12. März 2023
Lukas 22, 47-53
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Gnade sei mit euch und Friede durch unseren Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für heute findet man in Lukas, Kapitel 22, Verse 47-53.
Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen? Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.
Liebe Gemeinde, Liebe Freunde, Liebe Schwester und Brüder,
es war vor 30 Jahren, dass der Prozess um Rodney King mit dem Freispruch der Angeklagten zu Ende ging. Ich glaube, die meisten von uns hier können uns daran erinnern. Am 3. März 1991 wurde der Afro-Amerikaner Rodney King von vier weißen Polizisten des Los Angeles Police Departments brutal zusammengeschlagen. Auf der anderen Straßenseite des Geschehens wohnte ein Amateur Videograf. Er verfilmte das ganze Ereignis. Sein Amateur-Video von der Misshandlung ging damals um die Welt. Smartphones hatten wir damals nicht. Wir hatten nur den Fernseher. Aber jeder Nachrichtensender zeigte das Video. Ich wohnte damals schon in Deutschland und hatte es in den deutschen Nachrichten gesehen. Es war entsetzlich. Es war auch offensichtlich. Der Mann wurde brutal zusammengeschlagen.
Ein Jahr später, am 29. April 1992 wurden alle vier Polizisten von einer Geschworenenjury freigesprochen. Nach dem Freispruch folgten sechs Tage heftigste Ausschreitungen. 63 Menschen starben bei den Ausschreitungen. Niemand konnte glauben, dass die Polizisten freigesprochen wurden. Wie war das möglich?
Ich sage Ihnen, wie das möglich war. Die Geschworenen waren abgestumpft. Die Anwälte der Verteidigung haben ihnen das Video so oft gezeigt, dass sie es nicht mehr sehen konnten noch wollten. Wenn man wiederholt mit etwas schlimmes konfrontiert wird, gibt es zwei mögliche Reaktionen. Die erste Reaktion: Man schaut weg. Das kann man auch innerlich tun. Man weigert sich, sich mit den schlimmen Bildern auseinanderzusetzen. Es tut zu viel weh.
Die zweite Reaktion: Man gewöhnt sich an die schlimmen Bilder. Man wird abgebrüht. Die Situation wird verharmlost. Bei beiden möglichen Reaktionen stirbt die Empathie. Man hat kein Mitgefühl mehr mit dem Opfer. Empathie wird durch Apathie ersetzt. Das ist in einer gewissen Weise ein Schutzmechanismus. Manche Dinge sind einfach nicht zu ertragen.
Also, durch wiederholtes Vorführen, verlor das Video an Härte. Durch Wiederholung wirkte die Misshandlung immer milder. Demzufolge sprachen die Geschworenen die Angeklagten frei.
Liebe Gemeinde, als ich den Predigttext für heute las, dachte ich an Rodney King. Ist das nicht seltsam? Was ist der Zusammenhang? Das menschliche Gehirn ist wahrlich ein Rätsel. Wie gut kennen wir die Geschichte von der Gefangennahme Jesu? Wie oft haben wir sie gehört? Tausendmal. Werden wir von ihr noch entsetzt? Oder sind wir auch abgestumpft?
Ich bin kein Fan der Manipulation der Gefühle. Bei uns hängt ein Kreuz. Es ist schmal. Dezent. Unauffällig. Jesus ist nicht da. Unser Kreuz ist ein Symbol der Auferstehung. Ein leeres Grab ließe sich vermutlich nicht so toll als Symbol abbilden lassen. Ein leeres Grab als Halskette ist ja ziemlich unvorstellbar. Das leere Kreuz ist unser Symbol. Es symbolisiert den Sieg über den Tod. Wären wir katholisch, hätten wir an seiner Stelle ein Kruzifix mit dem sterbenden Jesus. Was will uns das Kruzifix sagen? (Zeig nach oben) „Guck mal was DU ihm angetan hast!“ So hat es mir einen katholischen Bruder mal erklärt. Das eine Symbol betont das Leiden, das Andere den Sieg und die Hoffnung.
Im Hebräerbrief, Kapitel 4, Vers 15 steht die folgende Aussage: „Denn wir haben nicht einen Hohen Priester, der nicht Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem in gleicher Weise wie wir versucht worden ist, doch ohne Sünde“. Die Bibelstelle kennen wir. Jesus wurde in jeder Weise versucht wie wir, aber im Gegensatz zu uns, blieb er ohne Sünde.
In der Erzählung Lukas, gleich bevor Jesus Gefangennahme, geht es um Jesu Anfechtung. Er kämpft mit sich. Er weiß was sein Vater von ihm will. Und er will es nicht. Nach Ringen und Kämpfen und Beten unterwirft er sich am Ende dem Willen des Vaters. Er steht vom Gebet auf, sieht, dass die Jünger alle schlafen, weckt sie und ermahnt sie zu beten, damit sie nicht in Versuchung kommen. Und hier spricht er aus eigener Erfahrung, denn es war das Gebet, das er gerade gehalten hatte, das ihn gestärkt hat und ihn für das bevorstehende Leidensweg bereit gemacht hatte. Und während er noch spricht, kommt Judas mit der Schar Männer um ihn zu verhaften.
Nun beginnt der Leidensweg, den Jesus in seinem Gebet gerade auf sich genommen hat. Und wie beginnt er? Mit einem Kuss.
Liebe Gemeinde, als ich diese Erzählung las um mich auf die Predigt vorzubereiten, wurde ich mit Emotion ergriffen. Und das überraschte mich. Ich kenne die Geschichte schon. Ich habe das „Video“ von der Gefangennahme Jesu schon 1.000 Mal gesehen. Ich kann es auswendig nacherzählen. Was macht die Gefangennahme Jesu so bestürzend? Es sind zwei Dinge: Zuerst der Kuss. Ein Kuss damals hat genau die gleiche Bedeutung wie heute. Es gibt der romantische Kuss. Es gibt der freundschaftliche Kuss. Und es gibt der ehrerbietige Kuss. Der romantische Kuss interessiert uns hier nicht. Es geht hier um den Kuss der Freundschaft und der Kuss der Ehrerbietung. Der Kuss der Freundschaft wird überall in Europa praktiziert. Besonders in Frankreich. Der Kuss der Ehrerbietung kennen wir zum Beispiel bei einer Audienz mit dem Papst. Man küsst seinen Ring. Es ist ein Kuss des Respekts.
Welcher Kuss hat Judas Jesus gegeben? War es der Kuss der Freundschaft? Kurz zuvor hatte Jesus seinen Jünger gesagt – und Judas war auch dabei – , dass er sie nun seine Freunde nennen würde. Also, wir können sagen, der Kuss war der Freundschaftskuss.
Jesus war aber immer noch der Lehrer. Wir können auch sagen, der Kuss war der Kuss des Respekts. Ich bin der Meinung, er war beide. Und er war keiner der Beiden. Denn der Kuss, den Judas Jesus gab, drehte die Bedeutung von beiden auf den Kopf. Dieser Kuss war der Kuss des Verrats. Der Kuss sagte, du bist nicht mein Freund. Du bist nicht mein Lehrer. Ich benutze dieses Zeichen in umgekehrter Weise von der eigentlichen Bedeutung. Das ist Verrat. Verrat an die Freundschaft. Verrat an die Ehrung.
Mir geht es hier nicht darum, Judas fertigzumachen. Es geht mir darum, die Bedeutung des Verrats zu verstehen. Die Symbolik. Und die Wirkung des Verrats auf den Mensch Jesus und auch auf seine Jünger. Was haben die Jünger gedacht? Judas küsst Jesus. Ist ja völlig normal. Er ist einer von uns. Er ist unser Freund. Die Unaufrichtigkeit, die Heimtücke der Geste ist atemberaubend. Diese so stark positiv-geladene Geste zum Zweck des Verrats zu missbrauchen ist einfach niederschmetternd.
Ich sagte vorhin, Jesus ist in jeder Weise versucht, wie wir es sind. Und nun sage ich, Jesus hat in jeder Weise gelitten, wie wir leiden. Sind Sie mal verraten worden? Hat jemand, den Sie Freund nannten, hinter Ihrem Rücken intrigiert? Sind Sie mal von jemanden, der Ihnen nahesteht, respektlos behandelt worden? Sicherlich. Und wie fühlt sich das an?
Jesus nannte seine Jünger Freunde. Er sagte, Freunde lieben einander. Und ein Freund zeigt seine Liebe, indem er sein leben für seine Freunde hergibt.
Die Gefangennahme Jesus im Garten Gethsemane bildet einen Gegensatz. Der vermeintliche Freund, der das Symbol der Freundschaft und des Respekts missbraucht, um seinen Freund und Rabbi zu verraten. Und der wahre Freund, der seine Freunde so sehr liebt, dass er den Weg folgt, der zu seinem Tod für seine Freunde führen wird.
Möge Gottes Gnade und Friede durch unseren Herrn Jesus Christus mit uns sein. Amen.
Gerald MacDonald
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