Predigt am 21. Januar 2024
Römer 12, 16c-21
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Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext stammt aus dem Brief des Apostels Paulus an die kleine, noch ganz junge christliche Gemeinde in Rom. Allgemein ist er als „Römerbrief“ bekannt. Er erreichte wohl im Jahre 58 n. Chr. die Gemeinde in der Metropole. Damals war Rom der Mittelpunkt des Weltgeschehens, hier liefen die Fäden der Macht zusammen; die Stadt war voll von brausendem Leben, voll von Lebensfreude, sie war reich und ihre Einwohnerinnen und Einwohner waren entsprechend überheblich.
Für die dortige Gemeinschaft der Christen galt allerdings die höchste Alarmstufe. Kaiser Claudius hatte im Jahre 49 n. Chr. alle Juden aus der Stadt vertreiben lassen. Dieser Erlass wurde nach dem Tod des Kaisers im Jahre 54 zwar zurückgenommen. Aber viele Mitglieder der christlichen Gemeinde in Rom stammten aus dem jüdischen Volk und lebten deshalb in großer Angst, weitgehend im Untergrund. Im Jahre 64 n. Chr., also nur wenige Jahre, nachdem der Brief des Paulus in Rom angekommen war, befahl Kaiser Nero die erste systematische Verfolgung der Christen. Paulus selbst ist vermutlich bei dieser oder einer anderen Verfolgung in Rom ermordet worden.
Ein Schreiben an die verfolgten Christen: auf diesem Hintergrund müssen wir den heutigen Text mit seinen vielen Ermahnungen einordnen und verstehen. Es ist ein Wunder und Gottes Fügung, dass ein Teil der Gemeinde trotzdem überlebte und sie sich sogar bald entfalten konnte.
Das Schreiben mit seinen fünfzehn Kapiteln gilt als wichtigstes theologisches Erbe des Apostels – nicht wegen unseres Textabschnittes, sondern wegen der ersten elf Kapitel, in denen zum ersten Mal die christliche Lehre dargelegt wird. Warum schreibt Paulus einen so gewichtigen Text an eine bedrohte Gemeinde, die er gar nicht kannte? Offenbar, weil er hoffte, dass sie trotz allem zu einem Stützpunkt für die weitere Ausbreitung des Evangeliums werden könnte – und diese Hoffnung hat sich ja dann auch bewahrheitet, wenn auch anders, als Paulus sich das vorgestellt hatte. Rom wurde in den kommenden Jahrhunderten die Zentrale der katholischen Weltkirche und ist das ja bis heute geblieben.
Erst also die Lehre – was glauben wir? Und jetzt: wie leben wir den christlichen Glauben in dem gefährlichen Alltag Roms oder in unserer gefährlichen Zeit?
Paulus macht den Christinnen und Christen in Rom Mut. Er schreibt nicht: euch geht es schlecht, also wehrt euch, widersetzt euch, kämpft für die gute Sache Jesu. Im Gegenteil: haltet Frieden! Bitte hütet euch vor jedem Schlagabtausch, denkt nicht an Vergeltung, überlasst die Rache Gott, gerade wenn euch Böses widerfährt. Durchbrecht den Hexenkessel, Böses mit Bösem zu vergelten, Gewalt mit Gewalt zu besiegen, durchbrecht die Spirale „Wie du mir, so ich dir…“, in dem ihr Gutes tut und damit das Böse überwindet.
Das war damals und ist auch heute ganz schön schwer! Wie schnell neigen wir dazu, Böses mit Bösem zu beantworten! Wir wollen Recht haben und wollen das auch zeigen. Wir müssen uns doch manchmal wehren, wenn unsere Meinung nicht zählt. Wir können doch nicht ständig nachgeben. Auch wir ärgern uns, auch wir haben unsere Aggressionen gegenüber Anderen – sollen wir die einfach unter den Teppich kehren? Psychologen warnen uns, unsere Gefühle dieser Art einfach zu verdrängen.
Das weiß Paulus auch. Aber er weiß auch, dass Gottes Liebe uns trägt und uns verändern kann. Er weiß und will den Christen in Rom sagen, dass sie von Gott angenommen und geliebt sind, auch und gerade in den schlimmsten Zeiten, und dass diese Liebe ihnen Hoffnung, Kraft und Mut gibt. Sie kann auch uns von dem Zwang der Sünde, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, befreien. Gottes Liebe, die allen Menschen gilt und nicht aufhört, ist keine Zauberformel, aber sie kann uns hellsichtig machen für die Lage und Bedürfnisse unserer Mitmenschen, und sie kann unserem Dasein einen Sinn geben, auch mitten in unserer chaotischen und gefährlichen Zeit. Den Christinnen und Christen damals hat diese Ermutigung geholfen – sie kann auch uns helfen, gerade weil wir zur Zeit mehr Fragen als Antworten und viel Grund zum Verzagen haben.
Paulus gibt den Menschen Mut, indem er ihnen zeigt, wie sie von Gottes Liebe her als Versöhnte leben können. „Ist es möglich, haltet mit allen Menschen Frieden!“ Mit allen! Und Frieden heißt ja nicht einfach, ständig klein beizugeben, sondern den anderen als von Gott geliebten Menschen zu sehen. Versöhnung ist lernbar, davon ist Paulus überzeugt, und die Gemeinde ist dafür ein wichtiger Übungsplatz.
Aber der Apostel legt noch einen drauf. Gehe mit deinen Feinden so um, dass du ihnen zu essen und zu trinken gibst, wenn sie das brauchen. Den Verfolgern helfen? Ist das nicht eine weltfremde Spinnerei? Dann wäre aber Jesus auch ein Spinner gewesen, denn in der Bergpredigt sagte er: „Liebt nicht nur eure Nächsten, sondern auch eure Feinde“. Wie soll das gehen? Habe ich überhaupt Feinde? Wie auch immer – ich habe Menschen, die mir Mühe bereiten; ich habe da und dort Störungen in meinen Beziehungen – wer könnte das nicht von sich sagen?
Paulus geht es darum, dass wir festgefahrene Konflikte nicht auf sich beruhen lassen, sondern uns für deren Lösung einsetzen. Ein chinesischer Kaiser wurde gefragt, warum er denn die Feinde, die ihn vernichten wollten, zu einem großen Fest an seinen Hof eingeladen hatte. Er antwortete lächelnd: „Ich habe sie vernichtet, denn ich machte sie zu meinen Freunden.“ Das klingt angesichts der heutigen großen Weltkonflikte utopisch, aber wir spüren, dass dieser Kaiser auf dem richtigen Wege war. Versöhnung und Frieden beginnen nun einmal bei mir, und Beides ist lernbar.
Auf diesem Weg sind Menschen zu Unglaublichem bereit. Sehr bewegend ist das Gebet eines Juden im Konzentrationslager: „Friede sei den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende gesetzt aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung. Aller Maßstäbe spotten die Gräueltaten; sie stehen jenseits aller menschlichen Fassungskraft. Dennoch, Gott, wäge ihre Leiden nicht mit der Waage der Gerechtigkeit … Schreibe den Henkern und Angebern, schreibe allen schlechten Menschen die Seelenkraft der anderen zugute … schreibe ihnen zugute alle die durchpflügten, gequälten Herzen, die dennoch stark und immer vertrauensvoll blieben angesichts des Todes … ja, auch in Stunden der Schwäche. Alles das, mein Gott, soll zählen für eine Auferstehung der Gerechtigkeit – all das Gute soll zählen und nicht das Böse.“
Solche Worte in einer solchen Situation können nur an einen Ort führen: zu Jesus am Kreuz, der im letzten Augenblick den Verbrecher neben ihm rettet, und der nicht einen äußeren Sieg davontragen will, sondern sich angesichts des Todes für das Leben einsetzt. So wie der Vater, dessen Sohn auf Abwege geraten ist, sein Erbe verprasste, der verlorenging, und, als er in letzter Not wieder nach Hause fand, vom Vater mit offenen Armen empfangen wurde. Das Schlechte, Böse hat der Vater mit Erbarmen beantwortet. So ist Gott. So sollen wir sein.
Liebe Gemeinde, Gott gibt sie uns, die Möglichkeiten, Menschen zu vergeben und Böses in Gutes zu verwandeln. Wir haben Chancen, Feinden, Störenfrieden in unserem Leben, Menschen, die uns Mühe bereiten, näher zu kommen – und sie vielleicht sogar zu unseren Freunden zu machen. Und das kann im Gebet für sie beginnen.
Vielen der Christinnen und Christen, die den Brief von Paulus gelesen haben, haben die Ratschläge des Apostels nicht mehr geholfen: sie kamen um, so wie auch der Jude im KZ mit Millionen anderen seiner Glaubensgenossen. Aber trotz all dem Bösen, trotz des Tötens und Mordens in Rom und in den KZs und sonst wo ließ sich der Glaube an den Gott des Lebens nicht auslöschen. Er hat sich ausgebreitet – ganz sicher auch deswegen, weil es immer wieder gelang, Böses mit Gutem zu überwinden und die Feinde nicht zu vernichten, sondern ihnen zu helfen und sie anzunehmen, wie sie sind.
Auch wenn die christlichen Kirchen im Laufe der Zeit viel Schuld auf sich geladen haben, galt und gilt jetzt das Prinzip: nicht Tod, sondern Leben; nicht Feindschaft, sondern Liebe, nicht Böses, sondern Gutes.
Wichtige Zeuginnen und Zeugen des Glaubens an Jesus Christus, den Befreier und Erretter, den Wegweiser zum kommenden Reich Gottes haben nach diesem Prinzip gelebt, trotz aller Gewalt und aller Widerwärtigkeiten. Sie haben sich an die Botschaft von Jesus Christus und Worte von Paulus gehalten.
Die Zeiten, in denen wir leben, sind gefährlich und machen Angst, Gebe Gott uns die Kraft und den Mut und die Gewissheit, dass er uns liebt und gebe er uns die Hoffnung, dass sein Reich des Friedens und der Versöhnung siegt. Wir können sein Kommen vorbereiten, indem wir uns mit Gottes Hilfe jetzt und hier für Frieden und Versöhnung einsetzen; fangen wir in unserer Umgebung damit an.
Amen
Hans-Beat Motel
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