Fassen wir Vertrauen!
31.12.2020 (Altjahrsabend),
Exodus 13, 17-18+20-22
Liebe Schwestern und Brüder,
den Predigttext für den Altjahrsabend haben wir eben gehört. Gott hat sein Volk aus der Gefangenschaft in die Freiheit geführt. Aber die Freiheit ist verbunden mit großer Unsicherheit. Keine Landkarte liegt vor ihnen, kein klarer Plan wurde ihnen präsentiert. Unter der Leitung von Moses folgen sie dem unsichtbaren Gott, der sich ihnen zeigt als Wolken- oder als Feuersäule.
Man ist nur auf Sicht unterwegs. Tag für Tag, Schritt für Schritt, heißt es neu, das Vertrauen auf Gott zu üben. Es ist klar: es muss nur etwas schiefgehen und die Meuterei geht los. Das Schilfmeer mit dem wunderbaren Durchzug liegt noch vor ihnen.
Wir erleben gerade, wie das ist, wenn niemand genau weiß, was in zwei Wochen sein wird, ob die Schulen und Geschäfte wieder öffnen, ob die Gottesdienste wieder mit Gemeinde im Saal gefeiert werden können. Diese Unsicherheit ist schwer auszuhalten, das sind wir nicht gewohnt. Genauso wenig wie das Volk Israel.
1. Vertrauen lernen
Sie hatten hart arbeiten müssen, waren ohne Freiheit gewesen. Sie galten als minderwertiges Volk, dass man kleinhalten musste. Nun hatte Gott Israel aus der Sklaverei geführt. Nun lag Ägypten hinter ihnen.
Auch die Fleischtöpfe Ägyptens lagen hinter ihnen. In der Wüste war die Nahrung bescheidener, Manna, Wachteln, Wasser statt Wein. Und mancher dachte bei sich: In Ägypten brauchten uns über Nahrung keine Gedanken machen. Ägypten war ein reiches Land, in dem auch der Sklave zu essen hatte. Was lag vor ihnen? Ein versprochenes eigenes Land in weiter Ferne. Zu sehen war nur die Wüste und das Meer.
Gott wusste, dass das Vertrauen brüchig war. Er führte die Leute nicht durch das Land der Philister, wo sie hätten kämpfen müssen. Wer wusste nicht, ob sie dann nicht wieder umgekehrt wären. Gott wusste, dass es starke Zeichen brauchte, damit die Menschen nicht kehrtmachten. Als Schatten spendende Wolkensäule ging er ihnen tagsüber voran, als Licht gebendes und schützendes Feuer nachts.
Sie folgten Gott, zögernd, murrend, aber sie gingen. Sie wurden geführt. Sie wurden durch das Schilfmeer hindurch gerettet. Sie begegneten Gott und erhielten seine Weisung, die zehn Gebote. Noch viele Jahre sollten Sie in der Wüste umherziehen. Manchmal ist der Weg in die Freiheit lang. Aber die 40 Jahre wurden eine Zeit mit eigenem Wert. Eine Zeit, die man nicht missen wollte. Irgendwann kamen sie an im Land, wo Milch und Honig fließt. Immer wieder erzählte man sich diese Geschichten von Auszug und Wüste. Denn sie waren wichtig und jeder kann davon lernen.
2. Eine wichtige Erfahrung …
Das wussten auch diejenigen, die diese Geschichten aufschrieben, nachdem man sie sich über lange Zeit nur erzählt hatte. Es war wohl zur Zeit des großen König Salomos, als man zum ersten Mal etwas davon aufschrieb. Da war Israel ein großer und mächtiger Staat geworden, mit einen eigenen König, der in Jerusalem regierte und viele Reichtümer sein Eigen nannte. Was sie damals alles am Hofe verspeisten, hatte nur noch wenig mit dem Manna und Wasser der Wüste zu tun.
Solcher Reichtum kann leicht vergessen machen, wo man herkommt und was trägt in der Not. Vielleicht war das der Grund, warum man jetzt die Geschichten aufschrieb, warum man die Geschichte festhielt von Sklaverei und Auszug, von der Wüste und vom Berg Sinai. Vielleicht, weil Menschen sich so leicht klammern an das, was ist und vergessen, dass es auch ganz anders geht. In Jerusalem gab es feste Häuser und selbst ein Wasserleitung.
Aber das Leben war auch möglich gewesen in Zelten, in Hitze und Trockenheit. Gott hatte sie ernährt und geführt. Vielleicht war man sich damals sogar näher gewesen. Man konnte sich später kaum vorstellen, wie das damals in der Wüste gegangen war. Kein Tempel, sondern eine Kiste mit den 10 Geboten, ein Zelt der Begegnung als Ort, um mit Gott zu reden. Am Anfang gab es nicht einmal das, nur Gott, der voranging in der Wolke des tags und der Feuersäule des Nachts. Die Säule ist das, was steht, was sichtbar ist und Halt gibt. Unvorstellbar, aber es ging.
3. … auch für uns
Auch wir hätten uns vor einem Jahr nicht vorstellen können, wie wir diese Monate verbringen, in welchem Ausnahmezustand. Da ist nichts schön zu reden: Menschen sterben vor der Zeit, Menschen bleiben allein, Betriebe und Firmen kommen in die Krise. Aber wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass Dinge anders gehen. Dass man zur Not auch anders Weihnachten feiern kann, dass man zur Not auch auf andere Weise Kontakt halten kann.
Worum es für das Volk Israel vor allem ging: Vertrauen zu lernen. Diese Tage ließ mir jemand einen Beitrag des Zukunftsforschers Matthias Morx zukommen. Für ihn ist wichtigste Ressource für unsere Zukunft … das Vertrauen. Es ist die „Grundlage menschlicher Kooperation“. „Nur wenn Menschen vertrauensvoll kooperieren …, entstehen … Win-Win-Situationen, …“ „Vertrauen ist das einzige, was uns vor der menschlichen Zerbrechlichkeit schützen kann.“
Horx hat, wie auch andere, beobachtet, dass sich in diesem Jahr etwas verändert hat. Jahrzehntelang war das Misstrauen eine kulturelle Leitwährung. In Diskussionen ging es um das Dagegensein und Kritikfähigkeit. „So wurden die Debatten übertrieben, alle Konflikte unentwegt moralisiert und polarisiert.“ Mit Corona haben sich viele Debatten verändert, es entstand eine Nachdenklichkeit. „In Talkshows, in denen sonst immer konsequent aufeinander eingehackt wurde, ist plötzlich ein anderer Tonfall entstanden. Man hört plötzlich einander zu, ohne immer alles besser wissen zu müssen.“ Die Töne wurden fragend.
Um nicht anderes als Vertrauen ging es damals in der Wüste. Um das Vertrauen auf Gott, oft nur eine Wolkensäule, ein Wort, mehr nicht. Um das Vertrauen aufeinander, dass ein anderer einen Weg kennt, wenn wir ihn nicht wissen. Und zu sich selbst. Wir haben erlebt, wie veränderungsfähig und erfindungsreich wir sind. Dann können wir doch auch endlich die vor uns her geschobenen Probleme anpacken. Fassen wir Vertrauen!
1 Gott liebt diese Welt, und wir sind sein Eigen. / Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: / Gott liebt diese Welt. 3 Gott liebt diese Welt. Feuerschein und Wolke / und das heilge Zelt sagen seinem Volke: / Gott ist in der Welt. 4 Gott liebt diese Welt. Ihre Dunkelheiten / hat er selbst erhellt: Im Zenit der Zeiten / kam sein Sohn zur Welt. 5 Gott liebt diese Welt. Durch des Sohnes Sterben / hat er uns bestellt zu des Reiches Erben. / Gott erneut die Welt.
BG 64, 1962/1970 Walter Schulz
Amen
Christoph Huss