kehr um!«
16 Aber Rut antwortete: »Schick mich nicht fort! Ich will dich nicht im Stich lassen. Ja, wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott!
17 Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und da will ich auch begraben sein. Der Herr soll mir antun, was immer er will! Nichts kann mich von dir trennen außer dem Tod.
«18 Noomi sah, dass Rut entschlossen war, mit ihr zu ziehen. Da hörte sie auf, es ihr auszureden.
19 So wanderten sie gemeinsam nach Bethlehem.
Erster Aufbruch
Die Geschichte beginnt in Bethlehem. Bethlehem heißt übersetzt Brothaus.
Ein Mann mit Namen Elimelech tritt durch die Tür seines Hauses. Er schnuppert. Doch es riecht wie schon die letzten Wochen nur nach dünner Suppe. Wie er den Duft von frisch gebackenem Brot vermisst! Elimelech betrachtet den völlig vertrockneten Weizenhalm in seiner Hand.
Er trägt ihn zu seiner Frau, legt ihn auf den Tisch und sagt: Sieh Dir das an. Der Weizen vertrocknet. Wir werden in absehbarer Zeit nicht genug zu essen haben. Das Leben läuft nicht nach Plan. Wir müssen eine Entscheidung fällen.
Wenig später zieht er mit Noomi und den beiden Söhnen los. Elimelech und Noomi lassen das Vertraute zurück und gehen in die Fremde. Nach Moab, obwohl das eigentlich nicht als Kornkammer bekannt ist. Aber dort finden sie genug. Sie bleiben. Es gibt wieder Essen und einen überschaubaren Alltag.
Doch dann stirbt Elimelech. Schon wieder ist nichts wie gedacht. Übrig bleiben Noomi als Witwe und zwei Halbwaisen. Und jetzt?
Die Söhne treffen die Entscheidung: Sie heiraten in der Fremde. Eigentlich erlauben das die Vorschriften nicht.[1] Aber was soll man machen. Es geht ganz gut, Noomi ist versorgt, es gibt Essen und erneut einen überschaubaren Alltag.
Schade, dass die Ehen kinderlos bleiben. Noch schmerzt der Verlust des Vater. Dann sterben auch die beiden jungen Männer. Ihren Namen war das schon irgendwie eingeschrieben: Machlon (= der Schwächliche) und Kiljon (= der Gebrechliche). Von der ursprünglichen Familie bleibt nur Noomi übrig: Eine Witwe in der Fremde. Mit zwei Schwiegertöchtern, ebenfalls Witwen.
Damals brauchte eine Frau einen Mann, um sie rechtlich zu vertreten. Was ist die Perspektive? Wer wird für sie sorgen? Da gibt es kein Netzwerk für sie, die Übriggebliebene in der Fremde. Die Frage lautet: Bleiben mit nichts oder Zurückkehren mit nichts außer einer Geschichte von Verlust und Scheitern und unklarer Aussicht. Noomi ist nun Mara, die Bittere.
[1] Esra 10, Neh 13
Zweiter Aufbruch
Noomi geht zurück. Den Ausschlag gibt ein Gerücht: Gott gibt seinem Volk Brot. Bethlehem ist wieder „Brothaus“. Sie musste eine Entscheidung treffen. Sie macht sich auf den Weg. Ihre Schwiegertöchter hat sie im Schlepptau. Unterwegs kommt Noomi ins Grübeln.
Ja, sie stammt aus Bethlehem. Sie hat dort noch Verbindungen. Sie wird eine Chance haben. Doch die fremden Witwen? Sie werden dort so verloren sein wie Noomi es in der Fremde war. Noomi bleibt stehen. Sie muss die beiden Frauen wieder zurückschicken. Und das tut sie. Mit den besten Wünschen und einem Abschiedskuss.
Doch die beiden jungen Frauen, Orpa und Rut, weigern sich. Sie wollen bei ihr bleiben. Doch Noomi ist pragmatisch. Sie stellt den Frauen klipp und klar vor Augen: Mit mir habt ihr keine Zukunft, kein Leben. Auch religiös seid ihr in Moab zu Hause.
Die Entscheidung
Orpa geht mit einem Abschiedskuss zurück in ihr Elternhaus in Moab. Doch Rut lässt sich nicht wegschicken. Sie hat sich entschieden. Wie ernst es ihr ist, macht Rut mit einer großen Selbstverpflichtung deutlich: Ja, wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott! 17Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und da will ich auch begraben sein. Der Herr soll mir antun, was immer er will! Nichts kann mich von dir trennen außer dem Tod.
So kehrt Noomi mit Rut gemeinsam nach Bethlehem zurück. Mit nichts in den Händen außer der Hoffnung auf Brot und einem Netzwerk, das sie hoffentlich irgendwie tragen wird. Langfriste Pläne gibt es nicht. Leben von Woche zu Woche ist angesagt.
Neuanfänge
So kehrt Noomi zurück: als „Rest“ ihrer ursprünglichen Familie. Mitten in ihrer Perspektivlosigkeit sieht sie nicht, was kommt. Aber: Ein Rest kehrt zurück.
Das ist ein bekanntes Erzählmotiv in der Bibel. Mit einem Rest hat Gott in seiner Geschichte mit Israel, mit den Menschen immer wieder etwas vor. Dem Rest gilt seine besondere Liebe.
Und ein Zweites ist ein Hoffnungszeichen: Obgleich fremd, kommt Rut mit. Diese Fremde wandert ein. Nach Bethlehem. In das Volk Gottes. In den Stammbaum Davids wandert sie ein und so in den Stammbaum Jesu. Es werden kommen vom Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.
Dieses Motto des Wochenspruches hat längst angefangen. Es zieht sich durch die Bibel wie ein roter Faden. Gott überwindet Grenzen. Das Leben läuft oft nicht in den geplanten Bahnen. Vorschriften und Grenzen sind gut, aber das Leben braucht einen Blick über die Grenzen, braucht Spielraum.
Die Aktion „7 Wochen ohne“ hat für die diesjährige Fastenzeit das Thema „Spielraum“ vorgeschlagen: „Gemeinschaften brauchen Regeln. Doch zu den Regeln gehört Spielraum. … Im persönlichen Miteinander braucht es zudem Liebe, Gnade und Großzügigkeit. … Ein Satz wie:‚Lass uns darüber reden, wie wir das hinkriegen, obwohl verschiedener Meinung sind’ – das eröffnet Spielräume. In der Fastenzeit wollen wir erkunden, wo wir uns und andere blockieren und wie wir unseren Mitmenschen entgegen kommen können. Nicht verbissen, sondern auf … spielerische Weise.“
Wir können die mühsame Geschichte von Noomi und Ruth nicht länger verfolgen. Es lohnt sich, sie nachzulesen. Denn am Ende sitzt dort Noomi mit einem Enkel auf dem Schoß. Sie ist wieder Noomi, die Freudige. Aus dem Haus rufen Ruth und Boas zu Tisch. Und es riecht nach frischen Brot.
A m e n
Christoph Huss Königsfeld