3. März 2024, Unitätsgedenktag
Predigttext: 2. Korinther 5, 18-20
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Liebe Brüder und Schwestern, liebe Gemeinde,
heute denken wir besonders an die Anfänge der Brüder-Unität. Einige Brüder um Bruder Gregor hatten sich versammelt, um in einfachen Verhältnissen und nach den Regeln der Bergpredigt zu leben, weil sie mit der bestehenden Kirche unzufrieden waren. Sie wollten von ganzem Herzen nach dem Willen Jesu leben verbunden im lebendigen Glauben und sie gaben dafür auch materielle Sicherheiten auf. Sie taten sich zusammen zur Gemeinschaft der Brüder und Schwestern vom Gesetz Christi – zur Brüder-Unität. Das war vor genau 567 Jahren.
Diese Anfänge waren bescheiden und klein in dem kleinen Ort Kunvald im heutigen Tschechien. Sie wollten die Bibel in ihrer Sprache lesen können und selbst verstehen, was Jesus den Menschen gesagt und vorgelebt hat. Sie wollten das Abendmahl mit Brot und Wein feiern, so wie es Jesus getan hat, und sie wollten dem Lamm nachfolgen.
Die Brüder-Unität ist eine kleine aber weltweite Kirche geworden. Längst sind die Tage des Anfangs vorbei. Doch wie in anderen Kirchen, gibt es immer weniger junge Menschen, die sich vorstellen können, in den kirchlichen Dienst, bzw. in den Verkündigungsdienst zu gehen. Aus diesem Anlass hat Schw. Benigna Carstens als Mitglied der Kirchenleitung eine Predigt über die Schönheit des Pfarrberufes geschrieben, die ich heute hier halten möchte. Alle Gemeinden wurden dazu aufgerufen – auch wir hier in Königsfeld.
Als Grundlage für die Predigt steht ein Wort aus dem Neuen Testament. Es sind Sätze aus dem zweiten Brief von Paulus an seine Gemeinde in Korinth im 5. Kapitel: 18 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Die schönsten Sätze über unseren Beruf finden sich hier, in Paulus‘ zweitem hochemotionalen Brief an die Korinther. Manche nennen ihn auch Tränenbrief. Paulus schrieb ihn, als er gerade einen heftigen Konflikt mit seiner Gemeinde hat. Vielleicht ist das ja öfter so: Das Beste an unserem Glauben erkennen wir gerade, wenn nicht alles easy ist. Zum Beispiel diesen ersten Satz: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur.
- Aber: Stimmt das denn, sind wir Christen wirklich Neuschöpfungen? Tragen nicht auch wir häufig Altes viel zu lang mit uns herum? Alte Verletzungen? Alte Rechnungen? Altlasten eben? Und doch, das ist die Grundbotschaft, das ist die revolutionäre Seite des Glaubens an Jesus Christus:
- Wir müssen uns von Altem nicht mehr runterziehen lassen!
- Wir müssen etwa unseren Eltern nicht lebenslang böse sein wegen der Fehler, die sie in unserer Erziehung gemacht haben.
- Wir müssen auch eigene Fehler nicht immer wieder wiederholen! Wir müssen unsere Schwächen nicht überspielen und alte Schuld nicht unter den Teppich kehren.
Wir neuen Kreaturen, Sie und ihr und ich, wir haben das alles nicht mehr nötig. Wir können anders. Nicht durch uns. Wir wissen selbst, wie oft wir es uns vorgenommen haben, Dinge zu begraben, alte Geschichten nicht mehr gegeneinander zu verwenden und so fort. Und glücklicherweise gibt es heute auch Hilfsmittel, aus alten Mustern auszusteigen. Das kräftigste Mittel aber, so hat es Paulus selbst erfahren, hat Gott angeboten: An Jesus Christus, seinem Leben und Sterben können wir es sehen: Versöhnung. Durch ihn können wir sie erleben.
Darum ist das das erste, was wir alle – und natürlich ganz besonders wir mit unserem wunderbaren Beruf – täglich neu hören müssen: Das Alte ist vergangen! Nichts, was da in unserer Vergangenheit herumwabert, hat das Recht, das Leben zu vergiften. Nichts darf uns auf Dauer belasten oder gar bitter machen. Dass das kein Zauber ist, wissen wir alle. Dass wir immer wieder darum bitten müssen, auch. Aber es lohnt sich.
Uns Prediger*innen gilt Zinzendorfs Vers: „Wollt ihr Posaunen der Gnade sein, räumt euch der Gnade erst selber ein.“ Auch das zweite gilt im Prinzip für alle Christen. Es gilt für alle, die dieses Neuwerden erlebt haben. Für alle, die, wie Luther es beschrieb, einmal getauft wurden und auf dieser Basis täglich in das Bad der Wiedergeburt steigen, sich täglich rundumerneuern können. Gott hat uns – allen – das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Gott hat uns allen ein Amt gegeben? Was soll das sein?
Martin Luther hatte bei seiner Übersetzung damals vielleicht tatsächlich schon so etwas wie einen Kirchenbeamten im Blick: Aber den gab es zu Paulus‘ Zeit noch nicht. Deswegen habe ich im griechischen Neuen Testament nachgeschaut – und fand das für mich klingendere Wort: Diakonia.
Dazu passt, dass in der Brüdergemeine ein Pfarrer bzw. Pfarrerin „zu einem Diakonus“, oder eben „Diakona“ ordiniert werden. Ungewohnt, altmodisch klingt das, aber es geht nach Paulus im Pfarramt, oder wie wir immer noch sagen: im Amt eines Gemeinhelfers/einer Gemeinhelferin um eine Spezialform von Diakonie.
Nun ist es ja so: Wenn man fragt, wozu es eigentlich gut sei, dass es Kirchen gibt, nennen viele Menschen spontan die Diakonie. Diakonische Einrichtungen, sich um Kranke, Alte und Menschen mit Behinderungen zu kümmern, Beistand zu bieten im Todesfall, auf der allerletzten Lebensstrecke im Hospiz, all diese Formen von Diakonie werden von vielen geschätzt. Weniger wichtig ist den Leuten das Predigen, nur wenige schätzen diese Art Diakonie, die die Versöhnung predigt. Und doch denk ich: Gerade dieser diakonische Dienst ist hoch nötig!
In unserer Gemeinde z. B., gibt es viele ältere Geschwister. Sie haben in ihrem Leben eine Menge an Erfahrungen gemacht und auch Verletzungen davongetragen. Für sie kann die Diakonie der Versöhnung einen Riesenunterschied machen, wie sie auf ihr Leben zurückblicken. Oder: in wie vielen Familien herrschen langandauernde Unversöhnlichkeiten. Eine Diakonie, die mit Gottes Hilfe hier Versöhnung befördert, was für eine Chance!
Aber nicht nur innerkirchlich: in unserer hoch gespaltenen Gesellschaft, in der es sich Viele anscheinend eher zum Ziel gesetzt haben zu polarisieren, ist die Diakonie, die die Versöhnung predigt, geradezu unerlässlich.
Und ich weiß, dass wir da alle noch viel zu lernen haben. Auch, weil Versöhnung nicht „Friede, Freude, Eierkuchen …“ bedeutet. Allerdings, auch das wissen wir: die klassische Predigt, wie ich sie grade halte, hören nicht mehr sehr viele Menschen. Selbst in den größeren Gemeinden ist der Gottesdienstbesuch nicht mehr stark. Aber wovon ich überzeugt bin: Unüberhörbar predigt und strahlt aus, wie wir miteinander und mit anderen umgehen. Wenn in der Kirche die „neue Kreatur“ erlebbar ist. Wenn wir großherzig und aufbauend miteinander umgehen. Wenn es möglich ist, Kritik zu äußern, eigenes Versagen einzugestehen. Wenn wir einander vergeben können. Wenn Jesu Versöhnungsbereitschaft unser Miteinander prägt und schön macht, dann predigt das gewaltig.
Deswegen gehört zum Beruf eines Pfarrers, einer Pfarrerin auch nicht nur das sonntägliche Predigen, sondern ein ganzheitliches Leben mit den Menschen in der Gemeinde und im Ort. Nach meiner Erfahrung ist das gerade das Schöne an diesem Amt, an dieser speziellen Form von Diakonie: Dass du mit ganz verschiedenen Menschen unterwegs bist – mit ihnen zusammen und für sie danach Ausschau danach hältst, wo Gottes Liebe, Jesu Versöhnungsbereitschaft heute nötig ist.
Ein letzter Einwand: Sind nicht wir Predigerinnen manchmal genauso weit von Versöhnung entfernt wie andere Menschen? Ja, so ist es, und wenn man gerade den zweiten Brief von Paulus an die Gemeinde in Korinth gründlich liest, bekommt man den Eindruck, dass Paulus sich vielleicht mit diesen Versen auch ein Stück weit selbst gepredigt hat.
Manche kennen die Geschichte, da gab es offenbar jüngere und dazu noch dynamischere Prediger als ihn – und sie machen ihm seinen Platz als Gemeindegründer streitig. Paulus spricht über weite Teile dieses Briefes gar nicht schön von diesen Konkurrenten. Nein, wir Christen sind wirklich nicht die geborenen Versöhnungshelden und -heldinnen.
Es ist wichtig, dass wir uns von den Anfängen der Brüder-Unität inspirieren lassen. Sie haben die Worte der Bergpredigt ernst genommen und danach gelebt. Ihr ganzes Leben war ein Dienst an Gott – ein Gottesdienst. Und so wollen wir ihm auch dienen mit unserem Leben und uns für Frieden und Gerechtigkeit in unserer Zeit einsetzen. Denn selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Amen
Benigna Carstens, bearbeitet von Gabriele v. Dressler
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