Jeden Tag, wenn nicht gerade Ferien sind und Königsfeld die Gesichter und Stimmen der Jugendlichen entbehrt, realisiert sich im alten und ehrwürdigen Schwesternhaus als Schul- und Internatsgebäude der Zinzendorfschulen ein wichtiger Teil des schulischen Lebens.
Eingebettet in seine vorzügliche Umgebung zwischen Zinzendorfplatz und dem zum Haus gehörigen großzügigen Park bietet dieses alte Gebäude eine besondere Lehr- und Wohnatmosphäre. Tagesschüler und die das Haus bewohnenden Mädchen des Zinzendorfinternats können die barocke Gestaltung von Haus und Garten als ihre Schul- und Wohnumgebung erleben und genießen.
Niemand sieht diesem ehemaligen Chorhaus der ledigen Schwestern an, dass es einst in seiner Entstehung in vier Abschnitten erbaut wurde. Der erste Teil entstand bereits 1809, weitere wurden 1815, 1839 und schließlich 1862 errichtet. „1836 richtete die Gemeine im Schwesternhaus eine „Mädchenstube“ ein. Von kundigen Schwestern angeleitet, lernten anfangs nur die Ortskinder, bald aber auch Pensionärinnen Nähen, Schneidern, Bügeln und Kochen. Ein Jahr lang blieben die Mädchen im Schwesternhaus und durften bestenfalls am Sonntagnachmittag in der eigenen Familie einen Besuch machen“, berichtet Wolfgang Rockenschuh in der Festschrift zum 175-jährigen Bestehen der Zinzendorfschulen. Später, als diese Einrichtung stagnierte, wurde 1905 eine „Kochschule“ eröffnet, die sich mit der nützlichen Möglichkeit verdient machte, einen „bürgerlichen Mittagstisch für Kurgäste“ anzubieten. So etwa lassen sich die Anfänge des heute das ganze Haus ausfüllenden Schullebens beschreiben.
Welche Rolle spielt dabei heute die Rückbesinnung auf die Namensgeberin Erdmuth Dorothea von Reuß? Fremd erscheinen die damalige Welt, die damaligen Lebensschwerpunkte, die damalige Frömmigkeit. Dabei darf aber gerade die Bedeutung dieser Vertreterin des Adels und Ehefrau des Begründers und Gestalters der Brüder-Unität, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, nicht außer Acht gelassen werden. Erdmuth Dorothea, als fromme, auf die Welt des Glaubens hin ausgerichtete Frau bewies in ihrem Leben immer wieder Mut und große Fähigkeiten, sich selbst bis an den Rand ihrer Kräfte für das Gedeihen der neuen kleinen Kirche der Herrnhuter einzusetzen. Abkehr von „der Welt“ gehörte entschieden zu den alltäglichen Lebensmaximen. Tanz, Musik, aufwändige Kleidung, üppiges Essen, Jagd, Theater gehörten in den Bereich von Versuchungen, denen sie sich entsprechend ihres gemeinschaftlichen Umfelds zu entziehen verstand oder manchmal auch gegen ihren persönlichen Willen entschließen musste. Zudem gehörte zu ihren Stärken, sich verantwortungsbewusst für ein mittelständiges Unternehmen, welches das Schloss- und Anwesen in Berthelsdorf darstellte, einzusetzen und für Land- und Forstwirtschaft, Häuserbau und deren Instandsetzung zu sorgen, wie selbstverständlich auch für Schlossangestellte und Dorfbewohner. Und nicht selten war sie dabei gezwungen, diese komplexen Aufgaben in Abwesenheit ihres Mannes zu meistern.
Heute, wenn in den Mauern des Schwesternhauses gelernt wird, mögen diese Gedanken, dieses Wissen möglicherweise im Hintergrund verbleibend ihre Wirkung nicht verfehlen. Es ist ein Haus, in dem sich Menschen bilden, heranwachsen, lernen, das eigene Leben zu gestalten – um fit zu werden für Aufgaben, die das zukünftige Leben an sie stellen wird.
Christoph Fischer, Schulpfarrer (Dachreiter 2019-1)