Der Knecht als Licht für die Völker
9. Oktober 2022, 17. Sonntag nach Trinitatis
Jesaja 49, 1-6
9. Oktober 2022, 17. Sonntag nach Trinitatis
Jesaja 49, 1-6
Liebe Gemeinde,
nach meiner Schulzeit in Herrnhut begann ich eine Ausbildung zur Kinderdiakonin und Heilpädagogin in Wolmirstedt bei Magdeburg. Dort haben wir neben der Ausbildung auch gleich von Anfang an gearbeitet. Wir waren in einem Heim für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen eingesetzt. Es war kurz vor Weihnachten und mein Geburtstag stand an. Ich erfuhr einige Tage zuvor, dass ich weder zu meinem 18. Geburtstag noch Weihnachten nach Hause fahren durfte, da ich im Dienstplan eingesetzt waren. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie mich das geärgert hat. Am Geburtstag selbst las dann eine Diakonisse die Losung und was stand drin: Ich dachte, ich arbeitete umsonst und verzehrte meine Kraft vergebens.
Dieser Vers hat sich in mein Gedächtnis eingeprägt. Und dieser Vers ist Teil des Predigttextes, der für heute vorgeschlagen ist. Er steht in Jesaja 49, 1-6
Zweites Gottesknechtslied: Der Knecht als Licht für die Völker
49 1 Hört mir zu, ihr Bewohner der Inseln! Gebt acht, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich in seinen Dienst gerufen, als ich noch im Mutterleib war. Schon im Schoß meiner Mutter hat er mir meinen Namen gegeben. 2 Er hat mir Worte in den Mund gelegt, so scharf wie ein Schwert. Versteckt in seiner Hand, hat er mich bereitgehalten. Wie einen spitzen Pfeil hat er mich in seinem Köcher aufbewahrt. 3 Er sagte zu mir: »Du bist mein Knecht. Du trägst den Namen ›Israel‹. Durch dich will ich zeigen, wie herrlich ich bin.« 4 Ich aber sagte: »Ich habe mich vergeblich bemüht, für nichts und wieder nichts meine Kraft vertan. Doch der Herr verhilft mir zu meinem Recht, mein Gott wird mich belohnen.« 5 Ja, der Herr hat mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht. Ich sollte Jakob zu ihm zurückführen und ganz Israel bei ihm versammeln. So wichtig war ich in seinen Augen, mein Gott gab mir die Kraft dazu. 6 Und jetzt sagt er: »Ja, du bist mein Knecht. Du sollst die Stämme Jakobs wieder zusammenbringen und die Überlebenden Israels zurückführen. Aber das ist mir zu wenig: Ich mache dich auch zu einem Licht für die Völker. Bis ans Ende der Erde reicht meine Rettung.«
Die erste Frage, die sich mir stellt ist: Wer ist dieser Gottesknecht? Wer ist damit gemeint? Ist es das Volk Israel, von dem hier geredet wird? Oder ist es Jesaja selbst oder Jesus? Oder sind wir alle Gottes Knechte? Ich denke, da ist von allem etwas drin. Gott hat mit einem jeden von uns etwas ganz besonderes vor. Er hat uns ins Leben gerufen und in der Taufe besiegelt er den Bund mit uns. Er hat einen Plan für uns bereit. Wenn wir so nach seinem Willen leben, dann sind wir Gottes Knechte, wir würden heute sagen, seine Mitarbeiter. In Vers 3 wird dann aber die besondere Rolle Israels betont: Du bist mein Knecht. Du trägst den Namen Israel. Und die Juden sind stolz darauf. Das Wort Knecht ist in unserer Zeit nicht mehr gebräuchlich. Doch vor ca. 50 Jahren war es in aller Munde. Da gab es z. B. hier im Schwarzwald Knechte und Mägde auf den Bauernhöfen. Sie waren verantwortlich für die Ställe und die Küche. Sie dienten dem Bauern oder Großbauern und je höher der Rang ihres Vorgesetzten war, desto geachteter waren sie. Die Juden wuchsen so auch von Kindestagen an damit auf, dass sie etwas Besonderes waren – Gottes auserwähltes Volk. Trotzdem kannten sie auch schon sehr früh die dunklen Seiten. Sie wurden schon früh verfolgt von der Antike an bis zum Zeiten Weltkrieg. Bis heute kommen sie nicht zur Ruhe – auch in unserem Land gibt es immer wieder Anschläge auf sie, wie vor ein paar Tagen ein Angriff auf eine Synagoge in Hannover. Das hebräische Wort Israel bedeutet Gottesstreiter – ein Gottesknecht.
Mitten im Predigttext kommen dann die Worte: Ich aber sagte: »Ich habe mich vergeblich bemüht, für nichts und wieder nichts meine Kraft vertan.«
Ich denke, dieses Gefühl kennen wir alle. Da haben wir uns alle Mühe gegeben für einen Familiengottesdienst und alles vorbereitet, eingeladen und am Ende dann kommen wenige Kinder. Die Enttäuschung ist groß. Oder die Suche nach Ehrenamtlichen in der Gemeinde ist mühsam geworden, da einige so viel machen und an ihre Grenzen kommen und andere sich nicht einspannen lassen wollen. Das ist auch ein Problem unserer Zeit. Und dann schauen wir auf die Zahl der Menschen, die sich von der Kirche ganz abwenden. Das kann mutlos und traurig machen. In der Bibel gibt es dazu auch Beispiele, wie Diener Gottes – Gottes Knechte an ihren Aufgaben zu zerbrechen drohen. Denken wir an Mose, der das Volk Israel durch die Wüste führte und der auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote empfing, während das Volk ein goldenes Kalb errichtete und es anbetete. Und Mose sagte: Warum Gott, tust du mir das an? Oder Elia unter dem Ginsterbusch, der am Ende seiner Kräfte war und nicht mehr leben wollte. Gott aber wendet sich nicht von uns ab. Er rechnet nicht mit uns nach unserer Leistung ab, wie z. B. ein Großbauer seinen Knecht beurteilt. Gott kann aus unserem Mist Dünger machen, so hat es Pfarrer Jörg Arndt einmal gesagt. Er kann das Schlechte, den Misserfolg und unser Ende in einen Neuanfang verwandeln. Das gibt uns Mut.
Und am Ende erkennen wir, dass Gott den Gottesknecht zu einem Licht für die Völker machen wird. »Bis ans Ende der Erde reicht meine Rettung.« Gottes große Liebe zu uns seinen Geschöpfen überwindet alle Grenzen und kommt zu allen Völkern. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Juden und Heiden. Wir selbst ziehen immer wieder Grenzen zwischen uns und anderen. Wir denken gern in Kategorien und machen unsere Schubladen auf für alle, die anders sind als wir. Der Gottesknecht bekommt die Berufung: Licht der Welt zu sein. Und in diesem Gottesknecht erkennen wir Jesus Christus, den Messias und Sohn Gottes. Jesus ist als ein Licht zu uns in diese Welt gekommen und ist die fleischgewordene Liebe Gottes. Jesaja beschreibt das Leben Jesu und nimmt uns mit hinein in die Heilsgeschichte.
Wir können das Gottesknechtslied mitsingen und dankbar sein, dass Gott mit uns ist – auch in unseren Krisenzeiten unserer Tage. Wir sollten aufmerksam sein und genau hören, was Gott uns heute sagen möchte. In der Bibel ist immer wieder von Wüstenerfahrungen die Rede. Aus der Einkehr und der Stille kann Neues aufbrechen und wachsen. Noch ist es für uns nicht erkennbar. Wir dürfen aber darauf hoffen und vertrauen, dass Gott uns nicht allein lässt. Er ist mit uns unterwegs und kann aus allem, was zerbricht, Neues schaffen. Mit Worten aus dem Messias von Georg Friedrich Händel möchte ich die Predigt beenden. Sie spiegelt die Erwartung auf den kommenden Herrn wieder.
Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet freundlich, Boten, mit Jerusalem, und prediget ihr, daß die Knechtschaft nun zu Ende und ihre Missetat vergeben. Vernehmt die Stimme des Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg, und ebnet durch Wildnis ihm Pfade, unserm Gott. Alle Tale macht hoch erhaben, und alle Berge und Hügel tief, das Krumme grad und das Rauhe macht gleich. Denn die Herrlichkeit Gottes des Herrn wird offenbaret. Alle Völker werden es sehen, da es Gott unser Herr verheißen hat.
So spricht der Herr, Gott Zebaoth: Noch eine kleine Zeit, und ich beweg den Himmel und die Erde, das Meer und das Trockne, und ich beweg die Menschheit. Dann wird der Trost aller Völker erscheinen. Der Herr, den ihr sucht, kommt plötzlich zu seinem Tempel; und der Engel des neuen Bundes, des ihr begehret, steht auf, er erscheint, so spricht Gott der Herr.
Amen
Gabriele von Dressler